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Tagebuch stauni
 1991-06-08 hh:mm
Rothenburg ob der Tauber
Samstag, 08.06.1991
Voller Erwartung und in ziemlicher Aufregung machten wir uns frühmorgens mit unserem ersten Westauto, einem silbernen Daihatsu, auf den Weg. Es war ein großes Gefühl der Freiheit, so einfach loszufahren, ohne vorher (wie bei Trabi oder Skoda) alle möglichen Ersatzteile einzupacken und ohne etwas zum Essen und Trinken dabei zu haben.

Wir hatten nur grob geplant, wo wir Station machen wollten. Dort, wo es besonders schön ist, wollten wir uns länger aufhalten. Würde das auch alles gutgehen? Würden wir überall eine unserem Limit entsprechende Übernachtung bekommen? Bei diesem Gedanken kam ein komisches Gefühl im Magen auf, aber der Unternehmungsgeist, den wir in dieser Form noch nie ausprobieren konnten, siegte.
Da wir die bayerischen und österreichischen Berge schon auf Wochenendtouren kennengelernt hatten, zog es uns in Richtung Norden. Viel hatten wir schon von Rothenburg ob der Tauber gehört. Es soll eine der romantischsten Kleinstädte Deutschlands sein. So machten wir dort unseren ersten Halt. Zuerst bestaunten wir die über 1000 Jahre alte Burg und ihre Anlagen sowie die begehbare, völlig erhaltene Stadtmauer in ihrem guten Zustand. Wie sahen im Gegensatz die alten Burgen in der DDR aus? Die meisten von ihnen waren dem Verfall preisgegeben.
O, wie sehr kann man so etwas Wunderbares genießen!



Am Marktplatz, vor dem herrlichen blumengeschmückten Rathaus angekommen, hatte man einen wunderschönen Stadtblick, den sehr viele Leute fotografierten. Eine Malerin hatte sich den gleichen Standort für ihre Staffelei ausgesucht. Unsere Augen konnten gar nicht alles auf einmal aufnehmen. Plötzlich blieb Eberhard stehen: „Schau mal Margit, hier hat mitten im Sommer ein Laden weihnachtliche Auslagen!“ Ungläubig folgte ich meinem Mann in den Laden, der sich als ein riesiges zweistöckiges Haus erwies. Der Weihnachtsladen der „Käthe Wohlfahrt“ setzte uns in sprachloses Erstaunen. Was gab es hier nicht alles zu sehen! Von solchen Dingen konnten wir DDR-Bürger ja nur träumen, wenn wir zwei Stunden in einer Schlange am Weihnachtsmarkt standen, um neuen Weihnachtsbaumschmuck zu „erwischen“.
Selbst Seiffener Holzkunst, wie Pyramiden, Nußknacker, Räuchermänner, Engelkapellen, die seit Jahren nicht mehr in der DDR zu haben waren, standen dort, und – keiner kaufte sie.
Am liebsten hätten wir kräftig zugeschlagen, da ja unser nun als spärlich zu bezeichnender Weihnachtsschmuck mit allen Möbeln und Kleidungsstücken in unserer Dresdner Wohnung geblieben war. Doch leider ließen unsere Mittel so einen Luxus noch nicht zu.
Doch alles Kunstwerk und aller Flitter verlieren an Interesse, wenn sich der Magen bemerkbar macht. Wir schauten uns kurz um und entdeckten eine für uns ganz eigenartige witzige Einrichtung. Zu dieser konnten wir aber kein Vertrauen fassen. Wie sich später herausstellte, handelte es sich um einen „Mc Donald“. So etwas war uns in der kurzen Zeit, die wir in der Bundesrepublik waren, bisher nicht aufgefallen. So stillten wir unseren Hunger dann doch lieber mit den wohl landesüblichen „Schneebällen“ – so eine Art Krapfen!

Eigentlich wollten wir heute noch weiter bis Würzburg, doch dafür war es schon reichlich spät. Kurzerhand hielten wir an einem Sportlerheim in Retzbach und fragten dort nach einer Übernachtung. Wir hatten Glück und konnten gleich bleiben und sogar im Sportcasino essen und trinken. Wie problemlos das alles lief! Wir wurden immer gelassener und dabei auch glücklicher.

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