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Thursday, 28. March 2024
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Tagebuch staunistauni
 1987-09-22 hh:mm
Selber Schuld?

 

Im Herbst 1987 befiel Elvira die „Angstkrankheit“ erneut und ziemlich massiv.

Von heute auf morgen war sie wieder da, die Angst, allein auf die Straße zu gehen. Helmut meinte, es hinge bestimmt mit den „Wechseljahren“ zusammen. Aber Elvira wusste es besser. Inzwischen hatte sie bemerkt, dass die Ängste immer dann auftauchten, wenn sie ein unlösbares Problem mit sich herumtrug. Nicht etwa Belastung und Überbelastung machten sie krank, denn diese Situationen hatte sie in ihrem Leben immer bestens gemeistert.

Nein, sie hatte mal wieder ein Problem, ein richtiges schlimmes!

Ihr Problem war ein anderer Mann. Ein Mann, der ihrer Ehe hätte gefährlich werden können, vor allem, weil er ihr arbeitsbedingt immer und immer wieder über den Weg lief.

Schon lange Zeit vor der Silberhochzeit hatten die beiden gegenseitige Sympathie verspürt, die sie aber ewig lange absichtlich unterdrückten. Keiner bekannte sich zu seiner Zuneigung und doch spürten beide schon lange, dass da etwas war, was sie nicht beeinflussen konnten. Immer öfter suchten sie die gemeinsame Nähe. Jede arbeitsbedingte Möglichkeit, die sich bot, nutzten sie, um sich öfter als nur im Betrieb zu sehen. Keine Betriebsveranstaltung ohne Angehörige wurde ausgelassen. Elviras Seele lebte auf. Es gab also nicht nur Arbeit und Sorgen mit einem Partner. Es gab auch Glücksgefühle und eine Leichtigkeit zu leben, die sie sich immer ersehnt hatte. Eine lange Zeit ging es ihr richtig gut. Den Alltag meisterte sie mit einer Freude, alles machte Spaß. Ihr gefiel es, zwei Männer gleichzeitig zu lieben und hatte gegenüber Helmut keinerlei Gewissensbisse. Sie freute sich aufs freie Wochenende, aber auch und immer mehr auf den Arbeitsalltag. Da der körperliche Kontakt nicht über vorsichtige unbeabsichtigt wirkende Berührungen hinausging, blieb diese Liebe ganz lange in der wunderschönen, oft von Dichtern beschriebenen Anfangsphase. Doch die sich durch die körperliche Abstinenz des Liebespaares steigernde Sehnsucht wurde immer größer. So auch an einem Wochenende. An diesem Samstag war Elvira, was sehr selten vorkam, ganz allein zuhause. Sie wollte an diesem Tag, so wie jede Woche, die Wohnung putzen. Ein Blick aus dem Fenster genügte, um festzustellen, dass die Scheiben wohl noch etwas auf das Fensterleder warten könnten. Schließlich verspürte die junge Frau Lust dazu, den gewohnten Alltagsrhythmus
einfach einmal zu unterbrechen und die dringend notwendigen lästigen Hausarbeiten einfach warten zu lassen. Irgend etwas in ihr gab schon seit dem Erwachen keine Ruhe.
Wie wäre es? Würde sie es sich trauen? Durfte sie das? Schnell verwarf sie diese verrückte Idee wieder. Sie nahm das Staubtuch und begann wie automatisch lustlos die Möbelwand zu putzen. Ihre Söhne und Helmut würden heute erst gegen Nachmittag heimkommen.
Wenn sie nun doch? Aber wohin sollte das alles noch führen?
Wie ferngesteuert zog sie sich an, nahm einen großen Regenschirm und fuhr mit der Straßenbahn ins Stadtzentrum. "Ich werde einfach nur die Kunstausstellung besuchen!". Das hatte sich die Frau, die sich ständig in Zeitnot befand, schon lange vorgenommen. Doch anstatt sich geradewegs dorthin zu begeben, um damit auch schnellsten ins Trockene zu gelangen, schaute sie immer wieder auf die Uhr. Mit der nächsten Straßenbahn müsste "Er" kommen, um dann in den Bus zu steigen, der ihn nach Hause zu seiner Familie brachte.
Der Himmel war immer noch total wolkenverhangen. Es goss wie aus Kannen. Elvira schloss auch noch den obersten Knopf ihre Jacke und hielt den Schirm so über den Kopf, dass dieser ihr frisch
gelocktes Haar platt drückte. Eigentlich fand sie das Wetter ideal. Die vielen Passanten, die noch schnell ein paar Einkäufe fürs Wochenende tätigten, huschten ohne aufzusehen, aneinander vorbei.
Heute würde niemand auf Elvira achten. Da kam auch schon die nächste Bahn. Die regennasse Frau stellte sich in den Hintergrund und dachte: "Ich werde mich nicht zu erkennen geben, ich will ihn doch nur einmal kurz sehen, sonst wird mir die Zeit bis zum Montag zu lang."
Doch da war es schon zu spät! Die Türen der Straßenbahn öffneten sich und Bernd stieg genau dort aus, wo sich Elvira verbergen wollte. Er steuerte sofort auf Elvira zu, tat kein bisschen erstaunt, so als hätte er sie genau dort erwartet. Wie selbstverständlich nahm er ihr den Schirm ab und beide liefen erst einmal von der Haltestelle weg, wo nur noch wenige Menschen waren.
Jetzt erst kam seine Frage:" Was machst denn du hier? Und das bei diesem Wetter? Er wartete aber keine Antwort ab. Im Stillen hoffte er ja ständig, ihr irgendwo zu begegnen. Wie von Geisterhand gezogen, liefen die beiden Verliebten, die es sich aber gegenseitig nicht eingestehen wollten, in Richtung Kunstausstellung.
"Willst Du da wirklich hinein? Vielleicht sieht uns da ein Bekannter? fragte er vorsichtig.
Plötzlich war ihr die Kunstausstellung überhaupt nicht mehr wichtig. Hauptsache, sie waren beisammen. Unaufhörlich hielt der Himmel seine Schleusen geöffnet. Doch es gab zwei, die merkten es einfach nicht mehr. Sie waren wohl die Einzigen, die an diesem verregneten Samstag auf der „ Brühlschen Terasse“ spazieren gingen. Die Zeit und die Wirklichkeit war für zwei Menschen in weite Ferne gerückt. Zwischen den zärtlichen Umarmungen und heißen Küssen sprachen sie kein einziges Wort miteinander. Den Schirm hatten sie schon lange zusammengeklappt.
Es gab nur noch Bernd und Elvira.

 

 

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