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Saturday, 20. April 2024
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Tagebuch Schatten
 1919-02-09 hh:mm
Nur mit Widerwillen und Trauer lassen sich die Erlebnisse der letzten Woche aufzeichnen!

Nur mit Widerwillen und Trauer lassen sich die Erlebnisse der letzten Woche aufzeichnen! Ueberall Unruhe, Aufruhr, Gährung der Massen, Tumulte – kurz , man kann keine Zeitung zur Hand nehmen, ohne mit Schrecken und Jammer die Greuel dieser Zeit zu lesen. Seit vorgestern ist in Weimar die Nationalversammlung zusammengetreten und wie erwartet, ist die Hauptzahl der „Regierenden“ rot, d.h. sozialdemokratisch. Was unter solcher Leitung zu erwarten ist, steht klar vor Augen und der Blick in die Zukunft wird immer trüber. In Hamburg und Bremen sind die Spartakusaufstände  durch das Militär niedergerungen, aber am Rhein, in Düsseldorf etc. Elberfeld, Barmen, Essen, Bochum tobt der wüste Kampf weiter. In Düsseldorf ist es am schlimmsten, die Bürger werden von den Spartakisten überfallen, ausgeraubt und wenn sie sich widersetzen, totgeschossen. Die Anzahl der Gefallenen ist beträchtlich und noch immer ist keine Hilfe in Aussicht. Ein gährendes Gift des Bolschewismus wühlt im Innern unseres Volkes und Gott weiß, was uns  Alles noch bevorsteht. Auch hier in dieser kleinen Stadt besteht eine Spartakisten Gruppe, deren schlimmste Glieder merkwürdigerweise zuerst als Arbeiterrat fungierten und die Bürger beraubten und bestahlen – und dann, nach Auflösung des Arbeiterrats zur Bürgerwehr avansirten !! Diese Ultra-Roten halten Versammlungen, in welchen ganz offen und ruhig der Grundsatz aufgestellt wird: Die Besitzenden („Reichen“) müssen sterben. Die Polizei wagt nicht einzuschreiten, um Streit zu vermeiden, aber wenn die Franzosen nicht da wären, so hätten wir längst Mord und Plünderung hier in der Stadt! Offen sagen die Roten: die Revolution in Merzig beginnt erst nach dem Abzug der Franzosen! –

Meine Sehnsucht, dieses Land zu verlassen, wächst mit jedem Tage! Das Leid um das verlorene deutsche Vaterland, der Kummer um das Leben und die Zukunft meines geliebten Kindes und die Sorge um den Verkauf des Geschäftes, das Alles drückt wie ein Alp auf die Seele! Diese Tage sind schwerer, als die Kriegszeit, denn damals hatte man noch die Hoffnung auf den Frieden, während jetzt fast alle Hoffnung auf die Zukunft geschwunden ist! Die Franzosen leben sich immer mehr hier ein, sie suchen die Bevölkerung durch Liebenswürdigkeit zu bestechen, veranstalteten gestern einen Fackelzug und heute ein Konzert vor dem Rathaus. Der bessere Teil der Bevölkerung hält sich natürlich fern von diesen Annäherungsversuchen, aber das Volk läuft mit, wie eine Herde.  ---

Unser Schwager in Metz wurde vor einigen Tagen mit einem Transport von 300 Deutschen nach Strassburg gebracht. Dort wurden die Internisten auf Lastautos über die Rheinbrücke nach Kehl gefahren und freigelassen! Wir sind froh, ihn aus diesem Hexenkessel erlöst zu wissen.

Wo unser armer Junge ist, können wir auch nicht feststellen. Pakete soll man nicht mehr abschicken, sondern nur Geld, da die ersten nur ausgeraubt ankamen! Wie jammervoll und ohne Rechte stehen wir den Franzosen gegenüber! Alle französischen Gefangenen sind längst abgeliefert und 200.000 Deutsche schmachten noch unter frz. Joch!! Das ist der „Rechtsfriede“ des großen Heuchlers Wilson, der jetzt den Vorsitz bei den Friedensverhandlungen dem Deutschenfeinde Clemenceau übergab, damit der Franzose ungestört den alten Haß an uns auslasse! Und dabei gründet man den „Völkerbund“ zur Herstellung eines ewigen Friedens! Wie kann ein derartiges gepeinigtes und unterdrücktes Volk, wie wir, ruhigen Herzens seinen Peinigern gegenüberstehen! Muß nicht in jedem deutschen Herzen Groll und Haß wüten über diese Unterdrückung? Und dann liest man spaltenlange Reden – der Amerikaner, Franzosen und der ewig hetzenden Engländer – „vom kommenden Völkerfrieden!“ – Mit teuflischer List gehen die Franzosen hier vor, jeden Tag eine neue kleine Plage ersinnend. Täglich muß die Straße gereinigt werden, niemand darf auf die Straße gehen ohne seinen Paß bei sich zu haben etc. Es regnet Strafprotokolle zu 5,10,50,100 M., sodaß im letzten Monat allein in Merzig 2000 M. an die Franzosen gezahlt wurden. Wo man hinsieht, Ungerechtigkeit und Anmaßung --- aber unter freundlicher Maske!

In die hies. Volkschulen werden auch französische Stunden eingeführt – man sieht, daß diese Feinde bestimmt darauf rechnen, uns zu kapern! – Wären nur die inneren Unruhen überstanden! Man könnte glauben, das ganze Proletariat sei vom Wahnsinn befallen! Niemand will arbeiten, man bekommt keinen Schreiner oder Schlosser mehr. Die übermäßigen Löhne werden gefordert und, notgedrungen, auch bezahlt! Für die roten Faulenzer wurde von der neuen Regierung eine „Arbeitslosen-Unterstützung“ gegründet, nun arbeiten sie gar nicht mehr! Ein Arbeiter erzählte: „ Mein Sohn und ich erhalten pro Tag M. 9.50 Arbeitslosenunterstützung! Das ist uns genug, da brauchen wir nicht mehr zu arbeiten! Das sind „Zeichen der Zeit“. Heute erschien eine amtl. Bekanntmachung, welche das Backen von Kuchen verbietet! Dies hätte schon lange angeordnet werden müssen! Es fehlt an Brot – und die Konditoreien sind jeden Tag voll Gäste. Dabei kostet ein Stückchen  Kuchen zwei Finger breit 50 Pf! Aber die Herren Kommis und die Ladenfräuleins verdienen ja so viel Geld, daß sie sich täglich Kaffee und Kuchen „leisten“ können! ---

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66663 Merzig, Deutschland

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Kommentare

02:42 10.10.2010
merzig, aha
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