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Tagebuch Mjetzko
2012-03-30 15:16
März
Der neue Tag atmete sich frisch. Als hätten unbekannte Mächte einen Instagram-Filter über die Welt gelegt, schlängelte sich der Rauch vor ihm wie ein gemächlicher Bach dem Himmel entgegen. Ein Kronblatt löste sich langsam vom Blütenboden und glitt dann ebenso langsam in der leichten Sommerbrise zu Boden. Auf dem Rücken liegend und das Ganze auf dem Kopf stehend betrachtend fragte er sich, ob wir der Welt die Klischees aufstülpen oder ob sie sich durch ihre Wahrhaftigkeit unserem Denken aufzwingen. Er dachte über das Mädchen nach. Das von gestern Abend. Sein Kumpel fand sie zu dick. Aber das war immer so. Blonde Haare hatte sie mit leichten Locken. Das hatte eigentlich schon gereicht. Aber dann hatte es geregnet und sie standen allein unter einem Baum. Er hatte sie geküsst. Woher er den Mut dazu genommen hatte, wusste er selbst nicht. Irgendwie hatte sie ihn an irgendwen erinnert. Nun lag er da. Ihren Geruch immer noch an seinen Fingern und starrte in den viel zu blauen Himmel.

Er fühlte sich seit langem mal wieder so richtig gut, euphorisch beinahe. Das Leben war schön. Die Musik passte zu seiner Stimmung. Die Bahn hielt. Leute stiegen neben ihm aus, drängten sich an ihm vorbei auf dem Weg zur Arbeit. Die Menge vor ihm löste sich in Nichts auf und da stand sie. Sie hatte eine raue Schönheit an sich. Hohe Wangenknochen, eiskalte Grüne Augen eingerahmt von Kastanienbraunem Haar. Ihre Blicke verfingen sich für endlose Sekunden. Aus vollem Herzen lachte er sie an. Sie musste schmunzeln und wandte dann schamvoll ihren Blick ab. Nun sah er ihre ganze gemeinsame Zukunft. Die Töchter, den Hund, den Streit um die Affäre, der sie fast auseinanderbrachte, die jahrelange Einsamkeit zu zweit und die noch viel erbarmungslosere Leere nach ihrem Tod. Die Türen schlossen sich vor ihm. Während sein Körper weitergetragen wurde, erhaschte er noch einmal ihren Blick. Die ganze Welt entfernte sich mit ihren Augen.

Der Kaffee machte das Halbwachsein ein wenig nervöser. Eine Weile lang ließ er sich von Dingen berieseln. Musik, Videos, Serien, Facebookprofile, den Neuigkeiten und Nichtigkeiten der modernen Welt. Eine seiner Verflossenen war in der Stadt und fragte, was er mache. Sie erwähnt wie beiläufig, dass sie wieder solo sei. Sein Handy vibrierte, aber er konnte nicht ganz sehen, wie die Erwähnung eines rasierten weiblichen Geschlechtsteils nicht als Anmache verstanden sein wollte. Er stellte sich mit einer weiteren Tasse heißen Wassers auf den Balkon, zog an seinem Joint und dachte einmal mehr über sein Leben nach. Er meinte einige Wohnungen weiter die Paarungsgeräusche zu vernehmen. Bilder von letzter Nacht schossen ihm durch den Kopf. Er lächelte, halb stolz, halb schamhaft. Dass sie eben diesen Moment wählte, um ihm zu schreiben wie schön sie den Abend gefunden hätte erschien ihm weniger ironisch als vielmehr Bestätigung der allgegenwärtigen Farce.

Als er einige Stunden später erwacht, zogen Nebelfetzen seines Traums an ihm vorbei. Ein Hotel eingerichtet im verschwenderischen neo-asiatischen Stil. Endlose labyrinthartige Gänge. Überall die Hostessen. Immer nur mindestens zu dritt erscheinend. Sie sind unnatürlich hoch und dünn gewachsen. Es sind alles Klone. Sie haben etwas Fremdartiges an sich, nicht nur durch ihre doppelten Augenpaare. Sie sind äußerst zuvorkommend. Etwas Düsteres liegt über Allem. Er weiß genau, wo er hin muss, obwohl die Gänge endlos weiter mäandern. Gewalt und Erotik liegen in der Luft. Die Ahnung, dass jeden Augenblick etwas abgrundtief Böses passieren wird. Seltsamerweise ist ihm das im Traum egal. Er steht etwas über den Dingen. Er hat mehr Substanz als die Schemen der anderen Gäste. Er weiß mit welchen der immer gleichen Mädchen er reden muss, um voranzukommen. Er findet die Richtige. Sie unterscheidet sich von den Anderen dadurch, dass sie nur ein paar Augen zur Schau stellt. Er versteht seine eigenen Worte nicht. Das Mädchen jedoch verändert sich. War sie gerade nur einen Kopf größer als er, so scheint sie sich auszudehnen. Wie ein öliger Schleier legt sie sich über alles. Die Hotelgänge verschwinden. Sie stehen jetzt in einem lichtdurchfluteten Atrium. Sie sagt, es hätte nicht so sein müssen und verschwindet in einem Lichtschauer. Er zieht sein Schwert und kämpft gegen die Vampire, die nun überall auftauchen. Er ist ihnen klar überlegen aber er scheint sie nicht verletzen zu können. Doch erinnert er sich plötzlich seiner Macht und fegt sie weg. Er beginnt Liebe zu machen mit seiner ersten Freundin. Doch auf einmal ist die wieder die Hostess und er wacht auf. Sein Telefon klingelte während er noch über Freud und Jung nachdachte. Sein letzter Abend? Natürlich würde er sich nicht lumpen lassen.

In voller narzisstischer Blüte schloss er, frisch rasiert, mit noch nassem Haar, hinter sich die Tür. Einen Frühlingsgedichtband und das März Centrefold dabei. In seiner rechten Hand ein Bier. In seiner Linken eine Kippe. Er wählte noch ein Lied aus, dann lief er los.

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2012-03-30 15:16