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Tagebuch MI
2005-08-10 17:23
Zweifel
Diese Geschichte mit dem Klavier hat mich gehörig schockiert. Ich kenne solche Schocks, mir passiert so etwas ab und zu. Ich frage mich natürlich, ob ich wirklich so rücksichtslos bin, wie es aus dem Antwortschreiben meines Nachbarn herauskommt. Er hat sich zwar Mühe gegeben, mir zu verbergen, was er von meiner Kinderschar hält und sowieso von mir und meiner Art, auf der anderen Seite steht zwischen den Zeilen glasklar geschrieben, was in ihm vorgeht. Blanke Wut steht da drin.

Natürlich, es kommt auch Respekt durch, Anerkennung ("drei Kinder großzuziehen verdient sicher große Anerkennung", ein sehr guter Klavierspieler sei ich, ein guter Kontakt zu uns wäre ihm wichtig), aber nichts geht hier ohne das berühmte "aber". Und er hat es sich auch nicht aufgespart mir zu mitzuteilen, daß er a) nicht an meinen ausführlichen Darlegungen interessiert ist und b) einen etwaigen weiteren Brief von mir aus Zeitmangel nicht beantworten und gleich "entsorgen" wird. Eigentlich hat mich diese Passage am meisten getroffen.

Seine Lebensgefährtin will nicht verhandeln, wie sie sagte, und er bzw. sie beide, wie er schreibt, sind nicht interessiert an den Dingen, die ich - auf meine Weise - zu sagen habe. Trotzdem ziehen sie das "persönliche Gespräch" vor. Ja, worüber wollen sie denn dann überhaupt sprechen? Oder geht es nur darum, uns einen Forderungskatalog zu unterbreiten?

Ich habe ja erst deswegen auf Briefverkehr umgestellt, weil nicht mehr verhandelt werden wollte und mir das Musizieren sonntags pauschal gestrichen werden sollte. Damit war ich nicht einverstanden. Und da es kurz vor unserem Urlaub war, und ein Treffen unwahrscheinlich, habe ich einen Brief geschrieben. Ich habe keine Probleme mit schriftlichen Auseinandersetzungen. Die können sehr erhellend sein.

Alles in allem muß man sagen, daß unsere Positionen verschiedener nicht sein könnten. Außer diesen beiden Menschen, die unglücklicherweise über meiner Wohnung wohnen, gab es bisher noch nicht eine Beschwerde wegen unserer Kinder oder wegen meiner Musik. Im Gegenteil bekommen wir eher zu hören, daß die Kinder auffallend nett wären und gar nicht so laut, wie man das sonst so kennt. Wir haben keine Stoffpuppen herangezogen, toben tun die natürlich auch. Aber alles in allem kann ich schon sagen, daß das Paar über mir sein Glück gar nicht kennt, daß es meine Familie ist, über der sie wohnt.

Nichtsdestotrotz ist es aber nun doch genauso, wie wenn ich und die Familie mit all ihren Bewegungen und Geräuschen geradezu unerträglich wären. Schade, daß das passieren mußte. Natürlich, man muß sie verstehen, die (gewollt, bewußt?) Kinderlosen. Sie wissen nicht, wie das ist, sie haben davon einfach keine Ahnung. Sie wollen es auch nicht wissen, so schreibt er es ja auch. Sie wollen nichts davon wissen und nichts davon hören und sehen. Und dennoch sind sie in einem Haus voller Kinder und Familien gelandet (reichlich selten in Deutschland, so ein Haus). Eigentlich ein Witz, diese Konstellation.

"Narrenfreiheit", so nannte er es, hätten die Kinder im Haus, von Rechts wegen schon. Das wüßte er wohl. Aber weiß er auch, wo die Narrenfreiheit aufhört? Direkt vor der Haustüre hört sie auf. Wer hat sich denn da breit gemacht? Wer hat da wem den Lebensraum weggenommen? Sobald es vor die Haustüre geht, heißt es heuer doch nicht mehr "Fang den Ball!" oder "Wer geht ins Tor?" sondern es heißt: "Paß auf, sonst bist Du tot."

Da gibt es keine spielenden Kinder mehr, sondern fast nur noch fahrende Autos. Und wo das schon so ist, und wo ich auch immer noch meine Kinder zur Ruhe anhalte innerhalb der Wohnung: so werde ich doch ganz bestimmt nicht die Freiräume, die die Kinder Gott sei Dank und wenigstens innerhalb des Hauses haben, einengen, nur damit diejenigen, die ihnen draußen schon alles systematisch weggenommen haben, drinnen auch noch ihre Ruhe haben.

Ich habe hier übrigens in der letzten Zeit urplötzlich einen üblen Verdacht bekommen, was die Tendenz zur Ganztagsbetreuung von Kindern anbelangt. Momo läßt grüßen...

Aber mein Klavier, das werde ich wohl opfern müssen. Klar, sechs Tage die Woche, das muß doch genügen. Aber wenn ich fünf Tage die Woche sowieso erst abends daheim bin und dann kaum zum Spielen komme, dann bleiben nur noch zwei Tage übrig. Davon einen zu streichen, das schmerzt. Und auch wenn mir alle Leute sagen, ich solle das nicht ernst nehmen, das wäre doch nicht rechtens. Jetzt, wo ich weiß, wie sehr ich mit dem Klavier anderen Menschen die Lebensqualität nehme, muß ich erst mal in mich gehen und mich fragen, ob es das alles wert ist. Im Moment ergreife ich ein paar lärmdämmende Maßnahmen. Aber spielen kann ich zur Zeit überhaupt nicht.

Michael


Kommentare

09:09 11.08.2005
Hallo Michial,

schön, dass du wieder zu deinem Webzettel zurückgefunden hast. Welcome back.

Das mit deinem Klavier ist schon so ein Ding. Sind deine Nachbarn von oben, denn Sonntags 24 Std. am Stück in der Wohnung? Außerdem treibst du ja nicht Dauer"lärm"belästigung. Die eine Stunde können die dir ja wohl verzeihen. Da lässt sich doch bestimmt eine Einigung erzielen.

Da gäb's ja dann noch Erpressung. Was stört dich denn ganz besonders an denen? Laufen die mit Socken über den Boden und flüstern den ganzen Tag? Hören sie Musik ohne Ton und schauen sie Fernsehen, sodass man eigentlich nur mit Hörgeröt was versteht? Parken die eventuell ständig euren Parkplatz zu oder sitzen aufm Balkon und unterhalten sich? Da gibbet doch bestimmt auch was. Auge um Auge, Zahn um Zahn.

Aber das mit dem Brief fand ich jetzt auch nicht so dolle. Man kann die Leute eher bei einer Tasse Kaffee und ein Stückchen Kuchen weichklopfen. Da kann man sich selbst dann auch von einer netten Seite zeigen. Ein Brief kann dagegen ganz schön hart klingen. So nach dem Motto : ich beharre auf mein Recht, egal was ihr davon haltet.

Setze dein Recht durch und geb den anderen das Gefühl als würdest du schon auf wahnsinnig viel verzichten bla, bla, blub.

So, keine Ahnung, ob dir Ratschläge von ein 25jährigen bei Mama und Papa wohnenden Göhre was bringen

Liebe Grüße
Pandora (Claudia)
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2005-08-10 17:23