Was kommt nach der Trauer?
Ich weiß nicht, ob ich mehr ergriffen bin über die weltweite Anteilnahme am Tod des Papstes, oder ob mich das eher erschüttert, zeigt es doch auch, wie sehr die Menschen in der heutigen Zeit an der Sinnlosigkeit des Materialismus leiden. Ich habe mir meine alten Briefmarken rausgesucht, damals, als der Papst 1980 Deutschland besuchte, habe ich extra Marken nach München geschickt und sie mir von einem offiziellen Papstbesuch-Stempel entwerten lassen. Und habe sie noch heute. Jetzt kann ich sie ja als Memorabilie bei ebay versteigern...

Mit dem Papst ist es wie mit Kohl, ich kenne nur ihn, bin mit ihm groß geworden und mit ihm stirbt wieder etwas von mir (der "Kohl in mir" ist allerdings schon länger tot). Und obwohl ich das Gebäude hinter dem Papst für absurd halte, ergreift mich der Mensch doch als Mensch, nicht wegen seiner Menschlichkeit, sondern weil er so ist, wie er ist, und kein bißchen anders. Er ist für mich deshalb glaubwürdig in dem Sinne, daß ich ihm glaube, daß er all das glaubt und vertritt und lebt, was er sagt.

Wenn nur dieses absurde Kirchengebäude nicht wäre, von dem mir keiner weiß machen kann, daß Jesus das gewollt hätte, ja jemals überhaupt nur erwähnt hätte, daß es so etwas geben solle (eher das Gegenteil ist doch der Fall). Das paßt nicht in dieses schöne Bild einer väterlichen Figur, die mir all das gibt, was ich bei Politikern, Wirtschaftsleuten und "Stars" so schmerzlich vermisse: Charakter und Standhaftigkeit.

Und sei er, wie er sei, stockkonservativ nach innen, für eines bin ich ihm zutiefst dankbar: nämlich für dieses Bild des amerikanischen Präsidenten gestern abend, als er seine Beileidsworte über die Monitore verkündete. Wie ein Schuljunge stand er da, bleich und gesichtslos seine Frau daneben. Und ich dachte: ja, hier hört deine Macht auf. Der Präsident Amerikas, der konntest Du werden, aber Papst wirst Du nie. Und ganz offensichtlich ist der Papst mächtiger als Du, man sieht es deiner Nasenspitze an und deiner Angst, mit der Du dich an den Zettel klammerst, den dir jemand geschrieben hat.

Und wie verblassen plötzlich alle Mächtigen dieser Erde, wie sehen ihre Politik und ihr Wirtschaften nun aus, wie das törichte Spiel kleiner Kinder, die sich gegenseitig das Spielzeug wegnehmen wollen. Und das ist es ja tatsächlich. Es ist ein törichtes Spiel kleiner Kinder. Aber nur heute, wo der Tod eines unglaublich populären Papstes den nötigen Blickabstand schafft, ist das so gut sichtbar. Morgen wird das vorbei sein. Morgen wir das alles wieder sehr, sehr wichtig sein.

Morgen, damit ich meine ich den Morgen nach all der Trauer, morgen werden auch all die Trauernden weiterspielen. Dieser ganze Horror wird einfach weitergehen, niemand wird damit aufhören. Müßte denn nicht jetzt ein Ruck durch die Menschheit gehen? Müßten sich morgen nicht die Menschen an einen Tisch setzen und sagen: hier läuft etwas schief, wir alle wissen das, laßt uns etwas dagegen tun?

Aber nein, das Geschäft geht weiter, der Rubel muß rollen, die Klingeltöne müssen downgeloadet und die Neuwagen an den Mann gebracht werden, egal, ob nun mittlerweile mehr Autos als Straßen zu sehen sind, wenn man durch die Städte geht.

Mein Vorschlag für dieses Morgen (und der kommt mir in den Sinn durch meine heutigen Erfahrungen des Berliner Halbmarathons): der erste Sonntag im Monat in allen deutschen Innenstädten autofrei. Vielleicht dann bald jeder zweite, wenn das Angebot gut angenommen wird, vielleicht sogar bald jeder Sonntag. Das hat zwar nichts mit Wirtschaftswachstum und Arbeitslosigkeit zu tun, aber es hat etwas mit Kommunikation zu tun und mit Begegnung, es hat etwas mit Menschlichkeit und Lebensqualität zu tun. Und ich glaube daß dort, wo Leben Qualität hat, sich ganz neue Ideen ergeben und sich ungewöhnliche Wege aus dem Schlamassel öffnen.

Was wird aber morgen tatsächlich geschehen?

MI

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