Willkommen auf Tagtt!
Friday, 19. April 2024
Tagebücher » MI » News, Bilder, Videos - Online
Tagebuch MI
2006-06-02 11:08
Dornröschen will schlafen (2)
Als ich heute morgen meinen (mittleren) Sohn zur Schule brachte, stieß ich an einer Straßenecke mit einer uns bekannten Mutter zusammen, die auch gerade ihr Kind zur Schule bringen wollte. E. hatte mir über sie gesagt, sie sei noch "unruhiger als sie selbst", was schon etwas heißen soll.

Sie bot mir an, meinen Sohn mitzunehmen. Ich lehnte das freundlich dankend ab, da ich es selbst gerne tue und mein Sohn das auch mag, wenn ich ihn mal wegbringe. (Normalerweise klappt das nur bei seinem älteren Bruder, der früher zur Schule geht als er). Ich erinnerte mich nun aber an E.'s Worte über diese Mutter und war gespannt, wie ich das Erleben würde. Ich hatte bisher einen etwas anderen Eindruck von ihr.

-

Nach der Geburt eines Kindes fängt für die Frauen (und Männer) ja eine sehr unruhige Zeit an. Bei den meisten Frauen - die dann Mütter sind - hat es sogar den Anschein, als dürften sie nicht frei haben, als wäre eine freie Zeit verboten.

Mir ist klar, daß die meisten Mütter tatsächlich keine freie Zeit haben, es sei denn, der Vater übernimmt mal am Wochenende die Kinderschar. Auch an den kurzen Vormittagen ist nicht viel freie Zeit. Es ist zwar eine kinder-freie Zeit, das bedeutet für die Mütter aber dann nicht gleich, daß sie nun auch "frei" hätten.

Diese Unfreiheit wird zur Gewöhnung, bzw. frau gewöhnt sich Freiheit ab, weil es ihr abgewöhnt wurde. Ohne Kampf gibt es diese Freiheit schwerlich wieder zurück. Und da es im Leben schon genug zu kämpfen gibt bzw. genug Krisenherde gibt, die volle Konzentration und Leistungseinsatz erfordern, gerät der Kampf um die eigenen Freiräume in Vergessenheit.

Was ich hier beschrieben habe ist sicher von Frau zu Frau unterschiedlich. Alles in allem stellt sich aber für Mann das Gefühl ein, an Frau nicht mehr heranzukommen, weil sie völlig verbarrikadiert ist. Mit "Herankommen" ist nicht das gemeint, was gesellschaftlich-bedingt als erstes damit assoziiert wird. Ich meine damit: der Frau als Mensch an sich zu begegnen.

Wenn ich mit einer Mutter spreche, dann interessieren mich eben nicht ihre Rollen oder ihr Verständnis über ihre Rolle (obschon es selbst soweit kaum noch kommt), sondern sie interessiert mich als Mensch. Ich bin da ganz neugierig, offen, interessiert.

-

Mir eine gewisse Menschenkenntnis einbildend hatte ich nun bei dieser Frau und Mutter das Gefühl, daß sie auch diese Offenheit hätte. Wir sind uns ab und zu mal begegnet und man hat ein paar Worte gewechselt, es war aber eher "gesellschaftlich", weil auf dem Spielplatz, teilweise mit dem Partner dabei.

Mein Eindruck von ihr war jedenfalls, daß sie eher ein Frauentyp sei, mit dem Mann noch reden kann. Wo es nicht um das übliche Einerlei geht, den Austausch von Oberflächlichkeiten etc. Und heute Morgen war also plötzlich die Gelegenheit da, das herauszufinden. Ich habe mich über diese geschenkte Gelegenheit gefreut und war gespannt, wie sich der Weg zur Schule entwickeln würde.

Um gleich zur Quintessenz zu kommen: es entwickelte sich gar nichts. Obschon sie Offenheit und eine gewisse Unkonventionalität ausstrahlt, stellte sie sich als jemand heraus, der das ganze Gegenteil war. Unser Gespräch war ein belangloser Austausch von Oberflächlichkeiten und am Ende hatte ich nur das Gefühl, das wir uns im Grunde überhaupt nicht unterhalten hatten.

Sie wußte immer auf alles was zu sagen. Hatte für alles mögliche irgendeine Antwort parat. Ich habe dann sehr schnell gemerkt, daß sie sich offenbar irgendwie in einem Kreis bewegt. Man kann sie auf dieser Kreisbahn zwar ansprechen, aber sie bewegt sich einfach weiter im Kreis. Da war auch kein Gefühl, daß sie eventuell daran interessiert sein könnte, mal aus diesem Kreis auszubrechen oder mal zu fragen, wie das so auf anderen Kreisbahnen ist.

-

Am Ende hatte ich schließlich das Gefühl, daß bei dieser eigentlich so lebenslustig wirkenden Frau überhaupt nichts echt ist. Und daß vor allem auch keinerlei Interesse daran besteht, daran etwas zu ändern. Ich hatte sie in unserem Austausch noch nach ihrer Ausbildung gefragt (das ist ein empfindliches Thema für die meisten Mütter, ich habe es trotzdem - oder ein bißchen auch deswegen? - angeschnitten). Sie hätte Medienkommunikation studiert, sagte sie mir (ich glaube, E. hat mir das auch mal gesagt) und auch wohl zeitweise beim Fernsehen gearbeitet.

Was ich bereits wußte: ihr Mann arbeitet bei einem bekannten deutschen Privatsender und anscheinend hat er dort auch keinen Posten ganz unten auf der Leiter inne. Verdient dort auch "gutes" Geld (weit mehr als ich), weiß nur nicht, ob das nächsten Monat auch noch so sein wird.

Zugegeben öffnen diese Zusammenhänge bei mir diverse Schubladen von Vorurteilen. Ich glaube, die ganze ungeschminkte Wahrheit über Medienmenschen ist die, daß sie alle Leib und Seele verkauft haben, sonst könnten sie es dort gar nicht aushalten (schon gar nicht bei einem dieser unsäglichen Privatsender). Ich will das nicht über einen Kamm scheren und kenne davon ansonsten zu wenig. Es ist nur mein Eindruck, ein Gefühl, eine gewisse zwingende Logik, die ich da sehe.

(Ich weiß auch, daß ich selbst steinewerfend im Glashaus sitze, da auch ich mich bis zu einem gewissen Grade "verkaufen" muß, wie das heute ja auch ganz offiziell so schön heißt. Es scheint mir bei den Medien inkl. Politik aber eine ganz andere Dimension zu sein)

Mir ist das alles überhaupt nicht geheuer. Und wenn ich noch eine Bestätigung brauchte, daß mein Unwohlempfinden gegenüber Medienmenschen berechtigt ist, dann war das heute morgen eine.

-

Es war noch eine weitere Gelegenheit: ich bilde mir ja immer noch ein, mit einem gewissen Charme, mit Fröhlichkeit und Interesse die Hecken zu Dornröschen durchbrechen zu können. Ich sollte diesen Gedanken einfach mal aufgeben, da lebt es sich leichter. Dornröschen bleibt lieber oben im Turm und schläft.

Michael

Kommentare

23:47 02.06.2006
nun, möglicherweise, das gilt zu bedenken, war sie ja auch schon
vorher so...
aber bei manchen dornröschen tuts eben das durchbrechen der
hecke noch nicht - geschweige denn ein kuss -
da muss schon kanonendonner herbei...
Soll der Kommentar wirklich gelöscht werden?
Löschen | Abbrechen


unbekannt
15:11 02.06.2006
Danke für diesen Eintrag, Michael!
Diese Erscheinung habe ich auch schon an vielen Frauen beobachtet. Ich nenne sie:

Die gar schröckliche Wandlung einer Frau zur Mutter

Du hast sehr treffend die Mechanismen beschrieben, wie die frisch gewordene Mutter dazu kommt, sich selbst zu vergessen.

Gruß
Ralf


Kommentar löschen
Soll der Kommentar wirklich gelöscht werden?
Löschen | Abbrechen

Kommentieren


Nur für registrierte User.

MI Offline

Mitglied seit: 02.04.2005
DE mehr...
Wirklich beenden?
Ja | Nein

2006-06-02 11:08