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Tagebuch Schalk
2012-05-24 22:08 / Gr. Satire
Ach du dickes Ei
Oder:
Die Macht des Faktischen.

Der geneigte Leser wird sich fragen, was der Titel zu bedeuten hat.
Deswegen schön der Reihe nach und hinterher wird jeder wissen, wie ein Skandal gemacht wird, wenn er die beiden Artikel unten gelesen hat.

Der Titel ist normal ein Ausdruck höchster Verwunderung - in diesem Fall aber doppeldeutig zu sehen.
Um diese Eier geht es.


Die Hoden männlicher Lebewesen werden platt umgangssprachlich als Eier bezeichnet.

Bis 2004 war in unseren Landen der Verzehr verboten, und seit der EU nur der Export von Rinder- und Schafshoden erlaubt, denn nur sie sind schmackhaft??!


Die Testes, so heißen die Teile im Fachchinesisch, der oben gezeigten Tierart haben die Angewohnheit fürchterlich zu stinken und bei Tieren ab einem gewissen Alter auch das Fleisch - vor allem bei Erhitzen - zum stinken zu bringen, was allerdings nach Geschlecht und Ausbildung des Geruchsorgans unterschiedlich wahrgenommen wird.
Der unten verwandte Begriff „urinartig“ ist eine freundliche Umschreibung.
Frauen sind da empfindlicher.
Auch der Ausdruck „Du stinkst wie ein Schwein“ kommt da her.

Als es noch die Freibanken gab (bis ca.1984), in denen minderwertiges und durch Behandlung (Erhitzung) brauchbar gemachtes Fleisch verkauft wurde, war es erlaubt, Fleisch von Ebern bis zu einem Gewicht von 40 Kilo zu verwerten.
Wenn dieses dann anstatt in einer gut gewürzten Rohwurst wie zB.Cabanossi,Sucuk u.ä. in einer Bratwurst landete, war so manche Grillfete unter Umständen schlagartig zu Ende, vor allem, wenn sie wegen Regens in die Bratpfanne verlegt werden musste, denn Elektrogrills gab es noch nicht so häufig.
Aber da hätte es auch so gestunken.

Deswegen wurde/wird bisher den nicht zur Zucht bestimmten Ferkelchen in unbetäubtem Zustand meist vom Landwirt selbst die Männlichkeit genommen, welches zu nicht enden wollenden Diskussionen über medikamentöse Kastration und Durchsetzung der Betäubungspflicht geführt hat, um auch männliches geruchsloses Schweinefleisch herzustellen zu können.



Und während Tierschützer, Fachwelt und Politiker diskutieren schafft die Wirtschaft Fakten (s.u.), die bei dem überhaupt noch übrig gebliebenen Überwachungspersonal, das sie vorher mit Durchsetzung der „visuellen Fleischbeschau“ – also Ersatz der Lebendbeschau durch Papierkontrolle – erfolgreich beiseite geschafft hat, eine gewisse Nestwärme erzeugen dürfte, wenn sie über den Tisch gezogen werden.

Das ist der Untertitel.


Nun aber erst mal zum besseren Verständnis die beiden Artikel, die mich auf den Beitrag brachten.

1) Abnahmegarantie für Jungeber
In der vergangenen Woche haben die Fleischriesen Tönnies, Vion und Westfleisch per Pressemitteilung der QS GmbH in Bonn eine Abnahmegarantie für Jungeber ohne preislichen Abzug verkünden lassen. Die QS GmbH flankierte den Umstieg des Trios auf die Jungeberschlachtung zeitgleich mit einheitlichen Rahmenbedingungen für die nichtamtliche Identifizierung von Schlachtkörpern mit Ebergeruch am Schlachtband.
Brancheninsider sehen in dieser koordinierten Aktion einen Angriff auf den Schlachtschweinemarkt, da nur die drei Fleischriesen mit ihrem Marktanteil von rund 55%, einer ausgeprägten Exportorientierung und der nötigen Verarbeitungstiefe die Möglichkeit haben, Eber mit Geschlechtsgeruch zu verarbeiten. Nach bisherigen Erfahrungen aus der Schlachtbranche sollen 3 bis 6% der Jungeber geruchsauffällig sein, wobei diese Prozentangaben mangels definierter Beurteilungskriterien kaum vergleichbar sind und in der Fachliteratur weitaus höhere Prozentsätze genannt werden.
Ebermäster sind so auf Gedeih und Verderb gezwungen, ihre Eber und Sauen entsprechend der Einkaufbedingungen (50:50) den Fleischriesen anzudienen und die dann geltenden Preise unweigerlich hinzunehmen. Ein Verkauf nach Marktpreisen wäre ausgeschlossen. Das Nachsehen haben dann auch die kleineren Schlachtunternehmen, die auf Grund geringerer Volumenströme und fehlender Verarbeitungsbetriebe keine Möglichkeiten haben, Fleisch mit Geruchsabweichungen („Stinkefleisch“) in geeigneten Produkten zu „maskieren“ oder in Hackfleischprodukten zu verdünnen. Auf dem freien Markt dürften müffelnde Schweinehälften kaum zum vollen Preis abzusetzen sein, wenn ein Abnehmer zum gleichen Preis eine tadellose Ware erhält.
Unbekannt ist in diesem Spiel die Haltung der Veterinärverwaltung. Ist es doch bisher amtliche Aufgabe, entsprechend der EU-VO 854/2004 im Rahmen der Schlachttier- und Fleischuntersuchung Eberschlachtkörper mit „ausgeprägtem Geschlechtsgeruch“ als untauglich zu maßregeln und deren unschädliche Beseitigung als K3-Material zu gewährleisten. Schnüffler der Fleischriesen – auch wenn sie nach privatrechtlichen QS-Vorgaben vorgehen – gewährleisten dies nicht mit der notwendigen Rechtssicherheit. Der amtliche Tierarzt am Schlachtbetrieb wäre so in der misslichen Lage, mit dem amtlichen Stempel eine Tauglichkeit zu bescheinigen, die er selbst nicht geprüft hat.

2)Eberschlachtungen: Privatschnüffler in der Grauzone
An immer mehr Schlachtbändern der Fleischriesen Tönnies, Vion und Westfleisch stehen unternehmenseigene Privatschnüffler, um solche unkastrierte Eber aufzuspüren, die einen unangenehmen Geschlechtsgeruch verströmen. Dazu wird der Schlachtkörper kurz mit einem Heißluftfön, einer Lötlampe oder einem Lötkolben – zumeist im Nackenbereich – erhitzt und beschnüffelt.
Leider wird bei allem Tatendrang übersehen, dass diese Privatschnüffler ohne jegliche Rechtsgrundlage agieren, wenn es um die Feststellung eines „ausgeprägten Geschlechtsgeruchs“ entsprechend der anzuwendenden Rechtsvorschrift (EU-VO 854/2004) geht. Diese Beurteilung unterliegt allein dem amtlichen Veterinärdienst, der die AVV (Allgemeine Verwaltungsvorschrift über die Durchführung der amtlichen Überwachung nach dem Fleischhygienegesetz und dem Geflügelfleischhygienegesetz (AVV Fleischhygiene – AVVFlH)) zwingend anzuwenden hat.
Ab Kapitel 8 werden alle Details akribisch aufgelistet. Lötkolben, Heißluftfön oder Gasbrenner sucht man hier vergeblich. Zudem erfolgt die Beurteilung frühestens nach 24 Stunden. Sollte eine Beprobung entsprechend er AVV in Zukunft häufiger von Nöten sein, so müsste die Schlachtindustrie nicht unerhebliche Kühlhauskapazitäten zur Verfügung stellen.
Es ist völlig unbewiesen, ob ein kurzzeitiges Erhitzen mit Fön, Lötlampe und Lötkolben eine Geruchsfreiheit garantiert. Als eigentliches Nadelöhr dürften sich Bratpfanne und Kochtopf in den Haushalten der Verbraucher herausstellen. Wenn hier beim ausgiebigen Braten oder Kochen ein urinartiger Geschlechtsgeruch wahrnehmbar ist, dann dürfte dies das Image von Schweinefleisch insgesamt erheblich beschädigen. Bekanntlich wird ein Schwein in 400 – 650 Verzehrsportionen im Markt verteilt.
Nach der EU-VO 854/2004 sind Eber mit ausgeprägtem Geschlechtsgeruch als “untauglich für den menschlichen Verzehr” zu beurteilen und müssen unschädlich beseitigt werden. Ein Verbringen auf Eberverarbeitungsbetriebe ist nicht gestattet. Es kann der Eindruck entstehen, dass sich hier mit amtlicher Duldung eine Schattenwirtschaft entwickelt hat.
Der Handel und die Verarbeitungsstufe sollten sich wirklich genau überlegen, was sie sich da für ein Material ins Kühlhaus hängen oder in die Kühltheke legen. Schon jetzt steht die Fleischbranche erheblich in der Kritik. Es sei an den „Gammelfleischskandal“ erinnert. Da käme ein Bericht “Stinkefleisch: Wie Verbraucher getäuscht werden” genau richtig.


Ich bin gespannt auf den Augenblick, wenn ein übrig gebliebener Heroe die Schlachtung einstellt, weil die Kühlhäuser mit Jungebern voll sind, bis die vorgeschriebene Untersuchung mit dem standardreduzierten amtlichen Personal durchgeführt ist, denn braten, kochen und Schnüffeln dauert und ist nur zeitlich begrenzt durchführbar.

Ich hoffe nur, dass der letzte der Gerechten dann nicht in Meck-Pomm ist. Da werden derart missliebige Überwacher wirtschaftsgerecht von der Aufsichtsbehörde entsorgt, wie die Schließung eines Geflügelbetriebes vor einiger Zeit gezeigt hat.
Die Zeiten werden eben rauher.
Früher gab es nur Ablösung und Beförderungsende.


Als kleinen Absacker zum Schluss der Hinweis, dass das Wappen des italienischen Adelshauses Colleoni aus Bergamo mehrere Paar Hoden zeigt und vermutlich eine Anspielung auf coglione, eine italienische Bezeichnung für Hoden, darstellt.

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