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Tagebuch Sayu
2008-01-05 01:16
Abgründe
Wie weit man sich doch von einem Menschen entfernen kann....
Man könnte sich echt Ewigkeiten darüber wundern.
Und auch darüber wie schnell man Dinge...vergisst...verdrängt...wie auch immer.

Ich hatte da mal so ne Freundin.
Sie kam ganz neu in die Klasse und war gerade erst ins Dorf gezogen. Noch dazu in das Haus gegenüber von mir.
Wir wurden beste Freundinnen aus Bequemlichkeit.
Ich hatte sehr viele Freunde in der Klasse und schleifte sie überall hin mit.
Sie war sehr groß für unser Alter und hatte diese langen blonden Haare.
Und sie war so gutmütig wie ein Hündchen....^^
Ihre Eltern erzogen sie ziemlich autoritär. Sie musste selbst die dümmsten Anweisungen befolgen ohne dabei auch nur eine Miene zu verziehen.
Sonst gabs gleich wieder Hausarrest.
Und sie nahm alles hin egal wie es kam.

Zeitweise verboten ihre Eltern ihr den Umgang mit mir.
Wir waren mittlerweile etwa 13 oder 14 Jahre alt und in den Flegeljahren. ^^ Ihre Eltern bekamen mit, wie ich mich mit meinen Eltern zoffte...und sie wollten nicht , dass ihre Tochter mit so einer frechen Göre wie mir Umgang hat.
Nun ja.

Irgendwann gingen wir in verschiedene Schulen.
Ich aufs Gymi, sie auf die Realschule.
Ich kam recht gut mit, sie tat sich schwer.
Wir fanden beide neue Freunde...doch das änderte nichts daran, dass wir uns mochten.
Wenn wir uns trafen erzählten wir uns alles.
Doch irgendwann...begannen wir uns Geschichten aus zwei verschiedenen Welten zu erzählen.

Anna.
Sie erzählte mir wie sie heimlich rauchte. Wie sie mit Jungs flirtete. Wie sie sich heimlich aus dem Haus schlich.
Ich erzählte ihr von der Schule, von den Kabbeleien mit meinem Bruder, von Mädchentratsch.

Anna war glücklich. Zumindest behauptete sie das.
Die Jungs liefen ihr in Scharen nach. Und sie belächelte mich, die ich so schüchtern war und in Gegenwart des Jungen, den ich damals mochte, anfing zu stottern und rot wurde.

Sie schloss die Schule mit einem miesen Zeugnis ab. Aber das war nicht wichtig.
Mittlerweile hatte sie ihr erstes Mal weit hinter sich gelassen und Blut geleckt. Mit schlechten Noten ließ sich leben.
Sie mochte es, wenn ihr die Männer nachsahen, wenn sie ihre kurzen Röckchen trug.
Sie bekam keine Lehrstelle...jobbte so durchs Leben. Nirgends für lange. Ebenso wechselte sie die Männer.
Sie mochte es die Diva zu spielen. Spurte einer mal nicht, wurde er bestraft , indem sie den nächsten nahm.

Ein paar wenige Male war ich mit ihr in der Disco.
Ich erinnere mich an Anna kämpfend.
Sie würgte Unmengen Alkohol hinunter. Tanzte bis ihre Kleidung ganz feucht geschwitzt war. Warf sich jedem Mann in die Arme, der sie anmachte.
Sie wollte , dass wir ein Abkommen machten: egal welche von uns beiden mit einem Mann nach Hause gehen will, die andere soll es akzeptieren und alleine nach Hause gehen.
Ich lehnte ab.
Anna verstand es nicht.
Und ich ging nicht mehr mit ihr weg.

Es dauerte nicht lange, bis sie andere gefunden hatte, die mit ihr weggingen.
Auch ich fand andere.
Ich habe lange nichts mehr von ihr gehört.

Vorhin schrieb sie mir.
Ich soll doch bitte meinem kleinen Bruder sagen, dass er sie gestern Nacht nicht gesehen hat. In der Disco.
Sie hatte versprochen zu Hause zu bleiben, weil sie krank ist.

Mein Bruder erzählte mir, dass Anna sturzbesoffen war. Dass sie erbärmlich ausgesehen hat.
Sie wusste nicht einmal, dass ich mittlerweile in Mainz studiere.
Sie hat es gar nicht mitbekommen, dass ich nicht da bin.

Im Augenblick jobbt sie in einer Tanke. Aber nicht für lange.

Ich frage mich warum sie sich dieses Leben ausgesucht hat. Und ich frage mich...warum ich nicht auf sie aufpassen konnte.
Ich wohne ihr direkt gegenüber. Ich war ihre beste Freundin.
Warum war ich so abgeschreckt, dass ich es nicht wagte mich einzumischen um ihr zu helfen? Vielleicht hätte es nichts genutzt. Wahrscheinlich sogar.
Aber....hätte ich es nicht wenigstens versuchen müssen?

War ich so rachsüchtig? Sah ich es als Rache dafür, dass sie immer etwas auf mich herabgelächelt hat? Dafür, dass sie Männer abbekommen hat und ich nicht?
Dabei hätte ich keinen von diesen Typen gewollt. Nicht einen einzigen.
Nein.
Eigentlich hatte ich sie immer lieb. Auch wenn sie mich verletzt hat.
Sogar dann.

Sie sagte, sie wäre glücklich.
Und ich wollte mich nicht einmischen.
Ich hatte Angst als Spielverderberin hingestellt zu werden.
Wie kindisch.
Und nun....hab ich sie verloren. Weil ich zu feige war ihr zu helfen.
Ihre Eltern haben sie verloren, weil sie sie nie genug geliebt haben.
Sie hat sich selbst verloren, weil sie nicht stark genug war ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.
Oder....weil sie zu kurzsichtig war für das Wesentliche.

Vielleicht gibt es ja irgendwann einen Weg für sie. Raus aus dem Mist.
Aber dafür müsste sie aufwachen.
Und das würde wehtun.

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Kommentare

10:44 05.01.2008
traurige geschichte...
aber ich glaube nicht, dass dich eine schuld trifft.
du warst damals selber noch jung, konntest vielleicht die folgen ihres handelns nicht ganz überreißen.
und selsbt wenn doch, klar, vielleicht hättest du sagen können "anna, das was du da machst ist komisch", aber hätte das was geändert?
ich denke die schuld ist bei ihren eltern zu suchen, nicht bei dir.
wir entwickeln uns alle anders und dabei manchmal auch auseinander, aufhalten lässt sich das nicht... leider.
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unbekannt
02:17 05.01.2008
Sehr mitreisende Geschichte.. und eine schmerzhafte Lektion.
Mach dir nicht so viele Vorwürfe.. du bist nicht Schuld
und ich glaube kaum, das du was hättest ändern können.
solche leute hören dann selten auf andere


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2008-01-05 01:16