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Tagebuch MI
2006-05-29 13:17
Die Trägheit des Ichs
Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich überhaupt neutral beobachten kann. Wenn ich das könnte, würde ich mich vor Tips und Verbesserungsvorschlägen vermutlich gar nicht retten können.

Jedem Menschen, den ich sehe oder auf den ich treffe, könnte ich auf Anhieb einen Ratschlag geben, einen Tip, einen Hinweis. Darauf, was er halt nicht sieht, weil er es nicht sehen kann oder sehen will. Ein Blick genügt mir oft und schon weiß ich Bescheid.

Mir kommt dann in den Sinn: dies und das ist bei dem/der das Problem, der Knackpunkt, der gordische Knoten. Da müßte ich jetzt einfach mal dazwischen schlagen und den lösen und prompt steht ein ganz anderer, ganz gelöster Mensch vor mir.

Selbstverständlich klappt das nicht, es hat sogar überhaupt keinen Sinn, es bringt nichts. Und um den Scheinwerfer wieder zurück auf mich zu lenken - es geht hier schließlich um mich und nicht um "die anderen": vermutlich würde das bei mir auch nichts bringen (sicher bin ich mir da aber nicht, es kommt darauf an, in welchem Verhältnis die Person, die das sagt, zu mir steht).

Der Beitrag von D. zuletzt zeigte ja auch mal wieder, daß ich gereizt reagiere, wenn ich belehrt werde bzw. wenn ich einen Kommentar erhalte, den ich als belehrend empfinde (Motto: der Empfänger bestimmt den Inhalt der Nachricht).

Jedoch vermutlich war auch D.'s Vorstoß aus diesem Impuls heraus, mich auf etwas hinzuweisen, was ich selbst vielleicht nicht unbedingt sehe. Dabei sehe ich es schon, aber möglicherweise mache ich gerade an diesem Punkt nicht weiter, sondern lasse ihn stehen, was dann einen kleinen Schubser provoziert.

Genauso passiert mir das auch. Ich denke mir, der braucht jetzt eigentlich nur noch einen kleinen Schubser in die richtige Richtung. Doch dann wird man blöd angegreint so nach dem Motto: was mischt Du dich da ein?

-

Das erinnert mich an eine groteske Szene in einem Tatort. Ein Polizist war auf Streife in einem Hochhaus und wollte nach dem Rechten sehen. Er klingelte, und als jemand aufmachte, hörte der Polizist Schreie aus dem Stockwerk drunter.

Er ging hin und polterte gegen die Tür. Ein blutverschmierte Frau machte auf und fragte, was er wolle. Der Polizist sagte, er hätte Schreie gehört. Er sah die Frau an und fragte sie, ob sie Hilfe bräuchte. Er wollte sie, glaube ich, sogar instinktiv aus der Wohnung ziehen.

Jedoch sie reagierte ganz empört (das ist eines meiner Lieblingswörter), raunzte den Polizisten an, er solle sich um seinen eigenen Scheiß kümmern und knallte ihm die Tür vor der Nase zu. Reichlich verwundert dackelte der Polizist davon.

Ich sage ehrlich, so etwas kann mir auch passieren, und passiert mir auch. Ich meine nicht, dieser Polizist zu sein, sondern diese Frau, die nicht will, daß sich jemand in das eigene Elend einmischt. Schlimm genug schon, daß es so ist. Aber bitte nicht auch noch drauf herumreiten, ja?

Ich kenne diese Seite der Geschichte, genauso wie die des Polizisten, der nicht versteht, warum das Hilfsangebot empört abgewiesen wird. Ich weiß auch nicht, wieso das so ist. Vielleicht ist das einfach die Absurdität des Lebens. Aber nein, es ist eigentlich die Trägheit des Ichs.

Schließlich hat alles eine Trägheit und will in dem Zustand verharren, in dem es sich gerade befindet. In diesem Sinne hat das Ich eine Masse, nämlich alle möglichen Vorstellungen über sich und die Welt. Diese Masse ist träge und ändert nur ungern ihren Bewegungszustand.

Ist sie in Ruhe (selbstzufriedenes Ich) läßt sie sich ungern von der Stelle bewegen. Ist sie in Bewegung (das Ich hat einen Plan und geht ihm nach, bzw. das Ich IST der Plan), ändert sie nur ungern die einmal eingeschlagene Richtung (das wäre das Eingeständnis, daß der Plan nichts taugt, was die Ich-Existenz in Frage stellt).

O. hat das ganz richtig gesehen (verletzter Stolz) und ich kann froh sein, daß er seinen Eindruck hier geschildert hat. Das gibt mir die Möglichkeit, das auch einzusehen und es mir einzugestehen.

Michael

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