Dreams and Reality
Gestern war er wieder, der Freitag der Freitage, wie Phil es nennt.
Die In-Party in unserer verschlafenen, dörflichen Gegend.

Ach, wie war ich ja motiviert. Hab mich total hübsch gemacht und mir ganz viel Zeit dafür genommen. Ich hatte Lust mich zu betrinken, was bedauerlicherweise einfach nicht geklappt hat. Manchmal soll es wohl einfach nicht sein.
Und zu allem Übel schmeckte mein erster Caipirinha einfach nicht gut. Ich beschloss zu versuchen ihn "umtauschen" zu gehen...und so bahne ich mir da meinen Weg durch die Menge, die Leute teilen sich vor mir und ich stehe in gerader Linie direkt vor Dominik.
Dass es mich nicht gleich von meinen silbernen Pumps gehauen hat, war pures Glück.
Küsschen links, Küsschen rechts.
Er hatte auch nen Caipi, hab probiert und seiner war gut.
Wir haben ne Weile hin und her diskutiert über die Caipis. Was war ich ja dann doch froh, dass mein ekelhafter Cocktail Gesprächsstoff geliefert hat.

Danach war ich noch motivierter an meiner Betrunkenheit zu arbeiten. Aber klappte einfach kaum.
Als ich mit meinem dritten Wodka-Lemon aus der Bar kam, sah ich Dominik auf der Bühne hocken (da ist so ne Bühne, auf der steht das Dj-Pult...). Er sah mich, ich sah ihn, wir lächelten uns an.
Ich tat so als würde ich es nicht fertig kriegen mich durch die Menge zu arbeiten, sodass ich quasi keine andere Wahl hatte als in seine Richtung zu laufen. Da tippte er mich auch direkt auf der Schulter an.
"Hey , Miss Sayu ! Grüßen sie mich denn gar nicht mehr?" fragte er mich...
Und dann haben wir ja ein sooo langes tolles Gespräch geführt.
"Sayu...du und ich ! Wir gehen zusammen nach Stuttgart auf die Schauspielschule. Ich nehm dich mit !"
Er wird es ja vermutlich eh nicht machen. Nüchtern würde er das wohl nie zu mir sagen...aber wenn er ein bisschen getrunken hat, dann merkt man ihm an, dass er das wirklich gerne tun würde. So grundsätzlich eben.

Den restlichen Abend hab ich mit ihm dann verbracht. Wir haben zusammen getanzt und uns unterhalten, was getrunken. Wenn jemand fragte wer ich bin, stellte er mich als seine Halbschwester vor. Immerhin bin ich jetzt die Halbschwester. Nicht mehr die Schwester.
Wir entfernen uns von einer potenziell inzestuösen zwischenmenschlichen Beziehung, yeah.

Dieser Mensch ist einfach Balsam für meine Seele. Er hat mir erzählt, dass er so platt war als er mich an Fasching als Elphaba gesehen hat (hach wie ich mich da gefreut hab ), weil ich so echt auf ihn gewirkt hätte. Und überhaupt.
"Sayu...ich bitte dich - glaub an dich! " hat er mir immer wieder gesagt.
In Bezug auf meine Schauspielpläne. Er hat schon so viel erreicht. Und ich habe immer nur geträumt und mir selbst nie wirklich zugetraut, dass ich es wirklich tun könnte. Ich glaube, wenn ich Dominik nicht kennen würde, hätte ich schon längst aufgegeben im Glauben "vernünftig" zu sein.
Das hab ich ihm auch gesagt.
Ich habe immer das Gefühl in seiner Nähe unbedingt ehrlich sein zu müssen. Wenn ich einen Mensch auf der Welt wählen müsste, dem ich jedes meiner noch so kleinen Geheimnisse anvertrauen müsste, ich glaube ich würde ihn wählen.

Hach, aber ich weiß nicht.
"Denkst du nicht auch, es ist immernoch besser mit jemandem eine Freundschaft zu haben als den Kontakt ganz abzubrechen?" Das sagte mir in Bezug auf seine Exfreundin (ja , wieder Exfreundin...), die mit ihm Schluss gemacht hat. Danach kam sie angekrochen und wollte ihn zurück, aber Dominik wollte nicht mehr. Seitdem ist sie untröstlich und droht mit Selbstmord und "ritzt" sich offenbar. Ich bezog diesen Satz jedenfalls unwillkürlich auf mich und strauchelte kurz.
"Ja...ja...auf jeden Fall ! " erwiderte ich dann, vielleicht eine Spur zu überzeugt.
Aber ich bin auch tatsächlich überzeugt davon.
Ich möchte einfach Kontakt haben, im Grunde ganz egal welchen.

Fakt ist ja, dass es tatsächlich kaum eine männliche Person in meiner näheren Umgebung gibt, mit der ich solche Gespräche führen kann. Ich fühle mich einfach von Grund auf verstanden und angenommen...
Und es wäre in der Tat wohl eine unglaubliche Verschwendung, wenn ich den Kontakt zu so einem Menschen abbrechen würde, nur weil ich womöglich nie seine Partnerin sein werde.

Gegen Ende des Abends habe ich Dominik hauptsächlich beim Einschlafen zugesehen. Er konnte die Augen kaum offen halten. Im Augenblick arbeitet er in irgendeiner Kinder-Betreuungseinrichtung mit 200 kleinen Kindern und er kriegt wohl kaum Schlaf hat er mir erzählt.

Zu Hause angekommen betrat ich ein hell erleuchtetes Wohnzimmer. Auf der Couch saßen mein Bruder und eine Auswahl Fußballkumpels mit einer Kiste Limonen, zwei Flaschen Havanna und einer Kiste Cola beisammen.
"Willst du was trinken?" wurde ich höflich gefragt.
Aber gerne.
War eh noch nicht müde.
Und so saß ich da. Die Jungs verabschiedeten sich nach und nach. Und irgendwann saß ich da mit meinem Bruder alleine.
Bis halb acht in der Früh haben wir Musik gehört und über Gott und die Welt erzählt. Es war total schön. Mein Brüderlein ist ja nicht der Gesprächigste, umso stolzer bin ich, wenn er mit mir über persönliche Dinge redet.
Wir haben festgestellt, dass es für uns beide eigentlich das Größte wäre einfach irgendwann mal ein eigenes Häuschen hier bei uns im Dorf zu haben, eine Familie...einen Job.
Das will Dominik übrigens auch, das hat er mir erzählt.
"Das einzige, was ich will, ist irgendwann mal ein Häuschen bei euch im Dorf. Ein Haus und eine Familie."
Wie er das mit seinen Schauspielträumen vereinbaren will, weiß er allerdings noch nicht.

Heute Mittag um eins trommelte mein Bruder dann an meine Zimmertür und weckte mich zum Fußball gucken.
Ich war beinahe gerührt, dass er mich da so gerne dabei haben möchte, dass er mich extra aufweckt. Allerdings war ich auch sehr müde.

Nun ja.
Alles in allem bin ich zufrieden. Irgendwie wird alles schon werden.