Willkommen auf Tagtt!
Thursday, 25. April 2024
Tagebücher » staunistauni » News, Bilder, Videos - Online
Tagebuch staunistauni
 1977-06-15 hh:mm
Bis zur letzten Konsequenz


Da Elvira nur selten in die Berge kam, machte sie sich über die Höhenangst keine weiteren Gedanken. Eigentlich ging es ihr ganz gut, nur hin und wieder packte sie noch eine undefinierbare Unruhe. Helmut fand auch keinen inneren Frieden. Man hatte in seiner Abteilung einen jungen Kraftfahrzeugschlosser, den Karsten Brendel, eingestellt. Dieser konnte seinem Vorgesetzten in technischen Dingen einiges vormachen, weil Helmut ja kein Metallfacharbeiter war. Das belastete ihn als Chef von Karsten natürlich sehr. Außerdem ängstigte ihn, dass ihn des öfteren ein Typ von der Stasi besuchte, um Helmut nach Unregelmäßigkeiten, wie Diebstählen usw. auszufragen. Er hätte solche Vorkommnisse sowieso nicht durchgehen lassen. Was also wollte dieser Stasimann von ihm? Hatte man ihn ohne seine Zustimmung und ohne seine Unterschrift als IM registriert? Dieses ungute Gefühl festigte sich in seinem Hinterkopf. Außerdem hatte Helmut mit seinen Vorgesetzten immer wieder Probleme beim Schreiben der Arbeitsstunden-Nachweise seiner Beschäftigten.

Da es oft vorkam, dass kein Material vorhanden war, kamen die Schlosser nicht auf ihre Stunden. Schrieb er das wahrheitsgetreu auf, gab es Ärger mit den Vorgesetzten. Also hätte er bei der Abrechnung lügen müssen.

Fast alle Leiter in der sozialistischen Planwirtschaft mussten ihre Zahlen zusammenschwindeln. Aber doch nicht Helmut! Er war so ehrlich und versuchte immer wieder dabei zu bleiben. Doch das funktionierte in der DDR nicht. Das Ende vom Lied waren Magenschmerzen, Magenbluten und wieder Nierensteine.

Der nächste Stein machte sich ausgerechnet im Urlaub bemerkbar.

Der gemietete Wohnwagen stand auf einem Zeltplatz am Knappensee. Zum nächsten Ort waren es einige Kilometer. Kein Arzt, kein Telefon in der Nähe. Der damals gerade elfjährige Jörg rannte los und meinte: „Ich werde schon irgendwo einen Arzt finden!“ Er lief in eine x-beliebige Richtung und kam nach langer Zeit mit einem Krankenwagen, den er unterwegs gestoppt hatte, zurück. Im Krankenhaus Senftenberg wurde seinem Papi dann soweit geholfen, dass dieser wenigstens das inzwischen gepackte Auto wieder heimfahren konnte.

Das war allerdings nur die erste von zweiundzwanzig schlimmen Nierenkoliken gewesen.

Als bei der schlimmsten Kolik nicht einmal die Morphiumspritze des Bereitschaftsarztes half, bekam er eine Krankenhauseinweisung. Nach einer Stunde stand der geplagte Mann mit gepackter Tasche wieder vor der Wohnungstür. „Ich bin kein Fall fürs Krankenhaus, bei Nierensteinen kann mir dort auch keiner helfen!“ Irgendwann hatte er den feingezackten Stein dann doch herausgebracht, aber im nächsten Jahr ging das Theater von vorn los.

Elvira, der ihr Mann schrecklich leid tat, war der Meinung, dass Nierensteine „gebären“ schlimmer sei als Kinderkriegen. Da es sich bei den Steinen um sogenannte „Ärgersteine“ handelte, fragte sein Doktor nach den Problemen von Helmut und sagte ihm: „Wenn Sie Ihren Ärger nicht ganz schnell vergessen, dann kriegen Sie die Steine nie wieder los.“

Um die Sache endlich abzuschließen, beschloss Helmut, nun endlich aus der Partei auszutreten, komme es wie es wolle. Eines Tages im Jahre 1977 legte er sein „Dokument“ auf den Tisch des Parteisekretärs und sagte: “Hier ist mein Parteibuch – ich möchte keine Diskussionen über meinen Austritt!“ Die Parteileitung blieb ruhig, es passierte gar nichts. Zum großen Erstaunen durfte Helmut seine Stelle behalten und alles lief weiter wie zuvor.

Elvira wäre am liebsten gleich diesem Schritt gefolgt. Doch Helmut hatte Angst, dass man seine eben erst genesene Frau fertig machen würde. „Warte noch ein bisschen, bis über meinen Austritt etwas Gras gewachsen ist!“

 

Kommentare

Noch keine Kommentare!
Kommentieren


Nur für registrierte User.

staunistauni Offline

Mitglied seit: 19.07.2012
81 Jahre, DE mehr...
Wirklich beenden?
Ja | Nein

1977-06-15 hh:mm