Ein Mädchen mit Zauberkräften


Ich will nicht behaupten, ich hätte das Unheil der Welt für mich gepachtet. Und ich würde niemals sagen, ich hätte Schlimmeres erlebt als die meisten.
Das glaube ich ehrlich gesagt nicht.
Ich denke sogar, dass mir überdurchschnittlich viel Gutes zuteil wurde.

Dennoch hat dieses "bisschen" Übel, das mir widerfahren ist, dazu geführt, dass meine Sicht der Dinge von einem Tag auf den anderen ins Gegenteil verkehrt wurde.
Seit diesem Zeitpunkt bin ich bemüht wieder mein Gleichgewicht zu finden. Im Laufe dessen, wurde mir allerdings ziemlich schnell klar, dass mein Gleichgewicht schon viel länger verloren war als ich geglaubt habe.

Es muss etwa dann gewesen sein, als ich ungefähr 12 Jahre alt war...und die Erinnerung an das, was vorher war, ist mittlerweile unwirklich und fast wie aus einem anderen Leben.

Aber ich weiß noch, dass ich glücklich war. Sehr sehr glücklich.

* * *

Ich war das erste Kind einer neuen Generation in unserer Familie. Man hat mich schon geliebt, bevor ich überhaupt zur Welt kam.
Ich war das Glück meiner Eltern, der Stolz meiner Großeltern...und schon als ganz kleines Baby der Mittelpunkt unserer Familie.

Ich wuchs in dem Glauben auf etwas ganz Besonderes zu sein und man überschüttete mich mit überschwänglicher Liebe.

Damals wohnten wir in einer winzigen Wohnung und teilten uns ein Bad mit meiner Uroma. Und obwohl es so eng war, bemühte sich meine Mutter nach Kräften mir , und später auch meinem Bruder, ein kleines Paradies zu bereiten.
Mit Stoffresten zauberte mir meine Mutter ein echtes Prinzessinnenbett. Meine Uroma nähte mir Kleidchen und Nachthemden und ließ mich beim Mensch-ärgere-dich-nicht immer gewinnen.
Jeden Samstag gingen meine Eltern mit uns im Wald spazieren oder wir besichtigten eine Burg oder unternahmen etwas anderes schönes.

Meine Großeltern lasen mir jeden Wunsch von den Augen ab. Ich durfte in Omas alten Abendkleidern Prinzessin spielen. Und Opa nannte mich liebevoll "mein Star".
So hat er mich auch noch genannt als ich schon längst kein kleines Mädchen mehr war.

Und ich war dankbar.
Ich war mir , obwohl ich noch so klein war, dessen bewusst, dass ich unaussprechliches Glück hatte.

Ich kann mich an so viele Momente erinnern, in denen ich eine tiefe , innere Freude gefühlt habe...es war als würde ich jeden Tag eine neue Schatzkiste öffnen.

Ich war so randvoll mit Liebe, Freude und Zuversicht...dass ich manchmal glaubte ich könne zaubern. Und das Leben schenkte mir immer wieder den Beweis.
Immer schien sich alles so zu fügen, dass es einfach wunderbar war.
Manchmal glaubte ich wohl sogar alles sei nur so schön, damit ich mich daran freuen kann.

Und ja.
Ich war naiv.

Ich habe bedingungslose, selbstlose Liebe erfahren. Über Jahre hinweg. Ich wuchs in einem Nest aus Liebe auf und wusste nicht viel von den grausamen Dinge auf der Welt. Den schrecklichen Dingen, die einfach geschehen, ohne dass es jemand verdient hat. Ohne dass es einen Sinn dafür gibt.

Ich hielt das Leben für ein Märchen. Ich dachte es wird immer alles gut, wenn man nur genug daran glaubt.
Und ich ging davon aus, dass alle Menschen im Grunde ihres Herzens gut sind.

Ich hielt es für normal, dass man anderen Menschen bedinungslose Liebe entgegenbringt und diese das zu schätzen wissen.

Und immer in meinem Leben, wenn ich hintergangen wurde, angelogen wurde, bewusst verletzt wurde...verstand ich die Welt nicht mehr.

* * *

Ich glaube, dass diese unwahrscheinlich zauberhafte Kindheit der Nährboden für viele meiner heutigen "Sorgen" ist.
Ich bin immernoch naiv.
Immernoch die kleine Idealistin von früher...aber die Sache mit "man kann alles, wenn man nur genug daran glaubt"...das ist auf einmal nicht mehr so einfach wie früher.

Keine Zauberkräfte mehr heute .
Aber ich wünsche mir sehr oft ich könnte sie wieder in mir erwecken und meine Welt wieder in ein Märchen verwandeln...


Naiv eben...