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Tagebuch staunistauni
 1959-08-23 hh:mm
  Das Sommerzeltlager auf der ...

 

Das Sommerzeltlager auf der Insel Rügen für Eisenbahnlehrlinge war so kostengünstig, dass es sich jeder Lehrling leisten konnte. Elvira liebte es von jeher in einer Meute zu sein. Nach schweren Diskussionen hatte sich das Mädchen diesmal die Erlaubnis vom Vater eingeholt, mitzufahren.

Noch vorher, Anfang Juli, an einem Sonntag, wurde dringend ein Lehrling auf dem Hauptbahnhof benötigt, um bei der Kinderferienaktion zu helfen. Keiner hatte Lust dazu, es war wundervolles Wetter und jeder wollte an diesem Sonntag zum Baden gehen. Herr Büchner musste aber unbedingt einen Lehrling zum Einsatz melden. Da nutzte er es aus, dass Elvira sicher wieder nicht „Nein“ sagen würde und bestimmte sie dafür. Sie war zwar stinksauer auf ihn, trat aber brav die Sonntagschicht an, die später für ihr ganzes Leben entscheidend sein sollte.

Bei der Kinderferienaktion hatten die Mitarbeiter die Aufgabe Bestellzettel zu schreiben und an die Fenster der Zugabteile zu kleben. Außerdem brachten sie die Kindergruppen in den Abteilen unter. Außer ihnen waren es noch die Transportpolizisten, die für einen reibungslosen Ablauf sorgten. Manche begleiteten dann die Kinder bis zu ihren Ferienorten. Die Eisenbahner hatten eine Menge Arbeit, während die Polizisten nur immer warteten bis der nächste Zug kam. Einer von ihnen, ein gewisser Helmut Scheffler, sah die viele Arbeit und überlegte nicht lange, setzte sich dazu und half den Eisenbahnern, bis alles fertig war. Das hatte Elvira imponiert. Jetzt sah sie sich den jungen Mann, der sie immer so von der Seite beobachtete, genauer an und fand Gefallen an ihm. Nach Dienstschluss ließ sie sich von ihm nach Hause bringen.

Die beiden kannten sich gerade mal vier Wochen, da begannen die langerwarteten Ferien im Zeltlager. Vier von den sechs weiblichen Lehrlingen waren dabei und etliche von den Jungen. Diese hatten sich schon vorher ausgemacht, wer mit wem, in den Ferien „gehen“ sollte. Für Elvira war natürlich wieder der um sie werbende Conrad Meister zugedacht. Als die Mädchen merkten, dass sie „verkuppelt“ werden sollten, schworen sie, Rache zu nehmen. Jede sollte sich schnellstens einen anderen Freund anlachen. Der Plan funktionierte ziemlich schnell. Es dauerte gar nicht lange, da ging jede mit einem Jungen Hand in Hand. Die männlichen Mitlehrlinge hatten mächtige Wut und das war so gewollt. Nun hatte Elvira aber nicht damit gerechnet, dass der strohblonde Frank, den sie sich ausgewählt hatte, so sentimental und anhänglich war. Er ließ ihr einfach keine Ruhe mehr und tauchte überall auf. Um ihn loszukriegen, erzählte sie ihm, dass sie in Dresden einen festen Freund hätte. Jetzt ging das Drama erst richtig los. Er war darüber so traurig und erzählte ihr, dass er noch nie so verliebt gewesen sei und es nicht überstehen würde, wenn sie sich gegen ihn entschied. Daraufhin war er einen ganzen Nachmittag verschwunden. Als er am Abend immer noch nicht auftauchte, machten sich einige auf die Suche nach dem sensiblen Frank. Ganz weit draußen sahen sie ihn in der Ostsee schwimmen. Später sagte er seiner Auserwählten: “Hättet ihr mich nicht gerufen, dann hätte ich mich wirklich ertränkt.“ Damals hat das Elvira schon ziemlich beeindruckt. Sie wollte nicht schuld am Tod von Frank sein. Sie diskutierte die ganze Nacht mit einem anderen Mädchen. Diese meinte: „Sieh das doch nicht so verbissen! In unserem Alter kann man auch zwei Freunde gleichzeitig haben“. Frank suchte immer wieder Elvis Nähe und aus Angst vor weiteren Katastrophen traute sie sich nun nicht mehr, ihm eine volle Absage zu erteilen. Bis zum Ferienende ließ sie ihn zwischen Bangen und Hoffen pendeln. Nach den Ferien würde das alles schnell in Vergessenheit geraten, dachte sie, aber sie sollte sich täuschen. Noch bis zu ihrer Hochzeit versuchte Frank, sie durch Briefe oder plötzliches Erscheinen umzustimmen.

Wieder in Dresden angekommen, freute sich Elvira auf ihren Helmut. Er war schon viel reifer als Frank. Sie trafen sich immer öfter. Lange konnte sie das vor den Eltern nicht mehr verheimlichen. Allerdings musste sie es ihrem Vater vorsichtig beibringen. Mutti half ihr dabei. Dass seine Elfe nun einen Freund hatte, akzeptierte der Vater so einigermaßen. Das Schlimmste stand aber noch bevor. Alfred Schrader hatte immer gesagt: “Bringe mir bloß keinen in Uniform!“

Nun hatte sich die Tochter gerade in einen von der Polizei verguckt und war auf das Schlimmste gefasst. Diesmal wollte sie nicht nachgeben, das stand für sie fest.

An einem Sonntag hatte sie sich mit Helmut für den Nachmittag verabredet. Vati wollte sie nicht gehen lassen, weil er inzwischen von Helmuts Beruf wusste. „Was soll das, warum muss es ausgerechnet ein Polizist sein, es gibt so viele andere nette Jungen! Das kommt ja gar nicht in Frage!“ Da bettelte Mutti für ihre Kleine: „Ach lass sie doch gehen, sie heiratet ihn doch deswegen nicht gleich!“ Bedingung, dass Elvira zum Rendezvous durfte, war aber, dass sie den heutigen Treffpunkt verriet. So konnten die Eltern aus der fahrenden Straßenbahn den Freund ihrer Tochter unter die Lupe nehmen. Anscheinend war der Test positiv verlaufen, sie durfte sich jedenfalls weiter mit ihrem Helmut treffen. Am Wochenende gingen sie meist zum Tanzen. Allerdings musste die Sechzehnjährige pünktlich um einundzwanzig Uhr zuhause sein. Sie hielt die Zeit immer ein, auch, wenn sie das letzte Stück, manchmal mit Blasen an den Füßen, rennen musste. Elvira wusste genau, sonst wäre der nächste Ausgang gestrichen worden. Da die Beziehung nun länger hielt als die Eltern es gehofft hatten, durfte sie Helmut sogar mal mit nach Hause bringen. Er gefiel ihren Eltern gut, wobei der Vater immer wieder betonte, dass ihm sein Beruf überhaupt nicht passte.

Elvira verbrachte fast die gesamte Freizeit mit ihrem Freund und fühlte sich sehr wohl, wenn sie mit ihm zusammen war. Mit ihm machte sogar das Spazieren gehen Spaß. Sie verlebten ein wunderschönes Jahr und lernten sich gut kennen. Ihr gefiel seine Zuverlässigkeit und dass er akzeptierte, obwohl er über drei Jahre älter war, dass sie noch nicht näher mit ihm zusammen kommen wollte.

Einfach so mit einem Mann zu schlafen, ohne dass Elvira die Absicht gehabt hätte, für immer mit ihm zusammen zu bleiben, wäre ihr nie eingefallen. Außerdem hätte sie viel zu viel Angst vor einer Schwangerschaft gehabt. Die übertriebenen Sorgen ihres Vaters waren also die ganze Zeit über völlig unnötig gewesen.

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