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Tagebuch MI
2005-05-07 23:06
Es gibt Wichtigeres
Ich muß wohl wieder besser auf mich aufpassen, oder auf das, was ich sage. Ich will hier keine Tagebücher schlecht machen, sondern ich habe nur beschrieben, was in mir vorgeht, wenn ich mal im Web herumstöbere, was es alles so gibt, was die Leute so schreiben.

Mir geht es auch gar nicht darum, daß jemand seine "dunklen" Seiten nun ausweidet. Im Gegenteil, auch daraus läßt sich schließlich schnell ein "Ich" basteln. Das kann sich jahrelang mit Depression, mit Herzschmerz, mit Selbstmitleid, mit Selbstverachtung, mit Grübeln und Sinnieren über Wasser halten.

Wenn jetzt einer sagt: Du hast ja keine Ahnung, wie das ist, dann muß ich ihn enttäuschen. Aber meine Lebensgeschichte habe ich schon oft genug ausgepackt, steht alles in meinem alten Tagebuch. Ich weiß, was Depression ist, ich weiß das alles.

Ich weiß, wie man sich in ausweglosen Situationen fühlt, ich weiß wie das ist, wenn man sich dem Leben nicht gewachsen fühlt, wenn alles leer und hohl und sinnlos ist. Wenn alles über einen hereinbricht. Wenn alle Menschen zu Feinden werden, wenn man herumläuft, als hätte einem jemand die Haut vom Körper abgezogen und einen jedes Wort wie ein Sichelschlag trifft.

Ich weiß, wie das ist, wenn man denkt, das hört nicht auf. Es ist so schrecklich, aber es hört einfach nicht auf. Wenn man morgens nicht aufstehen will und sich die Decke über den Kopf zieht. Wenn man zitternd unter die Menschen geht und Angst hat vor jeder Begegnung.

Ich weiß auch wie Hass ist, Hass auf Menschen, denen ich die Schuld für meine Situation gebe, und Hass auf mich selbst, weil ich so hilflos bin und nichts tue oder tun kann. Ich weiß, wie lange das dauert, bis das vorbei ist. Irgendwann, irgendwann. Irgendwann sieht man ein, daß es keine Schuld gibt, bzw. wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein. Es stellt sich irgendwann eine Erkenntnis ein: der "Schuldige" spielt in meinem Leben ja gar keine Rolle mehr. Es ist nur die Erinnerung daran, die mich quält. Ich quäle mich selbst.

Ich weiß auch, wie lange das dauert, bis man den Irrtum des Gedankens der eigenen Minderwertigkeit überwunden hat. Bis man feststellt, daß man gar nichts hat, daß man völlig normal ist, sogar sehr geistesgegenwärtig, und daß man die gleiche Berechtigung auf ein erfülltes Leben hat, wie jeder andere Mensch auch.

Ich weiß aber auch aus eigener Erfahrung, wie schnell sich in diesem Gefühlsbereich "Iche" einnisten. Das geht ganz schnell. Und wenn sich das erst einmal dort gemütlich gemacht hat, dann ist dem schwer der Garaus zu machen. Schließlich genießt ein "Depressions-Ich" einen ganz besonderen Schutz. Es ist sensibel, es leidet, es ist sehr verständnisvoll, es ist doch so lieb. Man muß sorgsam und einfühlsam mit ihm umgehen.

Das ist jetzt wahrscheinlich auch schon wieder zuviel des Guten, was ich hier sage. Aber ich sage es trotzdem: nämlich daß sich hinter den Gefühlen, den Ängsten, den Sorgen, dem Verständnis, dem Verzweifeln, dem Herz- und Seelenschmerz auch immer nur Iche verbergen. Alles Iche. Ob es nun ein Erfolgs-Ich ist, oder ein Depressions-Ich, das macht keinen Unterschied, es ist beides falsch. Der Erfolgreiche ist nicht der, der Erfolg hat, und der Depressive ist nicht der, der eine Depression hat.

Aber das sage man mal den Leuten! "Du bist das doch gar nicht. Überlege doch mal, Du kannst dich beobachten bei allem, was Du tust. Also ist da noch jemand oder etwas anderes. Und egal, wer oder was Du wirklich bist, das, was Du beobachten kannst, das kannst nicht Du sein, oder?" Wer will das schon wissen, wer er ist? Sie suchen sich lieber Gleichgesinnte und bleiben an ihrem Ich verhaftet.

Es ist wohl genauso, wie es damals bei Kopernikus und Kepler und Galilei gewesen sein muß, als sie die Erkenntnis vermitteln wollten, daß nicht die Sonne sich um die Erde dreht, sondern die Erde um die Sonne. Zum einen war da zu überwinden, daß sich das falsche geozentrische Weltbild so sehr verankert hatte, daß es kaum noch jemanden gab, der daran gezweifelt hätte. Ferner waren da natürlich die religiösen Dogmen, denen sich zu widersetzen einen gleich in Lebensgefahr brachte.

Aber das größte Problem war wohl, daß es im Grunde niemanden interessierte. Man hatte andere, wichtigere Dinge zu tun.

MI


[Bild nicht gefunden]


Kommentare

17:59 09.05.2005
Das mit dem Aufpassen rührt wohl daher, weil es doch völlig egal ist, über was und wen ich schreibe, ich schreibe letztlich immer nur über mich. Aber über mich selbst zu schreiben ist manchmal so schwierig, daß ich es halt erst einmal mehr oder weniger unbewußt über "andere" tue. In der Umkehrung liegt dann aber erst die Wahrheit (also alle möglichen Bezugsworte durch "ich", "mich" und "mir" ersetzen). Beispiel:

Aus "Die Suche nach einem guten Tagebuch ist wie die Suche nach der Stecknadel in einem Heuhaufen" wird "Die Suche nach mir ist wie die Suche nach der Stecknadel in einem Heuhaufen."

Oder der von dir angesprochene Satz lautet in seiner Umkehrung:

"Aber ich sage es trotzdem: nämlich daß sich hinter all meinen Gefühlen, den Ängsten, den Sorgen, dem Verständnis, dem Verzweifeln, dem Herz- und Seelenschmerz auch immer nur Iche verbergen. Alles Iche."

Das hört sich sehr wahr an.

Gleichgesinnte, ja klar, die Tendenz sie zu suchen ist da. Trotzdem weiß ich auch, daß mir in einer Gruppe einige wesentliche Dinge des Lebens entgehen (das sind die, denen ich nur alleine begegnen kann). Von daher ist das immer zweischneidig.

Ich lese auch "trotz" des Hintergrundbildes bei dir mit. Das mit dem Markieren habe ich auch schon herausgefunden. Aber es hilft auch, das Fenster von der rechten Seite aus klein zu machen, dann landet der Text an einer etwas ruhigeren Stelle.

Grüße,
MI
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10:38 09.05.2005
PS: Warum musst du aufpassen was du schreibst? Oder, warum war es schon wieder zu viel des Guten?

Lass es raus. Es ist schließlich dein Tagebuch. Da kannst du schreiben was du willst. Wofür hat man sonst ein Tagebuch?
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10:36 09.05.2005
Suchst du nicht auch Gleichgesinnte? Wenn es nicht so ist, warum hast du dann so große Ansprüche an die Tagebücher anderer?

Es ist nur eine Vermutung. Keine Unterstellung. Aber ich denke, du suchst jemanden, der sich in einer gleichen Situation befindet wie du. Einsam und überfordert mit der großen weiten Welt. Du willst das Gefühl haben: "Hey, ich bin nicht allein!" Und das will doch schließlich jeder.

Man kann sich nur besser fühlen, wenn man weiß, da ist jemand, dem es mindestens genauso dreckig geht wie einem selbst, wenn nicht sogar schlechter. Seltsame Theorie oder?

Die Layouts unserer Tagebücher sind schon so eine Sache. Meins gefällt dir also ganz bestimmt nicht. Man muss den Text schon makieren, um ihn ordentlich lesen zu können. Ich hab auch schon ein paar mal überlegt, ob ich das Bild wieder rausnehmen soll. Dafür gefällt es mir aber zu gut. Hoffe aber, dass du trotzdem ab und zu mal vorbei schaust.

Lieben Gruß
Pandora
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19:55 08.05.2005

Hallo Dieter,

das freut mich jetzt aber (ich war mir mit dem Eintrag und speziell auch dieser Stelle gar nicht so sicher. Sicher schon, aber ich dachte, das muß auf die meisten sehr abschreckend sein). Und ich lese bei dir auch gerne mit und finde dort immer gute Anstöße.

Liebe Grüße und schönen Wochenstart,
Michael
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unbekannt
17:29 08.05.2005
Danke, Michael, du hast mir ein Stück weitergeholfen mit dem Satz: "nämlich daß sich hinter den Gefühlen, den Ängsten, den Sorgen, dem Verständnis, dem Verzweifeln, dem Herz- und Seelenschmerz auch immer nur Iche verbergen."

lg
Dieter


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