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Friday, 29. March 2024
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Tagebuch Schatten
 1918-11-20 hh:mm
Truppen und Einquartierungen

Seit Anfang der Woche kommen, zu Tausenden, Truppen aller Art auf dem Rückzug über den Rhein hier durch! Vom frühen Morgen bis in die Nacht jagen Autos, Wagen, Gefährte durch die Stadt, anhaltend kommen Truppen gezogen. Wir haben seit 8 Tagen ständige Einquartierung, augenblicklich Bayern, morgen ist der letzte Tag, am Abend des 21. muß die Rheinprovinz von Soldaten geräumt sein. Das Herz blutet, wenn man diese braven Soldaten sieht, die in größter Ordnung, ohne Sang und Klang heimkehren! Wie so ganz anders hatten wir Alles erwartet! Es ist furchtbar, daß sich jetzt das Gerücht verbreitet, das Waffenstillstandsgesuch sei von Ludendorff in einem Anfall nervöser Anspannung gemacht worden u. sei gar nicht nötig gewesen. L. selbst habe, 8 Tage danach, gesagt, daß er sich in Bezug auf die Widerstandsfähigkeit der Front getäuscht habe und daß diese noch weit stärker gewesen sei, als er dachte!! Prinz Max von Baden, der letzte Reichskanzler, veröffentlicht überall eine Art Rechtfertigung seiner Politik und erklärt, daß ihm bei seinem Amtsantritt das Waffenstillstandsgesuch fertig zugestellt wurde, damit die Demokratische neue Regierung es absende; er habe abgeraten und um eine kurze Frist gebeten, doch sei Ludendorff so besorgt gewesen, daß die Front sich nicht halte – und das Waffenstillstandsgesuch wurde abgesandt, welchem wir diesen Jammerfrieden verdanken.- Man darf es nicht ausdenken, daß all dieses Unglück hätte vermieden werden können – der Jammer schlägt uns Armen sonst über dem Kopf zusammen! –

Die durchziehenden Truppen haben noch beste Disziplin, alle tragen noch die Epaulettes! Sie erzählen von dem abscheulichen Benehmen der Lothringer, welche den Durchziehenden noch nicht einen Trunk Wasser geben! Unsere jetzige Einquartierung ist beim Proviantamt! Der Bursche erzählt, daß ganz ungeheure Massen an Nahrungsmitteln: Kakao, Mehl, Konserven etc. in Belgien zurückgelassen werden mußten, da der Rückmarsch zu rasch vor sich ging! Die Bevölkerung habe dann die Lager geplündert! So werden unermeßliche Werte dort verschludert und wir hungern fast! Die herrliche Ordnung des preußischen Militärs zeigt sich noch immer in diesem geordneten Rückzug! Die Verpflegung ist geregelt, jeder Mann hat außerdem noch für 3 Tage „eiserne Ration“. Auch ein kompletter Anzug mit Mantel ist für Jeden da, es ist traurig, die Auflösung aller dieser seit Jahrzehnten bestehenden Bestände anzusehen! Decken, Konserven etc. werden von den Soldaten an die Zivilbevölkerung zu Spottpreisen verkauft. Wie unendlich schwer ist es für ältere Menschen, diese Veränderungen ruhig hinzunehmen, Alles liebgewordene Alte ist gestürzt u. eine unsichere Zukunft liegt vor uns.

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