Willkommen auf Tagtt!
Saturday, 20. April 2024
Tagebücher » Rynnertau » News, Bilder, Videos - Online
Tagebuch Rynnertau
2005-02-17 02:37
Freundschaft
Warum eine Freundschaft ein Lebewesen verändern kann.

Wir alle, die dies lesen, werden erkennen und verstehen können, dass eine Zuwendung und Zärtlichkeit, Trost und Ermutigung, uns aus Notlagen helfen und unser Selbstvertrauen bestärken kann.
Erfahrungen machen wir zwar selbst, aber der Antrieb dazu muss manchmal externer Natur sein, um auf Touren zu kommen.
Wie teilen diese Eigenschaft mit vielen anderen Lebewesen, welche in ihrer Stufe der kognitiven Entwicklung weit genug vorangeschritten sind, um derartiges als Einfluss ihres Lebensweges verstehen zu können.
Die Wertigkeit eines jeden Lebewesens über Nutzen und Schaden, gestaltet sich einerseits durch seine Person und Individualität, andererseits durch das Bewusstsein über Ursache und Wirkung einer jeden Aktion, bezogen auf sich selbst.
Fragen über Existenz und deren Begründung sind menschliche Erzeugnisse dieser Entwicklung. Emotion und bewusstes sein, ist zwingende Grundlage jeder Existenz.
Man ist bewusst, weil man existiert... nicht umgekehrt.

Wer Pferde kennt, wird sie lebenslang schätzen.
Wer es nicht tut, kennt sie nicht, oder hat sich dumm genug angestellt ihre Aggression gegen ihn zu erregen.
Das Bezugsdenken eines Pferdes ist feingliedrig und sehr komplex, besonders in Bezug auf Zuwendungen jeglicher Art.
Die Erkenntnis, dass ein Pferd ein exaktes Abbild eines Artgenossen als real betrachtet, schmälert nicht den psychischen Aspekt, sondern lediglich den des aktiven Realismus seines Geistes. In der Natur kam so etwas nie vor und das Pferd ist evolutionstechnisch noch nicht lang genug beim Mensch, um derart gravierende Veränderungen anzunehmen. Wenn sie überhaupt geschehen können...

Ich „sprach“ nun schon seit mehreren Monaten mit einem Rappen. Ich schätzte ihn damals auf 6 Jahre. Er wirkte sehr wild und ungestüm, reagierte zu meiner Überraschung auf ein bloßes „Hallo“ sehr fröhlich und verspielt wie ein 2jähriger.
Er tollte und hüpfte froh herum, wenn er mich von fern erspähte oder meinen Schritt hörte. Ich genoss seine Gesellschaft und das Gespräch mit ihm, er verstand es prächtig meine Launen zu erkennen und schubste mich schon einmal von den Stangen der Umzäunung, wenn ich lediglich gelangweilt dasaß.
Er war ein sehr zuvorkommender Kamerad... ich erlebte ihn nie bösartig.

Eines Tages fand ich ihn nicht an der gewohnten Stelle, nahe einer Wegbiegung unter einer großen Eiche, sondern hörte ihn nur weiter entfernt laut wiehern.
Ich wäre ein schlechter Kumpel, würde ich nicht einmal seine Stimme erkennen.

Ich sah seinen Kopf aus der kleinen Hütte herausragen, in der sich die Pferde bei starkem Wetter zurückzogen. Es schien aber die Sonne und ein Kleinbus stand neben der Baracke.
Ich kannte die Landwirte aus der Gegend und hatte mich oft genug mit vielen von ihnen unterhalten (und dabei einige Leistungen und Freundschaftsdienste an Naturalien empfangen). Die Familie die diese Tiere bei sich leben lies hatte selten Gelegenheit und Geld ihre Anlagen zu erneuern, weil alles für die Pflege ihrer Schützlinge drauf ging.
Ein Leid das viele Bauern heute tragen und daran nicht selten zu Grunde gehen, was den Tieren nicht grade nützlich ist.

Erfasst von Neugierde und leicht besorgt um die Laute aus der Baracke, kroch ich durch die Umzäunung und ging die paar Meter über die Weide hin, zu dem Kleinbus.
Auf halber Strecke erkannte ich die alte Karre als den Bus der hiesigen Tierärztin.
Eine sehr nette Frau, die lange genug in ihrem Beruf ist, um einen Zoo von einem tierquälenden Irren zu unterscheiden... bei Tierärzten ist das sehr selten und ich bin dankbar eine solche ‚Koryphäe’ gefunden zu haben.

Mit einem anmeldendem „Guten Tag Frau W“ kam ich umsichtig in weitem Bogen um die Ecke der Holzhütte.
Jene beriet sich mit dem Besitzer meines Freundes und bekundete ihm, anscheinend sehr lebhaft, irgendeinen medizinischen Umstand.

Ich redete begrüßend mit Frau W, fragte angelegentlich über die Abläufe hier und erfuhr was hier vor sich ging. Mein Freund hatte viel zu lange Zähne, was bei Pferden so gesehen keine Seltenheit und damit Routine für Tierärzte sein sollte... leider galt mein Bekannter im ganzen Dorf als der aggressivste und menschenscheueste Hengst überhaupt. Ich wusste davon nichts, mir begegnete er sehr zutraulich und er beäugte mich auch sofort, als ich um die Ecke kam.
Seinem Ruf machte er aber alle Ehre, als er bei der geringsten Annäherung eines Fremden seine Augen weit aufriss und um sich schlug, wie ein wildgewordener Springteufel.

Der Besitzer hatte ein wenig Blut am T-Shirt und die Quelle dafür war ein Bissmahl nahe dem linken Daumen. Ein typischer Pferdebiss eben... mehr gequetscht als gebissen.

Allgemeines Staunen erfüllte die drei anderen Personen (Ärztin, Besitzer und junger Sohn) als ich ohne jede Gegenwehr meinem Freund begrüßend die Hand auf den Nasenrücken legte und mit leicht schiefgelegtem Kopf leise sagte:
„Na, was machen die mit Dir?“ – angelegentliches schnauben als Antwort.
„Zeig mal Deine Zähne her...“ – geduldig lies er sich seinen Mund öffnen, ich lugte zwischen seinem Gebiss hindurch bis in den Rachen, zupfte eine Graswurzel aus einem hinteren Backenzahn und machte seinen Mund wieder zu. „Ja, die müssen abgeraspelt werden, Kumpel“ und stieß ihn im Jux mit dem Daumen mitten auf die Nase.

Nachdem sich alle Umstehenden sicher waren, dass ich noch bei Verstand und sie ihre Sinne nicht verloren hatten, erklärte ich kurz mit einer aufgesetzten Geschichte, wie ich sein Vertrauen erlangt hatte (ich glaube ich erzählte was vom Joggen und das ich ihn bei einer Verschnaufpause zum ersten mal getroffen hatte... ich weiß nicht mehr genau).

Die Tierärztin schmunzelte vermeintlich wissend vor sich hin, aber an meinem düsteren Blick erkannte sie dann ihre falsche Annahme... DAS ist ja schließlich nicht zwingend notwendig für eine gute Bekanntschaft.

Es endete dann darin, dass ich meinen Freund beruhigte und quasi Händchen hielt, während Frau W seine Zähne bearbeitete und einige Stellen mit einem scharfen Skalpell ausschneiden musste... irgendwas war wohl eingewachsen und so war auch noch ein unangenehm zischendes Kältespray nötig. Das gefiel ihm erst beim zweiten Anlauf.

Der Besitzer war weiterhin über meine Anwesenheit skeptisch und lies davon nur wenig ab, als die Tierärztin für mich ein gutes Wort einlegte.
Es schien ihm zu missfallen, das meine „Macht“ stärker war als seine... vielleicht wusste er auch nur nichts anderes zu denken oder zu tun. Man weiß es nicht.
Nach beendigter Behandlung lies man meinen Freund endlich frei. Anstatt wie angestochen loszurennen, wie es alle aus Erfahrung mit ihm kanten, kam er mit seinem Kopf zu mir gewackelt und beschnupperte meine Haare.
Dann begrüßte er mich noch einmal, als würden wir uns zu unserem täglichen Gespräch treffen, mit leichtem grunzenden Schnauben und verlegenem Scharren.
Das musste ich dann nachmachen, sonst wäre er beleidigt und gekränkt (klingt menschlich – ist es auch... der Unterschied ist gering bis inexistent).

Zu jeder Mitteilung gehört ein Abschluss, ähnlich wie im Funkverkehr. Jener gliedert sich in viele Abarten und je nach Laune muss man anders schließen.
Es ähnelt also unseren Satzzeichen, die eine Stimmung verdeutlichen. (.!?)
Dazu gehörte in diesem Fall ein ruckartiges anheben des Kopfs und drehen zur Seite, dabei muss man sein Gegenüber aber im Blick behalten... sonst bedeutet es was anderes, nämlich eine leichte Drohgebärde.

Das erzeugte erst Belustigung, dann leichtes Staunen und als ich mich verabschiedete und wieder zum Weg zurück ging und mein Freund mich einen Schritt vor mir begleitete, wusste keiner der drei so recht, was zu sagen.
Die ganze Situation lief sich mit der Zeit tot und heute kräht kein Hahn mehr danach.

Denn seit dieser Gegebenheit und meinen sporadischen Besuchen und Gesprächen mit meinem Freund hat sich seine Einstellung gegenüber Fremden stark verändert.

Ich möchte mich nicht als „Pferdeflüstere“ hochstilisieren, sondern zeige hier nur, dass Sprache nichts abstraktes ist. Jeder kann die Grundlagen verstehen.
Jede Aktion hat eine Umschreibung, jede Psyche sucht Wege der Kommunikation im Verband... wer es versteht diese „Sprachen“ zu „sprechen“, der erscheint als unglaubwürdiger Spinner.

Wir alle sprechen mit unseren Haustieren.
Wir fordern unseren Haushund zum Spiel auf, rügen ihn eines Fehlers, loben ihn einer geglückten Aktion und wer ein bisschen mehr an Vokabeln kennt (Schwanzhaltung, Ohr- und Nasenhaltung, Körperhaltung und Laute), entnimmt einer Fotographie die Stimmung und teilweise die Gedanken des abgebildeten Lebewesens.
Übung macht hier wiedereinmal den Meister.

So erkenne ich am Blick meiner Gemahlin Ihre Stimmung, Ihre Absichten.
Mit Symbolen und Gegenständen als Indikator erkenne ich Ihr wünsche und momentanen Bedürfnisse. Sie hat insgesamt 8 Bedürfnissymbole: ‚Langweilig’; ‚Spielen mit...’; ‚Müde’; ‚Toilette’; ‚Spazieren’; ‚Schmusen’; ‚Zärtlichkeit’ und ‚Hilfe’.
„Hilfe“ benutzt Sie, wenn Sie etwas tun soll oder will, aber nicht kann, weil etwas im Weg steht oder es unerreichbar ist. Verschlossene Türen (Sie öffnete sie sonst selbst), bekundet sie zusätzlich mit einem lauten ‚Wau!’. Das erleichtert mir die Deutung enorm.

Ich tadle Sie immer Ihrer Faulheit (bin aber nicht minder besser *g*). Doch muss ich eingestehen, dass Ihre Leistungen sehr beeindruckend und hilfreich sind.
Schließlich bringt Sie sich das meiste sogar selbst bei, ohne dass ich Ihr erst umständlich einen Gegenstand als Symbol zeigen und darbieten muss...

Wenn man will, ist alles möglich.

Rynnertau :)

Tags

leben 

Kommentare

Noch keine Kommentare!
Kommentieren


Nur für registrierte User.

Rynnertau Offline

Mitglied seit: 05.05.2008
DE mehr...
Wirklich beenden?
Ja | Nein

2005-02-17 02:37