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Tagebuch MI
2006-04-07 11:19
Selbstfindungsterrorismus
Eine rote Schnur sehe ich immer wieder (bei mir, bei anderen und in verschiedensten Lebensbereichen): je mehr ein Mensch zu sich selbst (zurück)kommt, desto mehr scheint er sich von den anderen zu entfernen, desto mehr sieht er sich Angriffen ausgesetzt und desto mehr gerät er in (letztlich aber selbsterzeugte) Rechtfertigungsnöte.

Es ist fast so, wie wenn ein claquerende Masse zu gar nichts anderem da wäre, als alle Menschen, die den Entschluß gefaßt haben, die Suche nach sich selbst nicht nur durchzuführen, sondern sogar durchzuhalten, eben davon abzuhalten.

Das wiederum muß damit zusammenhängen, daß dieses Sich-Selbstfinden eigentlich jeder will, weil jeder in seinem Innersten weiß, daß es nur darum geht und alles andere in seinem Leben Schall und Rauch ist. Nur traut man sich halt nicht. Und jetzt macht es ihnen einfach einer vor.

Dann fangen sie an auf die ungeschriebenen Spielregeln zu verweisen. Als gäbe es eine stillschweigende Übereinkunft, zwar den Lebensauftrag zu kennen, ihm aber nicht zu folgen. Als hätte jeder Mensch bei seiner Geburt einen Vertrag unterschrieben, der der Preis für sein Dasein ist. Er unterschreibt, daß er alle Anstrengungen zur Selbstfindung unterläßt und sich von etwaigen Verlockungen zur Selbstfindung nicht verführen lassen wird.

Selbstfinder sind also so eine Art Spielverderber. Sie rauben den anderen ihre Gemütlichkeit, die sie sich gegenseitig eingerichtet haben, und machen ihnen vor, worum es hier geht, und worum nicht. Das nervt die natürlich.

Typische Reaktionen sind dann: entweder stures Ignorieren (Ausdruck totaler Hilfslosigkeit) oder als Kritik oder Hilfe getarnte Versuche, das Selbst- findungsprogramm zu sabotieren. Diese durchwandert das Spektrum von Reserviertheit bis zu Abfälligkeit und Häme und schlägt ggf. in Feindschaft und Aggression um, sobald klar geworden ist, daß der Selbstfinder (besser: der Prozess) nicht mehr aufzuhalten ist.

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Es ist dann ein Fehler, sich allzuviel davon anzunehmen. Natürlich muß man - finde ich jedenfalls - immer bereit sein, sich alles anzuhören, und ggf. dazu auch etwas zu sagen. Aber ich habe auch die Vermutung, daß eine Kommunikation mit Selbstfindungssaboteuren ab einem bestimmten Punkt aussichtslos ist.

An dieser Stelle zeigt sich dann gerne die Arroganz und bittet um Einlass in das Wohnzimmer des Selbstfinders. Da muß man dann noch einmal gut aufpassen, nicht wieder aufs falsche Gleis zu geraten - wo man doch schon so "weit" gekommen ist. Ich glaube, Anflüge von Arroganz gehören auch zu den Begleiterscheinungen erfolgreicher Selbstfindung.

(Ich müßte das eigentlich jedesmal in Gänsefüßchen setzen, das ist mir aber zu lästig).

Aber das macht nichts. Da sind also Arroganz, Ignoranz, Häme, Claqueure (die eigentlichen Feiglinge) und natürlich die große trübe Masse, die von sich selbst anscheinend wirklich überhaupt nichts mehr weiß (und sich jederzeit den Claqueuren anschließen kann). Was aber auch wohl nur wieder damit zusammenhängt, daß sie auch gar nichts von sich wissen will. Was wiederum bedeutet: eigentlich weiß sie es ja sogar. Aber das hinzunehmen ist bei so viel Lebenslüge einfach zuviel des Guten.

Daher gehört zu den weiteren unabwendbaren Selbstfindungsgefährten: Einsamkeit, Unsicherheit, Angst. Das ist der Inhalt des Fortgeschrittenenpraktikums.

Das Ganze ergibt schließlich ein ziemlich explosives Gemisch. Wenn es zündet, kann’s die Umgebung natürlich auch gleich mitreißen. Das ist sozusagen der innere Selbstfindungsterrorismus. Gegen den nutzt kein Antiterrorprogramm.

Michael

Kommentare


unbekannt
14:09 09.04.2006
Und was für ein Glück, dass nichts dagegen getan werden kann!

Denn wie bitter ungünstig wäre es, dieses Glück aufzuhalten, auch wenn es zunächst mal schmerzt und unsicher macht, Angst einflößt und einen zurückverfrachten will in die allgemeine Masse.





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unbekannt
10:41 08.04.2006
ja Michael, so ist das nun mal - und es kann nichts dagegen getan werden.

Gruß
Dieter


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