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Tagebuch MI
2005-08-08 16:55
Vom Sinn des Schlechten
Es ist wieder einmal interessant zu sehen, wie das "Schlechte" eigentlich auch wieder "gut" sein kann oder zum "Guten" führen kann (zum Beispiel stellt die Auseinandersetzung über mein Klavierspielen einen weiteren Baustein zu unserem eigentlich überfälligen Umzug dar. Dazu braucht es aber nichtzuletzt eine berufliche Entscheidung. Und diese herbeizuführen, braucht Kraft, die ich auf diese Weise akkumuliere. Ich lerne außerdem sehr viel mehr über die eigentlich gute rechtliche Situation von Eltern und Musizierenden in gemeinschaftlich genutzten Wohnanlagen, etwas darüber, wo meine und anderes Leute Rücksichtsnahme endet und Selbstaufgabe beginnt und schliesslich wofür ich bereit bin, zu kämpfen, und wofür nicht).

Selbstverständlich richtet man sich in der Welt des "Guten" bequem ein und wehe dem, der daran zu rütteln wagt. Das Problem ist aber, daß das Gute nicht ewig gut sein kann, wenn es sich nicht ändert, wenn alles immer so bleiben soll, wie es ist und wie man denkt, daß es das soll. Es ist wie mit allem und der Zeit: es wird allmählich schlecht.

Sehr interessant in diesem Zusammenhang etwas, das mir im "Faust" aufgefallen ist. Es war wohl höchste Zeit für mich, mich mit dem "Faust" zu beschäftigen. Aber es braucht eben alles sein Zeit. Es hat ja keinen Sinn, zu versuchen, den "Faust" intellektuell zu verstehen. Im Grunde kann es nur so klappen, daß man etwas liest, was einem im Grunde schon immer klar war, man es so klar und so logisch aber noch nie vorgefunden hat.

Es gibt da einen Satz, den Faust zu Mephistopheles sagt, der eigentlich erst durch einen allseits bekannten deutschen Tennis-Star berühmt geworden ist (für mich jedenfalls): "Augenblick, verweile doch". So hatten seine Ghostwriter doch B.B. Buch genannt (es sei denn, er hat es selbst so genannt, egal).

Klingt das nicht schön? Sagt das nicht eigentlich jeder? "Ach, Du schöner Moment, bitte bleibe doch" "Wenn es doch nur immer so schön wäre, wie jetzt" usw. Und das ist tatsächlich eine Anlehnung an einen Satz, den der Faust sagt. Also noch besser, dann ist es ja auch noch durch unseren größten Dichter abgesegnet. Der Sinn des Lebens besteht sozusagen darin, schöne Augenblicke herbeizuführen, sie sodann zu verlängern und ihnen schließlich nachzutrauern um gleich den nächsten zu erhalten. "Gutes" wird angestrebt, "Schlechtes" gemieden.

Aber tatsächlich verhält es sich genau umgekehrt, bzw. mit dem Bestreben, das Gute zu konservieren, wird erst dem Schlechten das Tor geöffnet. Und das steht im "Faust" selbst zu lesen, wenn man sich das ganze Zitat ansieht. So spricht Faust zu Mephistopheles:

"Werd' ich zum Augenblicke sagen:
Verweile doch! du bist so schön!
Dann magst du mich in Fesseln schlagen,
dann will ich gern zugrunde gehn!"

Ich habe keine Ahnung, wie das normalerweise so interpretiert wird. Ich war nur völlig überrascht darüber, das Zitat auf dem Buchtitel hier in seinem eigentlichen Zusammenhang zu finden und verstehe jetzt auch, wie es ursprünglich gemeint war: das Gute ist in dem Moment zu Ende, wie ich es bewahren will. Es ist das Ende des Glückes, wenn ich an ihm festhalten will. Wenn ich so ängstlich geworden bin und so mutlos, daß ich es vorziehe, auf meiner Position zu verharren, als mich offen auf den nächsten Moment einzulassen. Dann ist das Leben wirklich zu Ende und Mephistopheles kann mich getrost abholen.

Doch damit es nicht soweit kommt, schlägt eben ab und an das "Schlechte" in das "Gute", damit das "Gute" nicht "schlecht" wird. Ich glaube, dies ist eine grundlegende Mechanik des Lebens und wieviele innere Krämpfe und Auseinandersetzungen mit äußeren Ereignissen lösen sich auf, wenn man das nicht nur akzeptiert hat, sondern in diesem Ablauf das Eigentliche entdecken kann, worum es im Leben geht?

Michael


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2005-08-08 16:55