Allgemein
"Miss Brooks, sie kommen nun seit Februar zu mir und es dreht sich bei Ihnen immer nur um eines: Sie haben Angst. Angst vor der Angst. Oder Depressionen, wenn ihre Angst weg ist. Was wünschen Sie sich?"

>>Wissen Sie, Holger, ich weiß haargenau was ich will. Soll ich Ihnen meinen Tagesablauf schildern, so, wie ich ihn mir wünsche?
Ich gehe nun davon aus, dass ich sowohl mein Abi, als auch meine Ausbildung fertig habe, Abschlussnoten sind mir hierbei jetzt egal. Jedenfalls:
Gegen 10 Uhr stehe ich auf, nach Duschen, Kaninchen füttern etc. gehe ich aus einem Haus/einer Wohnung, Baujahr 1890, Jugendstil, ein wenig runtergekommen, die Wohnung/das Haus ist schön, geschätzte 120m², 6-7 Zimmer, davon 2 etwa 6-10m² groß, damit meine Kaninchen wieder ein eigenes Zimmer haben, alte Dielen, ein langer, dunkler Flur, Stuck an der Decke, der Gaszugang für den Herd ist abgeklemmt und gegen einen E-Herd eingetauscht, schwarz-weiße Kacheln in der Küche, sodass man Schach spielen könnte, wenn man wollte und es könnte. Das Haus zeigt deutliche Gebrauchsspuren, wenn ich aus der Tür gehe, sage ich dem Obdachlosen, der bei Regen immer vor meiner Haustür schläft "Guten Morgen", steck ihm 3 Euro zu und gehe zu meinem Auto, ein alter MG - Cabrio - oder einer modernen Limo, Gesamtwert dieses Auto liegt aber nicht über 40.000 Euro. Auto gleich Statussymbol, ich bin da ganz männlich. Ich fahre aus dem heruntergekommenen, teuren St. Pauli ein paar hundert Meter in die Hafencity, wo sich eine Event-Agentur niedergelassen hat und ich mit geschätzten 30 Jahren eine bedeutende Position erreicht habe. Das ist mein "Baby", zusammen mit meinen Kaninchen. Als Event-Managerin plane ich ein wenig Events, Konzerte, was es eben so gibt, um gegen 16-17 Uhr Feierabend zu machen und mich meiner Kaninchen-Auffang-Station in St. Pauli zu widmen - ich muss hierbei noch erwähnen, mein Domizil auf St. Pauli hat etwa 80m² Garten. Wenn es mir ganz passend kommt, betreue ich eien Band und fahre abends ab und an mit auf Konzerte, um das Ergebnis anzuschauen. Arbeitsbeginn ist am nächsten Tag um eine entsprechende Uhrzeit. Ich arbeite nicht starr wie sie, Montag bis Freitag, 10 Uhr bis 18 Uhr, sondern so, wie es erforderlich ist, Wochenendarbeit, dafür vielleicht mal montags frei und mittwochs. Mein Mann ist Brite, Amerikaner, Russe, Niederländer oder Däne, er wohnt in Rotherbaum, einem der Elbvororte oder Winterhude, aber auf keinen Fall bei mir. Genauso wie er auf keinen Fall Deutscher ist. Ich bin da ein wenig stolz drauf, dass ich als ehemalige Rechtsextreme nun alles verlagert habe und nicht mehr Ausländer ausschließe - sondern Deutsche!
Um den Tagesablauf weiter zu beschreiben, nach Ankunft in St. Pauli geht es mit den Kaninchen weiter, aufräumen, einkaufen und einem kühlen Blonden - Astra natürlich, oder irisches Bier - da fällt mir auf, ein Ire, Schotte oder vielleicht ein Mann aus Whales, wäre alles auch noch besser als ein Deutscher. Ins Bett gehe ich sowieso nicht vor 2 Uhr nachts. So, jetzt wissen Sie, was ich will. Sind Sie nun erstaunt?
Weil mir der Zufall auch zu zufällig oder zu unnötig, zu unangenehm sein könnte. Ich weiß, was ich will. Das ist doch das Entscheidende, oder?
Ich gehe fest davon aus, dass ich wieder Panikattacken kriege, sobald ich für die Schule aufstehe und mich frage, warum ich da überhaupt hingehe. Wissen Sie, außer Mathematik, derzeit 3 Wochenstunden, gibt es kein einziges Fach, was mich interessiert. Ohne meine heile Welt, 130 Euro for every month, würde ich gleich alles schmeißen und mir einen "Strick zum Erschießen" suchen. Mein Lifestyle ist teuer, meine heile Welt 130 Euro, meine Kaninchen etwa 100 Euro jeden Monat. Wegen denen laufe ich übrigens auch nur so rum, wie ich rumlaufe. Sonst würde ich auf die Sonnenbank gehen, zur Maniküre, öfter zum Frisör und mir auch öfter mal was zum Anziehen kaufen.
Ja, ich weiß. Doch, natürlich gibt es die, aber manchmal erscheinen mir klare Antworten nicht so sinnvoll. Wie würde es sich denn anhören, wenn ich Ihnen sage: Ich hoffe, morgen fällt VWL aus, der Tag geht schnell rum und ich hasse diese Enge. Ich kann diese Enge nicht ertragen. The fuckin´ clock - dauernd mahnt sie mit ihren fuckin´ Zeigern, dass du schon wieder das und das machen musst, weil du bald ins Bett musst, weil du morgen früh aufstehen musst, weil du zur Schule musst.. Ich brauche Freiheit, wenigstens irgendwo, ich habe aber nirgendwo Freiheit. Nichtmal finanziell. Dann würde ich mir die Anwesenheit in der Schule erkaufen.
Na, hören Sie mal! Wer lässt sich nicht kaufen, wenn es um Dinge geht, die einen persönlich kaum tangieren, interessieren oder von Bedeutung sind?
Danke, die werd ich nicht haben. Ich grenze mich außerdem zwangsweise ab von meinem Mitschülern. Nicht "the fine English", aber ich komm damit klar - manchmal.