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Thursday, 28. March 2024
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Tagebuch Schatten
 1919-01-23 hh:mm
Die allmählich eintreffenden Res...

Die allmählich eintreffenden Resultate der Wahlen zeigen, wie erwartet, in der Rheinprovinz ein Überwiegen des Zentrums, während in anderen Teilen des Reiches die Sozialdemokratie die meisten Stimmen hat. Die Deutsche Demokratische  Partei besitzt,  wenn auch nicht hier, so doch im weiten Reich, so viele Stimmen, daß sie,“ als Zünglein an der Wage“ dennoch ein gewichtiges Wort im dereinstigen Nationalrat mitreden wird, selbst wenn Zentrum und „Rote“ sich wieder vereinigen sollten.---
Das Zentrum hat wieder mit Mitteln aller Art die Wahl beeinflußt; in Beichtstuhl und Kirche, in Schule und Familien wurde eine ungeheure Werbearbeit entfaltet; die Frauen namentlich
wurden in besonderen „Gottesdiensten“ für die Wahl dressiert – und dennoch hat das Zentrum sehr viele Stimmen an die „Roten“ verloren. Die „Herrschaft“ der kath. Geistlichkeit hat zu sehr gewirtschaftet unter dem Volk, nun fallen Viele ab! ---

Endlich, nach monatelangem Zaudern, ist jetzt die Friedensversammlung der Allierten und unserer Vertreter in Paris zusammengekommen! Unerhört sind die Forderungen, die die Feinde erheben! Unfaßbar ist es, wie Wilson, der beständig von einem „Rechtsfrieden“ spricht, all diese Tyrannen der Franzosen gegen uns dulden kann! Jeder Tag bringt neue Ungerechtigkeiten, wir leben im Waffenstillstand, unbesiegt, diese ekelhaften Komödianten benehmen sich jedoch fortgesetzt als „Sieger“.--- Dabei erzählen die frz. Offiziere überall, daß sie weder Kohlen noch Munition mehr hatten, Mangel an Pferden und Geschützen und gerade vor dem Zusammenbruch standen, als wir mit dem Waffenstillstandsangebot kamen! Die Überraschung in Frankreich sei allgemein gewesen! Und nun – fühlen sie sich als „Sieger““ –
Bis heute ist, trotz des Nahrungsmangels, die linksrheinische Provinz total abgesperrt, --- weder Post, noch Transport, weder Fracht noch Telegraph und Telephon darf benutzt werden! Die Zustände sind schrecklich, Alles von Außen eingeführte bleibt am Rhein liegen, während hier nun seit November mannigfacher Mangel am Nötigsten besteht! --- So hatten wir seit 14 Tagen kein Zeitungspapier! Seit Wochen aus einer rechtsrheinischen Fabrik abgesandt, kann es nicht über den Rhein kommen! Ueber acht Tage erschien unsere Zeitung auf grünem, rotem, blauen Papier gedruckt, bis ein findiger Eisenbahner uns von St. Avold über Metz-Bettsdorf (die neue Bahnlinie) 2 Ballen herüberschmuggelte, welche gestern abends 11 Uhr hier anlangten!  So sind wir endlich aus wochenlanger Pein erlöst!! Und wie uns mit dem Papier, geht es Vielen mit Bedarfsartikeln aller Art --- nichts kommt durch die Sperre am Rhein! Wir sind nun über 2 Monate von der Welt abgeschnitten – und das sind die edlen Franzosen, die sich mit ihrer Menschenfreundlichkeit brüsten! Kommt man zum Kommandanten, so ist er liebenswürdig und zu Allem bereit --- die Gesuche liegen aber wochenlang ruhig da und nichts geschieht! Es ist ein heuchlerisches unwahres Volk und wie im Wahnsinn erscheint das ewige Prahlen von einem „Völkerfrieden“! Wie kann ein Volk, so von allen Seiten gedrückt, wie wir es jetzt sind, mit Absicht gepeinigt, ausgesogen bis in`s Mark – wie kann ein solches Volk friedliche Gefühle hegen gegen seine Peiniger! Das wäre widersinnig! – Das Neueste der franz. Behörden ist die Beschlagnahme alles deutschen Besitzes und Geldes in Elsaß-Lothringen! Nicht genug die Massen-Ausweisungen aller Deutschen, man nimmt auch Hab und Gut derselben! Auch unsere Verwandten in Metz leiden unter diesen Gewaltmaßnahmen, die wohl erfolgen, weil man Elsaß-Lothringen selbstständig wählen lassen will, ob es zu Frankreich gehören oder eine eigene Verwaltung als autonomer Staat haben will – daher müssen vorher die erfaßten Deutschen heraus! Eine Saargemünder Zeitung brachte einen jubelnden Artikel: „Nun ist der erste Schub heraus, die Deutschen müssen weichen!“ –
In Saarlouis wurde von den Franzosen ein Aufruf verbreitet: Saarlouis solle verlangen, unter franz. Herrschaft „zurückzukehren“. In Saarbrücken wurde ein Arbeiter, welcher Briefe mit über den Rhein genommen hatte, zu 3 Monaten Gefängniß verurteilt! ---
So vergeht kein Tag, ohne daß der ungeheure Druck des frz. Regiments uns immer aufs Neue fühlbar wird. Dabei stellen die frz. Soldaten den Mädchen und Frauen überall nach, man kann abends nicht auf der Straße sein. Das einzig Gute für uns hier, was uns die Anwesenheit der Feinde bringt, ist die Niederhaltung der Spartakusbewegung, denn diese schlechten Elemente sind auch hier bedeutend vertreten und können nur durch Gewalt niedergehalten werden.

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