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Thursday, 18. April 2024
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Tagebuch staunistauni
 1989-06-21 hh:mm
Knisternde Stasi-Atmosphäre

 

Die letzten Monate vor dem Beginn der Wende fühlten sich eigenartig an. Durch die Öffnung des Stacheldrahtzaunes beim PAN-Europa-Treff in Ungarn waren die immer unzufriedener werdenden Menschen hellhörig geworden. Außerdem hatten die jetzt häufiger genehmigten Reisen nach dem Westen die Menschen neugieriger gemacht.

Auch Diejenigen, die keine Verwandten in der Bundesrepublik hatten und somit keine Pakete erhielten und sich im Intershop nur die Nase plattdrücken konnten, wollten auch reisen. Sie wollten auch so schöne Dinge haben, wie man sie im Westen kaufen konnte. Sie wollten auch Bananen essen!

Die bisherige Angst vor den anderen Mitmenschen verflog langsam. Immer öfter sprachen fremde Leute beim Schlangestehen über ihre Unzufriedenheit. Es war wie ein plötzliches Aufatmen, was gut tat, aber auch gefährlich schien. Es herrschte eine knisternde Atmosphäre. Auch im Betrieb sprachen die Kollegen plötzlich offener miteinander, nur die, denen man eine Stasiverbindung nachsagte, wurden gemieden.

In Elviras Abteilung hatte eine junge Frau mit ihrem Mann und den beiden Töchtern den Ausreiseantrag gestellt. Eines Tages kam Elvi morgens etwas früher zur Arbeit und durfte nicht an ihren

Arbeitsplatz. So etwas hatte es noch nie gegeben. Erst als zwei Funktionäre den Raum verließen, konnten die Kollegen an ihre Schreibtische. An diesem Tag lief eine Baubesprechung. Es waren also außer Petra, so hieß die Kollegin mit dem Ausreiseantrag, Elvira, der Abteilungsleiter Christian Rudolf und noch drei weitere Kollegen anwesend. Es wurde an diesem Tag so ernsthaft gearbeitet, dass der Abteilungsleiter jedes private Wort sofort abschnitt. Er machte somit jedwede private Unterhaltung unmöglich. Es herrschte eine komische, knisternde, eiskalte Atmosphäre. Die dienstlichen Telefongespräche, die Elvira führte, waren kaum zu verstehen. Es rauschte in der Leitung. Da rief sie in der Verwaltung an und bekam den Kollegen Wimmer, der meistens einen kleinen Rausch hatte, an den Hörer. Sie fragte ihn: „Was ist denn heute mit dem Telefon los, dass stört ja ganz heftig?“ Darauf seine alkoholisierte Stimme: „Ach so, da ist bloß das Ding locker, was ich dran klemmen musste.“

Das konnte doch nur ein Mithörgerät von der Stasi gewesen sein! Abteilungsleiter Rudolf, der wahrscheinlich von der Aktion unterrichtet war, hatte garantiert deswegen darauf geachtet, dass keiner etwas spricht, was seinen Mitarbeitern geschadet hätte. Später in einer Gewerkschaftsversammlung im Speiseraum wurde Elvira Zeuge, als ein Mitarbeiter der Verwaltung dem auch anwesendenden Parteisekretär ein Schächtelchen übergab.

Wenn das keinen Zusammenhang hatte!

 

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1989-06-21 hh:mm