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Thursday, 25. April 2024
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Tagebuch staunistauni
 1975-06-15 hh:mm
Panik, Chaos und kein Ausweg


Eine weitere gute Nachricht kam bald aus Elviras Betrieb. Obwohl sie in der Warteliste nicht ganz vorn stand, bekam sie plötzlich eine größere Wohnung angeboten und es dauerte gar nicht lange und sie konnten diese beziehen. Endlich raus aus der kleinen 2-Zimmer-Wohnung!

Zum allergrößten Glück war es sogar eine 4-Zimmer-Wohnung, jeder der Jungen konnte nun ein eigenes kleines Zimmer beziehen. Ganz sicher hatten der gute Herr Helbig und Direktor Stamm die Angelegenheit etwas vorangetrieben.

Der Umzug und die damit verbundenen Arbeiten lenkten Elvira erst mal etwas ab. Doch sie war schon zu tief unten, als dass sie sich hätte wieder allein aufrappeln können. Es ging ihr psychisch hundsmiserabel.

Sie ging zum Allgemeinen Arzt, erzählte allerdings nur die Hälfte und wurde zuerst wieder mit Kreislaufmitteln, später dann mit Beruhigungstabletten vollgestopft. Die Behandlung zeigte keinerlei Wirkung. Es wurde schlimmer und schlimmer. Sie versuchte ihre Zustände stets vor ihren Kindern zu verbergen.

Zuhause fühlte sie sich so einigermaßen gut. Die häuslichen Arbeiten erledigte sie noch, aber alles, was außerhalb versorgt werden musste, blieb für Helmut. Er wusste ja auch nicht, wie er seiner Frau helfen sollte und unterstützte sie, wo er nur konnte.

Am Morgen brachte er seine Frau zur Arbeit und holte sie am Abend wieder ab. Sie ging bald gar nicht mehr allein aus dem Haus. „Was ist das nur?“ rätselte sie oft mit ihrem Ehemann. Es war ihr beim Gehen immer, als hätte sie keinen festen Boden unter den Füßen. Dazu kam die ständige Angst. Die Angst steigerte sich dermaßen, dass Elvira kaum noch eine Nacht durchschlief. Ihr Gehirn war dermaßen aufgeputscht, dass sich ein negativer Gedanke sofort ins Grübeln verwandelte. Wie ein Kreislauf verfolgte sie dieser Gedanke dann die ganze Nacht hindurch. Was war das nur für eine schreckliche Krankheit?

So konnte es nicht weitergehen. Seit langem hatte sie einen Termin bei einer Psychologin. Diese versuchte es erst mal mit stärkeren Beruhigungstabletten und mit einer Einzeltherapie.

Dabei stellte sie aber fest, dass Elvira schon viel zu tief in der Krise steckte und entschied sich für eine Klinikeinweisung. Da die Einweisung aber trotz Dringlichkeit erst nach fünf Monaten erfolgte, hatte die Familie noch schlimme Wochen durchzustehen. Wochen voller Angst für Elvira, Wochen voller Unsicherheit für Mann und Söhne. Die gesamte Familie war Opfer dieser psychischen Störung. Kam Helmut oder einer der Jungen nicht rechtzeitig nach Hause, steigerten sich Elviras Ängste so stark, dass sie solange in einer starren Angsthaltung verharrte, bis sich die Sorgen durch das Heimkommen auflösten. Dann fühlte sie sich vorübergehend wieder gut und gelöst, bis sie das nächste Problem beschäftigte.

Die Psychologin gab ihr bis zur Einweisung im Juli kleine Übungen auf, um den irrsinnigen Kreislauf zu durchbrechen. Aber Elvira war nervlich schon zu weit abgerutscht. Einmal bekam sie die Aufgabe bis zur nächsten Straßenbahnhaltestelle zu laufen und dann mit der Bahn zurück zu fahren. Dabei geriet sie dermaßen in Panik, dass sie, wieder auf ihrem Sofa angekommen, beschloss: „Nie wieder, niemals wieder tue ich mir das an! Was soll ich denn nur machen?“ Wer bin ich denn noch, was hat denn meine Familie noch von mir? Nur, dass ich gerade so noch den Haushalt versorge, das kann es doch nicht sein?“ Elvira war am Ende. Wieder flossen die Tränen wie aus Bächen, wieder schluckte sie eine von den Beruhigungspillen. Bald würden die Jungen von der Schule kommen. Sie setzte die Kartoffeln aufs Gas. Da durchfuhr sie ein schrecklicher Gedanke. „Wie wäre es, wenn ich ...“ Sie drehte am Gasknopf, ließ für kurze Zeit das Gas ausströmen. Da aber dachte sie an die Kinder. Schnell drehte sie wieder zu und warf sich weinend aufs Sofa. Wo war ihr ganzer Lebensmut geblieben? Sie zitterte am ganzen Körper. Nun kam eine weitere Angst dazu, die Angst vor sich selbst. Zu allem Übel wurde sie im März zum dritten Mal schwanger. Diese Situation überforderte sie nun vollkommen. Jetzt, wo sie ständig starke Tabletten nahm, die man während einer Schwangerschaft nicht einnehmen durfte, sollte sie noch ein drittes evtl. geschädigtes Kind bekommen? Trotzdem machte sie sich die Entscheidung nicht leicht. „Vielleicht ist ein drittes Kind auch die Chance für einen Neubeginn?“ Helmut hatte ebenfalls große Bedenken wegen der Tabletten. Ihre Eltern rieten auch zu einer Unterbrechung.

Nun schlief die arme Frau keine Nacht mehr. „Was soll ich bloß tun?“ ging es Tag und Nacht durch Elviras Kopf. Niemals wollte sie ein Kind abtreiben. Jeden Tag hatte sie eine andere Meinung, sie bekam Albträume, hörte nachts Kindergeschrei.

Dann wieder suchte sie sich schon Namen für das Baby aus. Doch dann kamen wieder die Zweifel.

In ihrer seelisch und körperlichen Notsituation fasste sie dann doch schweren Herzens den Entschluss und entschloss sich gegen ein weiteres Kind. Was sollte Helmut mit einer kranken Frau und drei Kindern anfangen? Elvira ließ die „Sache“ über sich ergehen. Außer Helmut und den Eltern erfuhr niemand davon.

Warum nur bekomme ich mein Leben nicht mehr in den Griff? Was ist nur aus mir geworden? Das wollte ich doch alles gar nicht so“. Elvira setzte sich völlig verzweifelt vor den großen Spiegel im Schlafzimmer. Wie lange hatte sie sich nicht mehr so intensiv angesehen. Ein tränenverschmiertes trauriges Gesicht schaute sie an. Jetzt fiel ihr erstmals auf, wie sich die ersten kleinen Fältchen an Augen und Mund bildeten. Die leicht gebogene Nase mit dem kleinen Höcker, schien sie in dem fraulich gewordenen Gesicht weniger zu stören als in den Jugendjahren. Aber wie sahen denn ihre Haare aus? Die Blondierung wuchs heraus. Das Naturhaar hatte längst überhand genommen. Wie hasste sie diese glanzlose Mischfarbe der meisten Mitteleuropäer. „Warum hat mich das alles in den letzten Wochen nicht mehr gestört? Ich will das nicht. Ich möchte endlich wieder gesund werden und das Leben genießen!“ Ich werde jetzt zum Friseur gehen. Ich muss es einfach schaffen, wieder allein auf die Straße zu gehen. Kaum aber war sie ein paar Schritte gelaufen, setzten die alten Ängste wieder ein. Es war, als ob der Boden unter ihr wegrutschen würde und das hilflose schreckliche Angstgefühl übermannte sie wieder vollkommen. „Ich will das nicht, ich will das nicht!“ Um abzukürzen lief sie einfach über den Rasen und gelangte atemlos in den Friseurladen.“ Die Termine sind schon für die nächsten drei Wochen vergeben!“ erhielt sie zur Antwort auf ihre Frage. Und schon war Elvira wieder auf der Straße. „Warum habe ich nur daran nicht gedacht!“ Ihre Panik steigerte sich immer mehr. Atemlos mit hochrotem Gesicht stürzte sie auf ihr Haus zu. „Nur noch die Treppen, dann hab ich’s geschafft!“ Auf dem Sofa gelandet, war ihr alles schon wieder gleichgültig.“ Woher kommt diese Panik? Ich schaffe alles nicht mehr! Was hat das Leben noch für einen Sinn!“

In der Hoffnung auf ärztliche Heilung verharrte die junge Frau bis zur Einweisung in die Nervenklinik nur noch daheim und lebte auf diesen Tag hin. Seit einigen Wochen war sie krankgeschrieben und froh, das Haus nicht mehr verlassen zu müssen. Die Einnahme der Tabletten steigerte sie auf eine so hohe Dosis, dass sie sich in Dauertrance befand. Endlich, nach fünf Monaten Wartezeit hatte sie dann einen Termin.

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staunistauni Offline

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