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Tagebuch MI
2006-06-16 16:02
Versuchung
Die Sehnsucht ist doch so eine nette, treue Begleiterin. Ich weiß nur manchmal gar nicht mehr, was da noch gesucht wird und wer da was sucht. Wer suchet, der findet, das klingt gut. Aber warum denn überhaupt suchen?

Wenn ich nach was suche, dann heißt das doch wohl, daß ich zuvor etwas verloren habe oder doch zumindest: daß mir etwas fehlt. Vom Standpunkt der Totalität aus betrachtet ist es aber unmöglich, daß mir etwas fehlt. Die Totalität an sich IST vollkommen, und da ich selbst diese Totalität BIN, bin auch ich vollkommen und es fehlt mir nichts.

Das erinnert mich ein bißchen an den berühmten Psalm, daß der Herr mich auf grüner Aue weiden und es mir an nichts mangeln wird. Immer wenn ich den mal wieder höre oder lese, gefällt er mir, ich finde ihn einfach schön. Die Frage stellt sich allerdings auch jedesmal: ob er denn auch stimmt.

Ich stelle mir dann die schlimmen Situationen vor, in denen sich Menschen befunden haben und auch heute befinden (im Vergleich dazu bin ich ja ausgesprochen gut weggekommen) und stelle mir vor, wie sie diesen Psalm sprechen, was dann für mich eher eine Form des Selbstbetrugs und der verzweifeltes Suche nach einem Hoffnungsschimmer darstellt. Was soll man auch sonst noch denken oder sagen, wenn alles andere versagt?

Aber vielleicht ist es wirklich sinnvoll, solche Psalmgebete als eine Art Mantra zu verstehen. Es tut jedenfalls gut, wenn man den Gedanken, es ist für alles gesorgt, denkt, spricht oder sogar lebt. Es gibt schließlich genügend Hinweise darauf, daß ich vorzugsweise lieber denke, daß für nichts gesorgt ist, ich selber immer alles machen muß und daß schon gar nicht irgendein grünes Tal darauf wartet, von mir beweidet zu werden. Einfacher wird das Leben dadurch auch nicht.

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Heute Morgen habe ich noch eine andere sehr bekannte Geschichte gehört, nämlich die der Versuchung Jesu in der Wüste durch Satan. Dreimal versucht Satan, Jesus auf seine Seite zu ziehen. Zuerst soll Jesus aus Steinen Brot machen, um seinen Hunger zu stillen. Jedoch: "Nicht vom Brot allein lebt der Mensch." Dann soll er von einem hohen Dach herunterspringen, denn es stünde geschrieben, daß "ihn Engel tragen würden, daß er seinen Fuß nicht an einem Stein stoße".

Diese Stelle mag ich besonders, es gibt dazu eine sehr schöne Chor-Vertonung von Felix Mendelssohn-Bartholdy, die ich auch schon mal mitgesungen habe (ich hatte das immer auf Maria bezogen komischerweise, jetzt fällt mir erst auf, daß es sich ja um diese Szene handeln muß: "Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir").

Jedenfalls: Jesus springt nicht, denn es steht auch geschrieben: "Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen."

Und die Welt will Jesus auch nicht besitzen, auch wenn Satan sie ihm zu Füßen legen will, wenn er dafür vor ihm auf die Knie geht. "Nur dem Herrn, deinem Gott, sollst Du dienen und ihn ehren". Da gibt Satan auf, Jesus ist eine zu harte Nuß für ihn.

Ich finde in dieser kleinen Erzählung so vieles wieder, was ich täglich erlebe und worüber ich täglich entscheide. Blicke ich vielleicht zu sehr aufs Brot und vernachlässige das Wort? Möchte ich Wunderdinge erleben, die mir beweisen, daß das Leben nett, gut und freundlich ist? Und zu welchen Kniefällen bin ich bereit, wenn ich dafür nur mehr an Welt gewönne?

Es schadet nicht, sich diese Geschichte ab und an ins Gedächtnis zu rufen. Die Verlockungen der "Welt" sind groß, und schnell wird das Brot wichtiger als das Wort, Wunder wichtiger als die Entdeckung der Eigenleistung und die Welt wichtiger als die Seele. Und ich kann mir vorstellen, daß bei vergessen dieser Zusammenhänge schnell eine Suche losgeht, die nur in die Wüste führen kann.

Michael

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