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Tagebuch Santana
2010-05-06 20:00
K: Zeit der Unschuld, 2004

 

Als ich heute morgen aufwachte, wünschte ich mir, an Deiner Seite aufzuwachen, Dich umarmen zu können, Dich zu umschließen. Doch holte mich schnell die Sorge ein. Die Sorge um Dich und Dein Glück, das ich nicht sein darf. Gestern war mein ständig wiederkehrender Gedanke – ist alles gut ausgegangen? Wir spielen nicht mehr mit dem Feuer, sondern wir brennen bereits, schlittern immer tiefer in den Abgrund sehenden Auges.
Dabei war der Tag alles andere als brennendes Verlangen – er fing erst spät Feuer. Wir hätten nach Hause gehen sollen, als die Sonne unterging. Statt dessen zündeten wir ein Feuer im Anderen und gaben uns Licht.
Wir haben keinen Ort für unser miteinander. Und doch haben wir nun zwei Orte, die sich nicht mehr auslöschen lassen aus unserer Erinnerung. Und so haben wir doch ein ungeheures Glück und einen großen Gewinn. Ich wundere mich, da ich doch weiß, wie der Abend endete, wie wir so unschuldig am Wasser sitzen konnten. Meine Hände lagen in Deinem Schoß ohne einen Hintergedanken. Sie lagen dort nur, um Dir nahe zu sein. Du hocktest vor mir, Dein Kopf auf meinem Schoß und meine Hände auf Deinem Kopf. Eine devote und traurige Szene, wenn jemand anders uns gesehen hätte. Aber für uns eine Innigkeit und Heiligkeit, die ich mit Dir nie hatte, bis zu diesen Augenblicken. Es bedürfte keiner Worte, Dich zu umarmen, Dich zu halten, während Du mich hältst, meinen Kopf an Deiner Brust. Wir hätten nach Hause gehen sollen, nachdem wir staunend die Sonne untergehen sahen, die uns davon abhielt, über uns selbst zu staunen. Wir waren so ausgelassen ernst und sorgenlos, ließen diesen Moment zu und freuten uns, dass er uns gegeben worden war. Wir waren nur wir. Bis die Sonne unterging in einem Feuerwerk entzündeter Wolken. Wenn man das Gefühl hat, dass einem nichts passieren kann, dass die große Welt außen vor bleibt und die kleine Welt um einen herum vollkommen harmonisch ist, dann nennt man das Geborgenheit. Vielleicht ging das nur, weil wir uns kein Versprechen gegeben haben, einander keine Verpflichtungen auferlegen und wissen, dass wir nur ein Moment sein können. Aber wer kann von sich überhaupt sagen, dass er in der Lage war, ein Moment zu sein, einen Moment voll zu leben, mit und in einem anderen darin aufzugehen?
In den Momenten des Begehrens geht das nicht. Im Begehren standen wir nur außer uns, wollten nur noch im Anderen sein, für einen Moment zweifelhafter Lust. Das Leiden im Begehren steht in einem diametralen Gegensatz zu der Innigkeit des Nachmittags. Nur noch im Anderen sein wollen, die Gedanken springen hin und her, weil der eine Gedanke, dieses eine Wollen, nicht aussprechbar ist, seine Erfüllung nur finden kann in den begehrenden Gesten des Anfassens, Reibens, Drängens. Der Geist ist vollkommen gefesselt. Alles drängt nur auf den einen Moment hin, von dem wir noch nicht einmal wissen, ob er das hält, was er uns verspricht. Alles drängt nur auf diesen Moment hin, sich völlig zu öffnen, alles zu öffnen, endlich nackt zu sein, diesen Schmerz des Verlangens zu vernichten und ineinander einzugehen.
Dabei waren wir das schon am Nachmittag – Eins, auf so wundersame und schmerzlose Weise. Was kann es darüber hinaus noch geben? Mich verwirrt dieser Gegensatz so tief. Und wenn Du mich fragtest, ob ich denn keine Phantasien hätte, so war das nicht gelogen. Aber jetzt, jetzt stelle ich mir vor, wie ich Dir in die Augen sehe, tief in Dich blicke während ich tief in Dir bin, alle Worte versagen, keine Worte mehr fallen, nur noch Körper. Umschlingen an allen Enden. Dein Drängen nach mir, Dein Seufzen ein Ruf nach Mehr. Aber mehr geht nicht. Es ist dem Begehren nie genug. Es ist unendlich, bis das Verlangen aufhört, weil die Biologie es unterbricht. Wohl mit gutem Grund, weil der Zustand uns um den Verstand bringen würde. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich den Nachmittag nicht vorziehe.

Du hast etwas sehr schönes gesagt, als wir gingen. Meinem einfallslosen Wunsch, Du mögest auch einen schönen Traum haben, antwortetest Du, Du hättest ihn schon gehabt. Und vielleicht sind wir beide für einander auch nur eine „Traumnovelle“. Den Satz verstehst Du vielleicht, wenn Du einmal das Buch gelesen hast. Und doch ist das mehr als ein Traum. Jedenfalls der Nachmittag.

Ich weiß nicht, ob es ein Traum ist, ob ich es mir einbilde. Vielleicht ist das alles banal und ich irre mich gewaltig. Vielleicht ist links auch auf der rechten Seite. Alles nur Zufall?
Als ich vor einigen Tagen dieses Lied hörte, dachte ich an Dich. Und als wir auf der Heerstr. fuhren, warst Du wie früher. Das ist ein Gedanke, der meinen Gedanken unterbricht. Eine Abschweifung, die Du mir verzeihen mögest. Gibt es hier auch Musik, fragtest Du. Diese Frage kann man auch anders formulieren. Sie ist in ihrer Kürze ökonomisch und herrisch. Und doch muss ich darüber schmunzeln. Und nun war es dann dieses eine Lied, in das das Radio einstieg als ich es einschaltete. Also spulte ich zurück.

I don’t know what day it is
I can’t recall the season
I don’t remember how we got this far
All I know ’s I’m loving you
For all the right reasons...

Du hast es verstanden, nicht wahr? Du hast das gleiche gedacht wie ich. Du hast dabei an uns gedacht. Und Du hast nichts gesagt. Es war ein leises Lachen, das Dich verriet, mit dem Du mir sagtest, das wir das selbe dachten. Deswegen ist es vielleicht ein Fehler, dass ich jetzt darüber rede. Aber diesen Gedanken hast Du wenigstens, ohne eine Mark bieten zu müssen. Aber es sind die Momente im Leben, die uns die Sicherheit vermitteln, dass wir nicht alleine sind, dass wir nicht im eigenen Saft unserer Gedanken schmoren, Momente, die uns die Angst nehmen, niemals verstanden zu werden, die uns zeigen, jemand denkt das selbe, ich habe es mir nicht eingebildet – hier sind zumindest zwei, die sich verstehen. Das sind die Momente, in denen klar wird – wir sind wirklich und nicht alleine.

Sah ich Tränen in Deinen Augen? Waren es meine Tränen, die ich sah, als Du mich anschautest, verzehrt und verlangend, das Auto in Deinem Rücken. Gestern hatte ich einen Tagtraum.

Es regnet. Es regnet so oft, seit wir uns im Regen trafen. Ich fuhr mit dem Auto durch die Gegend, als ob ich kein Ziel hätte. Und träumte, ich läge im Sterben.

Du saßest an meinem Bett und hieltest meine Hand. Lautlose Tränen liefen über Deine Wangen. Waren es Tränen der Verzweiflung darüber, dass Du mich unwiderruflich verlieren würdest. Oder waren es Tränen über unsere verpassten Chancen? Ich streichelte Deine Wange und hielt die Tränen auf, sagte, Du müßtest nicht weinen. Mein aufrichtiges und tief ernstes Lächeln sprach die Wahrheit. "Du mußt nicht weinen. Aber trage mich in Deinem Herzen." Deine strahlenden Augen, ungetrübt, blickten tief in mich hinein, als ob es gelte, noch einmal alle meine Gedanken zu lesen und fest in Deiner Seele einzubrennen. "Und hab keine Angst. Du mußt nicht alleine die Verantwortung für mich tragen. Ich habe mich gut verteilt." Wir lachten und weinten. Wir weinten und lachten. Beide und zugleich. Nicht mehr getrennt.

Jetzt war mir klar, dass sie mir viel bedeutet.


k.

 

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2010-05-06 20:00