Dreams coming true
Ich hatte gestern einen ganz unbeschreiblichen Abend...

Aus töchterlichem Pflichtgefühl eigentlich nur, hab ich beschlossen übers Wochenende zu Hause zu bleiben, um dieses dramatisch-großartige-neuartige Konzert vom Chor meines Vaters zu hören.
Schon Wochenlang hatte Papa Bauchgrummeln wegen der Sache.

Der Dirigent des Chors, ein 28-jähriger Musiker aus Leidenschaft, hatte die Idee gehabt Filmmusik auf eine traditionelle lateinische Messe umzuschreiben.
Papa, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, den etwas heruntergekommenen Chor von meinem Großvater "ins neue Jahrtausend" zu führen, war natürlich Feuer und Flamme für diese Idee.

Doch gerade in einem kleinen Nest wie unserem hier...ist die konservative Ecke fast übermächtig. Nun hat es wirklich Monate gedauert, bis die Idee durchgeboxt war.
Als dann auch der Termin für das Konzert da war, ging es los.
Die Messe wollte schließlich komponiert werden.
Und der 28-jährige Musiker -ganz ein Künstler - hatte sich zeitlich mächtig verschätzt. Die letzte Woche hat er keine Nacht geschlafen, sondern war die ganze Zeit über nur am Arrangieren der Partituren, dem Komponieren der Melodien und dem Einbinden der lateinischen Texte. Die letzte Nacht vorm Konzert habe er dann geschlafen.

Und gestern war dann der große Tag.
Papa sah so niedlich aus in seinem Frack mit der Fliege, wie er unruhig auf und ab ging in der Kirche.
Wir waren fast eine Stunde früher da und die Kirche war fast voll. Meine beiden Tanten, mein Onkel, einige Kusinen und ich...wir ergatterten uns ein Plätzchen auf der zweiten Empore ganz oben in der Kirche.
Wir konnten wahnsinnig gut sehen. Und ich war so aufgeregt für meinen Papa.

Er hatte solche Bedenken gehabt. Die Probe sei grauenhaft gewesen, die Lieder säßen einfach noch nicht, alle seien unsicher, man habe kaum zusammen proben können.
Und immer wieder hatten einzelne Leute aus dem Dorf, unter anderem mein Chorleiter (der ein überheblicher Idiot ist), ihn mit spitzen, süß-säuerlichen Kommentaren bedacht. Keiner glaubte daran, dass das ein Erfolg wird.

Der Chor hatte ein vollständiges Symphonieorchester eingestellt und sich das einiges kosten lassen. Wären nicht genügend Karten verkauft worden...hätte Papa den Chor wahrscheinlich ziemlich ruiniert.

Doch kaum, dass die ersten Takte gespielt waren...gefror einem das Blut in den Adern.
Kennt jemand die Filmmelodie zu E.T.? ^^
Ich bin wirklich in Tränen ausgebrochen. Es war so rührend...es ging so sehr unter die Haut.
Ich musste an meinem Großvater denken....wenn er das erlebt hätte. Er wäre so stolz auf Papa gewesen.

Kaum, dass der letzte Ton der Messe verklungen war, sprang das ganze Publikum auf. Standing Ovations von der ersten Sekunde an !
Und es wurden Zugaben gegeben...man hätte am liebsten alles noch einmal gehört.
Alle waren in einem richtigen Taumel.
Und ich war hin- und hergerissen zwischen Lachen und Weinen.

Der junge Komponist brach in Tränen aus, man hätte ihn einfach umarmen mögen.

Wie umwerfend muss soetwas sein...sein Werk! Uraufgeführt...und ein solcher Erfolg, dass die Luft nahezu pulsiert.

Und ich...
musste meine Meinung stark revidieren. Mein Großvater damals hatte mich jahrelang belagert in seinen Chor zu kommen. In meinen Augen waren das alte Leute, die langweilige, steife Lieder singen.
Und Kirche...ist ja eh nur was für alte Leute. Uncool und so.
Aber das gestern....ich war selten so berührt und beseelt von Musik.
Wäre die Chorprobe nicht Donnerstags und ich zu dieser Zeit in Mainz...ich würde mir sehr stark überlegen den Chor zu wechseln.

Immerhin...ist das ein Familienunternehmen .

In meinem Chor, einem Gospelchor, nun ja...da ist es lange nicht so menschlich wie in Papas Chor.
Wir sind extrem erfolgreich...preisgekrönt und...größenwahnsinnig.
Ich werde regelmäßig angemeckert, weil ich nicht oft in die Probe komme (weil ich ja studiere). Man wird bloßgestellt, gedemütigt...wenn man dem Chor nicht genug huldigt.
Und es ist nicht übertrieben, was ich sage....ich trage mich schon länger mit dem Gedanken aufzuhören.

Mal sehen.

Aber es kommt mir vor als würde ich fliegen . Es war ein kleines Wunder gestern...aber schön zu sehen, dass solche Wunder geschehen.
Und Papa fühlt sich wohl gerade wie ein kleiner Held.