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Friday, 29. March 2024
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Tagebuch staunistauni
 1989-10-18 hh:mm
Tauziehen um Jörg

 

Die zweite Woche im Hotel war für Dirk die erste Arbeitswoche. Er begann am 15.10. sofort in drei Schichten zu arbeiten. Er musste körperlich sehr schwer ran, fiel nach der Schicht, fix und fertig, doch zufrieden in sein Bett. Jetzt waren die Schefflers froh, dass sie wenigstens zwei Zimmer gemietet hatten, damit der Junge in Ruhe schlafen konnte. Am Tage waren Elvira und Helmut pausenlos zu Fuß zu den Ämtern unterwegs, sie regelten u.a. auch die Bezahlung der Pension und Elvira konnte bereits Mitte Oktober 1989 an einem Umschulungskurs der Deutschen-Angestellten-Gewerkschaft teilnehmen.

Helmut nahm im gleichen Zeitraum seine neue Arbeit auf, wobei er mit seiner Arbeitsstelle leider etwas Pech hatte. Bei den vielen Angeboten hatte er eine Firma erwischt, die nur Interesse an der staatlichen Stütze hatte, die es für eingestellte DDR-Flüchtlinge gab. Doch dazu später mehr.

Mit der Wohnungssuche ging es leider nicht so schnell. Es kamen immer mehr DDR-Flüchtlinge und der Wohnraum wurde immer knapper und teurer. Jedes Mal, wenn etwas in der Zeitung stand, waren Schefflers sofort am Ball. Günstige Wohnungen waren oft nicht mietbar, in ein Hochhaus wollte Elvira wegen ihrer Höhenangst nicht. Bei einem Angebot zeigte ihnen der Vermieter, ein Metzgereibesitzer , nicht einmal seine Wohnung, als er hörte, dass die Leute aus der DDR kämen. An „solche Leute“ wollte er nicht vermieten. Na toll! Ja, auch mit solchen Menschen musste man rechnen. Vielleicht hatte er schon schlechte Erfahrungen gemacht.

Doch schließlich war ihnen das Glück doch wieder hold.

Die jungen Hansens hatten Schefflers zur Geburtstagsfeier von Maik eingeladen. Ein früherer Freund von Maik, der es auch in den Westen geschafft hatte, bot ihnen seine Beziehungen zur Presse an und veröffentlichte für Schefflers eine Wohnungssuchanzeige.

Doch zunächst noch einmal zu Jörg, Martina, Verena und Daniel.

Die vier Flüchtlinge waren nun von Gießen übers Wochenende von Rolf und Sabine Voss nach Essen abgeholt worden. Jörg hatte mit seiner Cousine Sabine eigentlich vereinbart, dass er sich mit seiner Familie in Essen niederlassen würde. Da Elvira und Helmut bis zum Schluss nicht glaubten, dass es bei ihnen mit der „Flucht“ klappt, hatten sie einfach niemals darüber gesprochen, wohin denn alle eigentlich wollten.

Für Jörg und seine Familie war klar, sie gehen zu Rolf und Sabine und glaubten sicher, dass auch die Eltern dorthin kämen. Für die aber stand eigentlich fest, dass sie in Norddeutschland wohnen würden. Plötzlich fiel es ihnen wie Schuppen von den Augen. Waren sie deshalb nach Westdeutschland gegangen, damit die Kinder und die süßen Enkel nun viele Kilometer von ihnen entfernt sein würden? Die andere Seite war, was sollten sie im Norden oder im Ruhrgebiet ohne Arbeit? Bayern versprach viel bessere Möglichkeiten für einen Neustart. Total verzweifelt versuchten sie am Sonntag, dem 15.10. ihren Sohn bei Rolf und Sabine zu erreichen. Rolf, der wahrscheinlich schon ahnte, was Jörgs Eltern wollten, verhielt sich sehr kurz und abweisend am Telefon. Als Helmut dringend bat, seinen Sohn sprechen zu dürfen, meinte Rolf: „Den hole ich jetzt nicht, der schläft!“ Es war aber Eile geboten, denn schon am nächsten Tag würde Jörg sich im Lager festlegen müssen, in welchem Bundesland er mit seiner Familie wohnen möchte. Also beharrte Helmut darauf, dass Rolf den Jörg wecken sollte. Jörg und Martina befanden sich nun ganz doll in der Klemme. Ihre eigentlichen Pläne mit Rolf und Sabine zusammen zu sein, standen gegen die bettelnde Familie. Vater, Mutter und Bruder baten ihn mit Engelszungen, doch auch nach Bayern zu kommen. Jörg erbat sich Bedenkzeit. Rolf hatte ihm schon eine Wohnung in Essen in Aussicht gestellt. Es stellte sich allerdings heraus, dass die Vier diese Wohnung nicht allein bewohnen würden und diese sich in einem Türkenviertel befand.

Niemand war glücklicher als seine Eltern, als Jörg ihnen am Telefon mitteilte, dass er und Martina sich doch für sie und Bayern entschieden habe. Eigentlich nahm Bayern schon keine Flüchtlinge mehr auf, nur weil die restliche Familie schon da war, bekamen die Vier noch eine Zuzugserlaubnis. So landete die junge Familie dann in einem Übergangsheim in den Alpen. Sie wurden dort gut verpflegt und hatten ein einziges Zimmerchen.

Inzwischen hatte eine Frau B. auf die Wohnungssuchanzeige reagiert und mit den Schefflers einen Termin vereinbart.

Die schöne 4-Zimmer-Wohnung befand sich in einer Kleinstadt bei München, war aber noch im Innenausbau. Der liebe Hermann hatte seine Freunde zur Besitzerin gefahren. Für die Ex-DDR-ler war das „Beschnuppern“ durch die Vermieterin und ihre ebenfalls anwesende Freundin eine ungewöhnliche Situation. Das Wichtigste waren natürlich die Einkommensverhältnisse. Als sie hörte, dass Dirk, der mit in die Wohnung ziehen wollte, bei dieser großen Autofirma arbeitet, bekamen sie schließlich die Zusage. Der Neubau wurde allerdings erst im Dezember fertig, aber solange durften sie noch in dem Hotel bleiben. Das bedeutete, bis zu dieser Zeit, kein warmes Mittagessen zu haben, denn Kochen war im Hotel nicht möglich und ein Gaststättenessen fiel aus finanziellen Gründen von vorn herein aus.

Sie kauften sich eine günstige Kaffeemaschine und erwärmten sich dort das Wasser für ihre Beutelsuppen.

 

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