Perfekter Tod
Die Beerdigung fand am Freitag statt. Wobei Beerdigung das falsche Wort ist. Die Ausstreuung seiner Asche.
Um 11.30 Uhr Freitag wurde er verbrannt. Ich hatte Angst vor dem Tag, vor der Uhrzeit und der Ausstreuung.
geschlafen hab ich die ganze Woche fast gar nicht. Ins Bett gehen konnte ich sowieso nicht. Ich hab die Nächte auf seiner Couch verbracht, ferngesehen, immermal ne Stunde bis 2 geschlafen.
Freitagmorgen hab ich immerwieder mit ihm gesprochen. "So Papa, deine letzte Stunde auf Erden ist angebrochen. Noch eine Stunde, dann bist du ganz weg von hier." So hab ich mit ihm die Stunden und Minuten gezählt. Und mir war schlecht. Schlecht vor Angst, schlecht ob dem Gedanken, dass mein zwar nur die Hülle verbrannt wird, aber dennoch mein Vater.
Um fünf vor halb 12 bin wurde ich ruhiger und schlief ein. Bis genau fünf vor 12.55 Uhr.
ich sagte ihm, er hätte es jetzt geschafft und lächelte ein wenig.

Es heisst, Feuer reinigt. Nun ist er gereinigt. Rein von aller allem, allem Leid, allem Weltlichen. Nun ist auch die Hülle fort. Er ist aufgelöst.

Ich hab mich für ihn und mit ihm gefreut.

Zur Ausstreuung kam auch mein Halbbruder. Der mensch, der mir immer nur als Phantom, als Name bekannt war. Ausgerechnet jetzt sollte ich ihn kennenlernen. Ich war so neugierig auf ihn.
ich habe 22 Jahre als Einzelkind gelebt, nie die Erfahrung gemacht wie es ist, Blut zu teilen. Verwandschaft zu teilen.
Es war unwirklich ihn zu sehen. Meinen 43 jahre alten Halbbruder. Aber es war schön. Und Papa war so glücklich. Das weiss ich. Das hab ich gespürt. So wie ich gespürt hab das er die ganze Woche über da war. Nicht neben oder bei mir. Sondern in mir. Er, sein Geist, seine Gefühle waren in mir. Als säße er in meiner Seele wie auf einer Parkbank, in die Sonne lächelnd und den Tag geniessend.
Der ganze Morgen und Nachmittag war grau und stürmisch.
Pünktlich als wir das haus verliessen um zum Friedhof zu fahren riss der Himmela uf und etwas blauer Himmel, Sonne und goldenes Licht kamen hervor. Es war wie in einem kitschigen Film. Unwirklich, unglaublich, aber echt.

Wir standen vor der Streuwiese. Mutti weinte und heulte fürchterlich. Ihr Mascara zog dunkelgraue Linien über ihr Gesicht.
Ich hab nicht geweint. Nicht gemusst.
ich hab den grauen Zylinder angeschaut und gedacht " gleich papa, wart noch ein bisschen, gleich bist du ganz frei. Nichts schränkt dich ein, keine Holzkiste engt dich ein, kein hässlicher Grabstein wird auf dem Kopf ruhen, keine nasse, benutzte Erde dich gefangen halten".
Ich zwinkerte meinem Vater im Zylinder zu. Und ich freute mich mit ihm als seine Asche endlich in gleichmäßigen Bahnen auf die Erde schneite.

ich bin so stolz auf ihn. Er hat seinen Tod perfekt hingekommen. Es war kein leiser alte-Leute-Tod. Er wurde reanimiert, er starb zu Hause. Er fiel, noch bevor er seinen Schreibtisch erreichte. Weil er wusste, das er sonst, wenn er am Tischgesessen hatte, vorüber mit dem Kopf in die Glasplatte gefallen wäre.
Er war die ganze Zeit über bei uns. Er war in mir, hat mir die Kraft gegeben meine Mutter zu stützen, ihr Kraft zu geben und weder ihr noch Simon zur Last zu fallen.
Er hat es geahnt und geplant. Nichts dem Zufall überlassen.

Ich bin stolz auf ihn.