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Tagebuch MI
2006-09-03 10:32
Nur gedachte Hierarchie (2)
Ich stand am Kopierer, hatte mich endlich dazu durchgerungen, die Seiten aus dem von einem Kollegen geliehenen Buch zu kopieren, die ich für mich als interessant empfand und daher griffbereit haben wollte.

Buchseiten zu kopieren ist nicht ganz trivial. Man muß den richtigen Zoomfaktor einstellen, da Bücherformate in der Regel weder DinA4 noch -5 sind. Ich möchte außerdem Papier sparen und daher doppelseitig kopieren. Dabei kann es passieren, daß dann die zweite Seite nicht so orientiert ist, wie gewünscht. Außerdem daß auch mal der linke, mal der rechte Rand überbetont ist. Insbesondere möchte ich auch schwarze Streifen vermeiden, die entstehen, wenn mehr belichtet wird, als das Buch selbst.

Ich hatte schließlich nach einigem Probieren die richtige Einstellung gefunden. Jetzt galt es, das ganze konzentriert durchzuziehen und sich möglichst nicht unterbrechen zu lassen. Das führt nämlich schnell dazu, daß man mal eine Buchseite (bzw. in diesem Falle Doppelseite) vergißt und ein Blatt nur einseitig bedruckt rauskommt oder auch eine Buchdoppelseite nicht kopiert wird usw. Konzentration und Ungestörtheit sind also das Wichtigste. Ich hatte auch schon einige Seiten geschafft, da tauchte neben mir eine Sekretärin auf mit der klaren Absicht, jetzt den Kopierer nutzen zu wollen.

Wenn ich eine größere Kopiermenge vor mir habe, lasse ich immer andere Leute vor, wenn sie nur ein paar Seiten zu kopieren haben. Ich schlug das vor und sagte "Ich mache nur noch das Kapitel zu Ende". Es ist nämlich gut, wenigstens dann einen Teiljob beendet zu haben, man weiß ja nie, was aus so einer Unterbrechung wird. Die Frau hatte auch einen größeren Stapel unter dem Arm.

Nein, sie würde gerne jetzt sofort kopieren, sagte sie mir. Mir fiel dann ein: dieser Kopierer gehörte nicht meiner Abteilung, sondern der Abteilung, der auch diese Frau zugeordnet war. Sie hatte daher ein primäres Recht darauf hier zu kopieren, und mich auch zu unterbrechen, egal an welcher Stelle. Genauer gesagt stand sogar in Frage, ob ich hier überhaupt Buchseiten für mich kopieren darf.

(Wenn ich mal Kopien zu machen habe, dann mache ich das normalerweise immer an diesem Kopierer, da er in meiner Nähe ist. Bei Buchseiten könnte das anders aussehen, das könnte die "nachbarschaftliche Kulanz" sogar möglicherweise überschreiten.)

Sympathisch war mir die Frau in der ganzen Begegnung nicht. Allein, weil und wie sie da so stand, so insistierend und gar nicht auf die Idee kommend, einen Kompromiss einzugehen. Vielleicht mal zu fragen, wieviele Seiten es denn noch bis zum Kapitelende wären. Dann war ich auch der Wissenschaftler, sie die Sekretärin. Also, ich war "subjektiv wichtiger", könnte man denken, und das spielt ja auch manchmal eine Rolle.

Nicht so hier, von Hierarchiedünkel konnte nicht die Rede sein. Und ich merkte sehr schnell, daß Gegenwehr sinnlos war - und auch nicht angebracht war. Erst spürte ich so einen Stich, der erste Gedanke "Diese dumme Kuh, muß das jetzt sein?". Zum Verständnis nochmal wiederholt: ich hatte mich nach einer Woche endlich dazu durchgerungen, an die von mir wenig geliebte Kopierarbeit zu gehen. Das Buch hatte ich sowieso schon länger, als es mir der Kollege ausleihen wollte. Schließlich gehen bei Kopiererwechsel auch noch die peniblen Einstellungen verloren. Und dann ist eine Unterbrechung mittendrin in einer Kopierarbeit nie gut. Nie!

Das lief alles blitzschnell ab. Ich machte gar nicht lange herum. Die Frau war - so ärgerlich das in diesem Moment auch für mich war - völlig im Recht. Sie konnte zurecht darauf bestehen, daß ich meine Arbeit sofort unterbreche, damit sie ihre Unterlagen kopieren kann. So wollte ich dann nur noch meine Einstellungen zurücksetzen, damit sie sich nicht wundert, daß das Papier im Längsformat herauskommt und die halbe Seite schwarz ist und außerdem zu klein und doppelt kopiert. Ich drückte also die Rücksetztaste.

"Das mache ich schon selbst" kam es schnippisch rüber. "Oh, die meint es aber wirklich ernst", dachte ich mir. So ließ ich alles stehen und liegen und war nun doch auch etwas verärgert, weil man seine Rechte ja auch nicht unbedingt ganz so schnippisch durchsetzen muß, dachte ich mir jedenfalls.

Auf dem Rückweg und auch auf dem (längeren) Weg in die Bibliothek, wo ich den Kopiervorgang schließlich fortsetzte (noch so eine Begegnung wollte ich mir nicht antun), lief das Ganze noch ein paar mal in mir ab. Ich kam zu dem Schluß, daß die Frau richtig gehandelt hatte und ich davon etwas für mich abschneiden konnte. Sie hatte auf Ihr Recht beharrt, auch wenn da jemand stand, der von der (ja doch immer nur gedachten) Hierarchie her "über" ihr zu sein schien.

Ich kann davon lernen, ebenso auf meine Rechte zu achten, wenn da jemand vor mir steht, der von der (ja doch immer nur gedachten) Hierarchie her "über" mir zu sein scheint.

Michael

Kommentare

18:28 03.09.2006
Aha, danke für deinen Eindruck. Ich gabe zu, daß ich dazu neige, anderen bevorzugt 'notfalls' Recht einzuräumen, statt es mir zuzugestehen. Alles in allem stellt sich das so dar: die Frau war im Recht, ihre Umgangsformen ließen allerdings zu wünschen übrig. Was ich auch durchaus hätte zur Sprache bringen können.
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13:22 03.09.2006
Hmm also erstaunlich finde ich das du zu der Einsicht kommst sie hätte richtig gehandelt. Das aber wohl nur aus *ihrer* Sicht, aus deiner wohl kaum oder? Also es geht hier ja auch nicht um Recht sondern um Respekt und soziale Umgangsformen. Wer beides missen lässt wie diese Dame hat auch nicht zu erwarten das ihr Recht respektiert wird. Je Schnippischer diese Dame rübergekommen wäre, um so mehr hätte man ihr ihr Recht verweigern müssen. Im Prinzip war das ein Machtspiel, und um das "offizielle Recht" ging es hier garnicht würde ich sagen...
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2006-09-03 10:32