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Tagebuch staunistauni
 1973-06-01 hh:mm
Der große Irrtum und seine Folgen


Helmut war noch auf der Schule in Bautzen, da klingelten am 8. März 1973, dem „Internationalen Frauentag“, zwei Offiziere von der Polizei an Schefflers Tür. Zwei hochrangige Polizisten brachten einen Blumenstrauß und ein Geschenk und dankten Elvira dafür, dass sie für die Qualifizierung ihres Mannes so großes Verständnis aufbringen würde. Sie erzählten, dass der Stabsschef des Polizeiamtes Dresden bei Helmut in Bautzen gewesen war und ihm die Auszeichnung für „Fünfzehn Jahre treue Dienste“ und eine Prämie für gutes Lernen gebracht habe. Außerdem habe er mit ihm die Kaderperspektive festgelegt. Nach Abschluss des Schirrmeister- Lehrganges, Erwerb des Fahrlehrerscheines und einer weiteren Berechtigung für das Bedienen von Spezialfahrzeugen und –anlagen war Helmut für ein weiteres externes Studium an der Schule für Versorgungsdienste des MdI in Bautzen vorgesehen. Das Ziel dieser Qualifikation lautete: Kfz-Offizier im Amt Dresden.

Elvira war sehr erfreut. Das war ja eine Riesenüberraschung. Nun würde es bei den Schefflers richtig aufwärts gehen. Helmut hatte also alles gegeben und es gab für ihn eine gute Perspektive.

30.05.1973

 

Genau in dieser Zeit beantragte Elviras Bruder Hans-Jörg, der inzwischen in Hamburg lebte und Frau und zwei Töchter hatte, die Einreise in die DDR. Die gesamte Familie wollte gemeinsam das Osterfest verbringen. 1970, als der kleine Dirk geboren wurde, hatte sich Hans-Jörg das erste Mal seit Jahren wieder in die DDR getraut. Im Passierscheinabkommen von 1969 und im Grundlagenvertrag BRD/DDR war allen DDR-Flüchtlingen die Einreise ohne Bestrafung zugesichert worden. Sämtliche Familienmitglieder hatten sich auf Anhieb gut verstanden und freuten sich nun auf das nächste Treffen. Helmut, der gerade frisch geschult war, meinte, diesen Westbesuch unbedingt bei seiner Dienststelle melden zu müssen. „Es passiert mir gar nichts, ich muss nur der Ordnung halber der Anweisung von „OBEN“ Folge leisten. Viel schlimmer ist es, wenn ich es nicht melde und sie erwischen mich. Dann könnte es sogar sein, dass ich rausfliege.“

Elvira sah das zwar nicht ein: „Der Besuch kommt doch zu meinen Eltern und nicht zu uns! Wenn wir uns heimlich treffen, kriegt das doch keiner mit!“

Aber der überaus korrekte Helmut ließ sich nicht von seiner Geradlinigkeit abbringen und informierte seinen Klassenleiter vom bevorstehenden Westbesuch. Dieser fragte ihn, ob der Besuch bei den Schwiegereltern wohnen würde. Als Helmut das bejahte, meinte der Klassenleiter: „Da kann ja nichts passieren. Ich muss nur den Politleiter der Schule informieren.“

Damit, meinte der gutgläubige Helmut, wäre die Angelegenheit erledigt.

 

Eines Abends, die Jungen schliefen schon, flogen ein paar Steinchen gegen die Wohnzimmerscheiben der Schefflers. Vorsichtig versuchte Elvira zu erspähen, wer sich wohl diesen Scherz erlaubt habe. Helmut konnte es eigentlich nicht sein, denn der befand sich an diesem Wochenende bei einem Arbeitseinsatz im Sprengstoffwerk Schönebeck/Elbe. Und doch, er war es! „Was machst du denn hier?“ rief sie freudig. „Na, so eine Überraschung!“ „Ich bekam heute Bescheid, dass ich mich morgen früh in meiner Dienststelle zu melden habe!“ Sie rätselten noch eine Weile, welchen Grund es wohl dafür geben würde und waren dann der Meinung, dass es sich wohl um seine geplante Weiterbildung handeln würde. Voller Freude über den unverhofften Besuch schlief das Paar seelenruhig ein. Es war aber die Ruhe vor dem Sturm!

Der Gesprächstermin im Polizei-Amt war auf 8.00 Uhr festgesetzt. Fünf der leitenden Genossen saßen Helmut gegenüber.

Es waren: Der Amtsleiter, der Stabschef, der Parteisekretär, der Kfz-Offizier und der Schirrmeister.

Als erstes wurde ganz deutlich gesagt, dass Angehörigen der bewaffneten Organe der Umgang mit westdeutschen Bürgern verboten ist. Dann erfolgte eine Art Vernehmung.

 

Helmut verfasste damals nachstehendes Protokoll :

 

 

Frage v. Parteisekretär: „ Haben Sie briefliche Verbindungen

Mit Ihrem Schwager?“

 

Antwort v. Helmut: „Nein, nur meine Frau schreibt zu den

Geburtstagen und an Festtagen.“

 

Frage v. Parteisekretär: „Erhalten Sie Pakete?“

 

Antwort v. Helmut: „Selten und wenn, dann sind Sie an

an meine Frau gerichtet.“

 

 

Der Stabschef stellt Alternativen für Helmuts Verhalten:

 

entweder: 1. „Sie und ihre Frau brechen sofort

sämtliche Verbindungen mit der

Familie Ihres Schwagers ab.

 

Antwort v. Helmut: „Das kann ich meiner Frau nicht

verbieten!“

 

oder: 2. „Wir unterbreiten Ihnen ein

großzügiges Angebot:

Wir versorgen Ihnen und Ihrer

Familie für die Zeit der

Anwesenheit Ihrer Verwandten

einen Ferienplatz, damit ein

Zusammentreffen mit den

Bundesbürgern verhindert wird.

 

Antwort v. Helmut: „Während der Schulzeit werde ich

meinen Sohn nicht einfach aus

der Schule nehmen.

Außerdem dürfen Westdeutsche

auf Grund der Verträge einmal

jährlich ihre Verwandten in der

DDR besuchen. Dann müsste ich

jedes Jahr mit meiner Familie

vor meinem Schwager ausreißen.

 

 

oder: 3. „Wenn das alles nicht geht,

haben Sie die Möglichkeit auf

das Volkspolizei-Kreisamt zu

gehen und einen „Sperrvermerk“

auf der Akte Ihres Schwagers an-

bringen zu lassen. Damit dürfte

dieser die DDR nie wieder

betreten. Ihre Schwiegereltern

würden nie erfahren, dass Sie

der Veranlasser dieses

Sperrvermerks“ waren.

 

 

 

Antwort v. Helmut: „Meinen Sie, meine

Schwiegereltern seien so dumm,

dass sie sich nicht denken

könnten, woher diese Maßnahme

stammt.“

 

Alle Anwesenden stimmten dafür, dass der Parteisekretär und der Stabschef mit Helmut gleich zum Betrieb von Elvira fahren würden, um ihre Meinung zu den gemachten Vorschlägen zu hören.

Wenn Ihre Frau absolut nicht einverstanden ist, dann gibt es auch noch andere Wege über die wir anschließend reden könnten“, hatte Helmut noch zuletzt vernommen.

In Elviras Betrieb angekommen, musste Helmut vor der Eingangstür warten und durfte nicht vor der Aussprache mit Elvira in Kontakt kommen. Der Stabschef und der Parteisekretär meldeten sich zuerst beim „Direktor für Ökonomie“, Herrn Eckart Stamm. Elvira hatte gerade ein paar Akten ins Sekretariat zu bringen, da sah sie im Vorzimmer des Herrn Stamm zwei blaue Offiziersmützen liegen. Sofort ahnte sie, dass dieser Besuch mit ihr im Zusammenhang stehen würde. Sie schaute instinkttief vor die Eingangstür. Da stand ihr braver Ehemann vor der Tür und wartete, dass man ihn irgendwann zur Aussprache hinzuzog. So hatten die beiden ganz kurz noch die Gelegenheit, um sich gegenseitig zu bekräftigen, dass sie zusammenhalten und auf den familiären Kontakt nicht verzichten würden. Elvi setzte sich unter ungeheurer Anspannung wieder an ihren Arbeitsplatz und wurde nach geraumer Zeit, natürlich ohne ihren Mann, ins Zimmer des Fachdirektors geholt.

Man unterbreitete ihr die gleichen Fragen, die sie ähnlich wie Helmut beantwortete.

Warum wollen Sie Ihrem Mann die berufliche Karriere verbauen, wegen einem Bruder, der unseren Staat verraten hat, der so weit weg wohnt und Sie eh´ nichts von ihm haben?“

Nun machte es Elvira trotz der Aufregung, in der sie sich befand, langsam Spaß, die Sache auszureizen. Jetzt wollte sie es einfach wissen, wie weit die Herren gehen würden.

So fragte sie: „Angenommen, wir stimmten dem `Sperrvermerk` zu und mein schon etwas betagter Vater würde sterben? Dürfte dann mein Bruder wenigstens zur Beerdigung des Vaters kommen?“

Die Antwort des Parteisekretärs lautete: „In so einem Falle könnte man ja mal eine Ausnahme machen. Es lässt sich alles regeln. Ein Friedhof hat schließlich mehrere Eingänge, da könnten Sie einen anderen Zugang als ihr Bruder benutzen und dann auf die gleiche Weise nach der Trauerfeier wieder verschwinden.“

Solche Machenschaften gehen mir gegen meine menschlichen Gefühle, ich werde mich niemals gegen meine Familie entscheiden!“

Ihr Bruder hat sich auch gegen die Familie entschieden“, musste der Kerl noch hinterher rufen, als Elvira wutentbrannt das Zimmer des Direktors verließ.

Herr Stamm hatte zu der ganzen Angelegenheit nichts beigetragen, aber Elvira sah an seinen Blicken, das sie ihm unendlich leid tat. Wieder am Arbeitsplatz angekommen, war Elvira total außer sich. Erst jetzt begann sie heftig zu weinen. Justitiar Kurt Helbig bekam aus ihr nur ein paar zusammenhanglose Fakten heraus, das genügte ihm aber, um ihr für den weiteren Tag freizugeben.

Die Offiziere waren inzwischen wieder bei Helmut und ordneten an:

Morgen früh 8.00 Uhr kommen Sie zur Aussprache in die Dienststelle. Wir hoffen, Sie entscheiden sich für uns!“

Zuhause angekommen, waren Elvira und Helmut natürlich völlig fertig. „Wie sollte es nun weitergehen?“ Auf alle Fälle stand für beide hundertprozentig fest: „Mit Menschen wie diesen wollen wir nichts gemeinsam haben. Wir bleiben bei unserer Auffassung – komme es wie es wolle!“

Mit so einer Reaktion auf Helmuts ehrliche Meldung hatte das Paar überhaupt nicht gerechnet. Helmuts vorgezeichneter beruflicher Weg schien abrupt beendet. Die beiden waren total durcheinander. Sie konnten die Nacht kaum schlafen. Gegen Morgen nahmen sie Beruhigungspillen und wachten erst 8.30 Uhr auf. Helmut war so fertig, dass ihm die verpasste Aussprache gleichgültig war. Elvi war unfähig überhaupt das Bett zu verlassen. Nun war alles nur noch egal.

Kurze Zeit später stand ein Unterleutnant vor der Wohnungstür, um zu sehen, wo Helmut bliebe. Auch Justitiar Helbig und Elviras nette Kollegin Sabine Mann wollten nach ihnen schauen.

Womöglich dachten sie, die zwei hätten sich nach dem gestrigen Tag etwas angetan.

So fuhren Helmut und Elvira dann mit weichen Knien, jeder mit seinen Kollegen, zur Arbeit.

Helmut wurde gleich wieder in die Mangel genommen. Alle drei Vorschläge vom Vortag wurden noch einmal durchgesprochen und von Helmut wieder genauso wie am Vortag beantwortet.

Der Parteisekretär wiederholte seine Worte. „Es gäbe ja auch noch andere Wege!“

Nachdem die Aussprache aus der Sicht der anwesenden Offiziere sinnlos war, schloss der Amtsleiter die Sache mit den Worten ab: „Wenn das so ist, hat es keinen Sinn mehr, dass Sie in den Reihen der bewaffneten Organe bleiben. Entweder Sie oder wir machen einen Aufhebungsvertrag!“

Helmut wusste, dass es nach einem Rausschmiss von der Polizei fast unmöglich war, eine ordentliche Arbeit zu finden und sagte damals die folgenschweren Worte: „Dann mach i c h den Aufhebungsvertrag!“

 

Nach Beendigung der Aussprache interessierte es Helmut nur noch, welchen miesen Joker der Parteisekretär parat gehabt hätte. Er tat so, als würde er wirklich noch nach einer Möglichkeit für sein Bleiben suchen und fragte: „Was meinten Sie denn für Möglichkeiten, wie ich meine Uniform doch noch anbehalten könnte?“

Nach einigen sprachlichen Verrenkungen sagte der Parteimensch: „Eine weitere Möglichkeit wäre eine Scheidung von ihrer Frau. Gründe ließen sich ganz schnell finden. Sie brauchen nur sagen, dass Ihnen ihre Frau kein Frühstück macht, wenn Sie zum Dienst gehen. Das würde schon genügen.“

Helmut riss sich noch ein letztes Mal zusammen: „Bei den langen Versöhnungsterminen würde eine Scheidung doch viel zu lange dauern!“ „In Ihrem besonderen Fall wäre das sicher kein Problem, da könnten wir ein wenig nachhelfen“, war die Antwort.

Jetzt war Helmut nicht mehr zu halten: „Ach so, Ihr habt uns gelehrt, dass die Familie die kleinste Zelle im Staat ist und dass man sie pflegen und erhalten soll. Und jetzt wollt Ihr mit einem Handstreich meine Familie zerstören!

D a f ü r b e d a n k e i c h m i c h !“ Er krachte die Tür lautstark zu und ging.

 

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