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Tagebuch Silvanus
2005-08-27 10:52
Romania I (23. 7. - 31. 7.)
Nachdem wir samstags morgens losgefahren sind, gerieten wir keine zwanzig Kilometer vor der österreichischen Grenze in eine Kontrolle bayrischer Drogenfahnder. Sie waren ein wenig sauer, dass sie nichts unerlaubtes bei so offensichtlich kaputt aussehenden Menschen wie uns finden konnten und glaubten uns konsequent kein Wort.

Trotz anhaltender Paranoia passierten wir unbehindert jegliche Grenzkontrollen und kamen Sonntag abend wohlbehalten in Orastie an. Nur, was dann? Unser Grabungsleiter war nicht zu erreichen (wie wir später herausfanden, hatte er sein Handy im Taxi verloren) und wir hatten keine Ahnung, wo sich das Lager befand. Den Weg zum Heimatmuseum fanden wir jedoch noch, wo mich eine meiner größten Herausforderungen erwartete: Ich musste dem Nachtwächter auf Rumänisch erklären, wer wir waren und wo wir hin wollten. Er erklärte sich dann bereit, den Direktor anzurufen, der sich als Bekannter von letztem Jahr herausstellte.
Nachdem wir bei der Unterkunft angekommen waren (ein ungarischer Kindergarten), machten wir uns bei Selbstgebrautem mit den Studenten aus Sibiu bekannt und gingen ziemlich bald schlafen.

KLEINER EXKURS: Rumänische Toiletten bestehen -zumindest im ländlichen Bereich- meist aus nicht mehr als einem Latrinenschacht mit Holzbrett oben drauf, was besonders im Hochsommer zu unkontrollierter Geruchs- und Insektenbildung führen kann. Aber man gewöhnt sich an alles...

Die nächsten vier Tage gruben wir bei brütender Hitze und 4 km Fußmarsch morgens und mittags am Dealul Pemilor (Böhmerberg) aus, wobei wir zunächst mehr mit den neolithischen Siedlungsbstrukturen als mit den ungarischen Gräbern beschäftigt waren. Unsere rumänischen Kommilitonen waren, sofern sie Englisch konnten, sehr hilfsbereit (danke, Laura!) und auch ohne Worte taten alle so einiges, um uns die Arbeit angenehmer zu machen- bis wir eigentlich fast nichts mehr zu tun hatten... Das Essen in der Armenküche war ebenfalls unerwartet gut und sehr reichlich, immer mit Ciorba, Salat, Brot und Nachtisch.
Donnerstag abends gab es ein Abschiedsfest für die Teilnehmer der ersten drei Grabungswochen. Kleiner Trost: Silviu, unser treuer und steter Begleiter bei allen Aventiuren in und um Orastie, sollte noch eine Woche länger bleiben. Immerhin!

Fürs verlängerte Wochenende hatten wir uns einiges vorgenommen. Freitags waren wir mit Silviu und den "Mädels", Laura, Isabella und Nicoletta im Schwimmbad Geoagiu Bai, direkt bei einer alten römischen Therme. Kulturschock pur! Halb Rumänien schien sich hier versammelt zu haben, aus den Lautsprechern dröhnte rumänischer Pop. Lustig war es aber trotzdem, oder eher gerade deshalb.
Nachdem wir noch einen Ausflug in die Muntii Metaliferi gemacht hatten, brachten wir am nächsten Morgen die Mädels zum Bahnhof. Schade nur, dass ich das Angebot ausgeschlagen hatte, bei ihnen zu übernachten. Manchmal weiß ich echt nicht, was mit mir los ist... ;)

Den Samstag verbrachten wir mit ausgiebigem Sightseeing, zunächst in Deva, wo wir fast eine Stunde bei mittäglicher Hitze in der Seilbahn steckten. Anschließend fuhren wir zum Schloß von Hunedoara (Bild). Leider waren nicht so viele Räume zugänglich wie im Oktober letzten Jahres, irgendwie verstörte es mich auch, nach über einer Woche wieder von deutsch sprechenden Menschen umgeben zu sein. Nachdem ich mich also auf die Flucht begeben hatte, fand ich mich in einem Kellergewölbe wieder, ohne Licht. Normalerweise bin ich nicht leicht zu beunruhigen, aber als ich ein seltsames Geräusch, oder eher eine Schwingung, neben mir wahrnahm, drehte ich lieber um. Generell hatte ich an diesem Tag besonders stark das Gefühl, dass ich beobachtet wurde. Ich schien stillschweigend von der Gegenwart eines weiteren Menschen (oder was auch immer) auszugehen, der eigentlich nicht da war. Strange...
Nachdem wir nochmal am verdreckten und schlammigen Stausee Cincis schwimmen waren (wie gesagt, man gewöhnt sich an alles), hielten wir bei Sonnenuntergang am alten Stahlkombinat von Calan und überredeten den Wächter, uns einzulassen. Kaum zu glauben, dass die Anlage erst fünfzehn Jahre stillgelegt ist. Ein riesiges, postapokalyptisch wirkendes Gelände, halb gekippte Hallen aus Beton, und auf den Dächern wahre Wälder von Sträuchern. Ich habe noch nie Endzeit in solcher Perfektion erlebt...
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Sonntags auf dem Weg zum Bäcker besichtigten A. und ich nochmal die Rotunde von Orastie, eine frühe Kirche aus dem 12. Jahrhundert, die wahrscheinlich ungarischen Ursprungs ist. Der umwehrte Kirchhof war offen, da in den beiden Kirchen (lutherisch und calvinistisch, zusammengenommen eine einzigartige Sakraltopographie...) Gottesdienst gehalten wurde.
Am frühen Nachmittag brachen wir nach Sarmizegetusa Regia auf. Das alte religiöse Zentrum der dakischen Kultur liegt hinter Orastie weit in den Muntii Sureani, umgeben von weiteren militärischen Festungen. Die Straße war so schlecht, dass wir sieben Kilometer vor den Ruinen aufgaben und den Rest zu Fuß liefen. Ein seltsames Gefühl, dieses Tal hinaufzuwandern, eine Sackgasse, die in den hintersten Winkel der Wälder führt, hoch über dem Tal des heiligen Berges Kogaionon. Unirdisch schön. Trotz der Wanderer, die man hin und wieder trifft... ;)
Auf dem Weg gehe ich den anderen weit voraus, suche am Gebirgsbach nach einem Stein, den ich als kleines Opfer mitbringen kann. Einen weiteren lege ich in den Bach. Oben laufen wir durch den riesigen römischen Ringwall, in dessen Mitte mich aus einer Baumrinde ein alter Daker anschaut. Scheinbar möchte er nicht fotografiert werden, oder ich finde den richtigen Standpunkt nicht mehr- so verschleiert er sein Haupt wieder. Ich gehe weiter, eine Runde auf dem Wall und den steinernen Prozessionsweg entlang. Im heiligen Bezirk (Bild) hinter dem Ring, wo leider gegrillt und Fußball gespielt wird, setze ich mich auf die Sonnenscheibe, versuche die Stimmen in der Nähe zu ignorieren und lege meinen Stein in die Mitte. Wärme steigt in mir auf, auch wenn mir diese Götter und ihre Riten noch fremd sind. Vor dem Abstieg trinken wir vom "heiligen Wasser", das früher in Rinnen durch die Tempelanlagen floss. Und unten im Bach finde ich wieder den schwarzen Stein.

Es war an Lughnasad.

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