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Friday, 19. April 2024
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Tagebuch staunistauni
 1947-10-01 hh:mm
Ein "fremder" Heimkehrer

 

Zum Glück wurde Lotti Schrader wieder richtig gesund und holte dann schnellstens ihre drei Kinder aus dem Heim. Das Leben war nun wieder etwas ruhiger geworden. Dafür kam ein weiterer ungebetener Gast in beinahe alle Familien – der Hunger.

Während Lotti Schrader versuchte etwas Essbares für die Familie heran zu schaffen, ließ sie doch hin- und wieder mal ihre Kinder hinter verschlossener Wohnungstür zurück. Sie hielten sich natürlich nach der strengen Regel, verhielten sich still und öffneten niemandem. Wurde Elvira einmal ganz allein gelassen, dann geriet sie voll in Panik, aus Angst, die Mutter könnte nicht wiederkommen. Sie erzählte niemandem davon und wurde erst dann wieder „normal“, wenn sie nicht mehr allein war.

Als Elvira vier Jahre alt war, klingelte es eines Tages stürmisch an der Tür. Wie immer, wenn es läutete, verharrte Lotti in einer Starre, die sich natürlich auch auf die Kinder übertragen hatte. Unter den russischen Soldaten war eine „gewisse Adresse“ im Haus bekannt. Oftmals klingelten diese, um eine bestimmte Dame zu finden, an den falschen Türen.

Die drei Kinder verhielten sich auch diesmal wieder wie ein eingespieltes Team. Peter schlich auf allen Vieren zum Briefkastenschlitz und flüsterte: „Ich sehe schwarze Stiefel!“ „Pst“, machte die zur Säule erstarrte Mutter. Hans-Jürgen war inzwischen auf leisen Sohlen an die Tür gelangt, schaute durch das Guckloch und sagte fast etwas zu laut: “Da steht ein ganz schrecklicher Mann mit einem Bart!“ Elvira verstand die Welt nicht mehr, als ihre ängstliche Mama, nachdem dieser Mann: „Aber Lottchen, mach doch endlich auf!“ gerufen hatte, die Tür öffnete und diesen schrecklichen schmutzigen Kerl umarmte. Nach einigem Zögern taten dies auch ihre Brüder und jubelten: „Vati ist wieder da!“ Nur die kleine Elvi hielt sich zurück und konnte es nicht glauben, dass dieser Mann von nun ab bei ihnen wohnen sollte.

Es dauerte gar nicht lange und Elvira, die der Vati nur seine „Elfe“ nannte, hatte sich mit ihrem Vater angefreundet. In der Familie war es, seit er wieder daheim war, viel entspannter geworden. Der Vater setzte alle seine Beziehungen, die er im Krieg als Spieß geknüpft hatte ein, um etwas Essbares für seine fünfköpfige Familie zu beschaffen. Was schleppte der kleine schlanke Mann nicht alles herbei. Von einem Bauern bei Bautzen holte er Körner. Diese trug er dann in eine Mühle und bekam dafür Rapsöl. Dieses gab es dann zu Kartoffeln und Salz. Auch schleppte er einen Riesensack mit Kartoffeln an. Äpfel pflückte er bei einem anderen guten Kriegskameraden.

Zum ersten Mal wanderte die Familie gemeinsam in die Umgebung. Bisher kannten die Kinder eigentlich nur den Weg bis zur Elbe. An den ersten Besuch einer Gaststätte erinnerten die Eltern später oftmals. Damals hatte ihre Jüngste, die als Instrument nur das Klavier kannte, auf den Geigenspieler gezeigt und gerufen: „Schaut, der hat ein Klavier mit `ner Peitsche!“

Vati konnte trotz seiner Sorgen so lustig sein und so tolle Geschichten von Rübezahl erzählen. Das Tollste aber war, dass das Klavier, auf dem die Kinder nie klimpern durften, endlich zum Leben erweckt wurde. Wenn Vater spielte, standen alle dabei und sangen all die lustigen Lieder, aber auch traurige Soldatenlieder. Dem sensiblen Peter rollte dabei manche Träne über die dicken Wangen.

Einige dieser traurigen Lieder sind allen drei Geschwistern lebenslang nicht aus dem Kopf gegangen. Später schüttelten sie den Kopf darüber, wie ein Vater so etwas mit seinen Kindern singen konnte. Möglicherweise hatte Alfred Schrader durch die schlimmen Kriegserlebnisse und durch die acht Trennungsjahre von Frau und Kindern das Gefühl für die Sensibilität von Kindern verloren.

 

Eines dieser Lieder hatte folgenden Text:

 

 

 

Schon die Abendglocken klingen,

alles neiget sich zur Ruh`.

Vöglein singen Abschiedslieder,

Sonne sinkt dem Westen zu.

 

In dem Kloster gehet leise

Eine Nonn` in schwarzer Tracht.

Betet für den armen Krieger,

der verwundet in der Schlacht.

 

 

Beine sind ihm abgeschossen

Und dazu der rechte Arm.

Tapfer hat er mit gefochten

Für sein „teures“ Vaterland.

 

 

Leise klopft es an die Pforte,

ein alt` Mütterlein tritt ein.

Sagt, liegt hier mein Sohn verwundet?

Möcht` gern seine Pfleg`rin sein.

 

Und die Mutter tritt zum Bette,

zieht das Leichentuch herab.

Und ein Aufschrei, sie sank nieder.

Mönche grabt für Zwei ein Grab.

 

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