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Tagebuch MI
2005-04-06 14:40
Die persönliche Vision
Ich bin auch der Verzweifelte, der, der immer älter wird, der jetzt schon - trotz im Grunde "nur" 36 Jahren - zu alt ist für diesen Arbeitsmarkt.

Zwei Sichtweisen:

1) Ich bin 36 Jahre alt. Bis zu den vierzig ist es nicht mehr weit, was sind schon vier - genauer: dreieinhalb Jahre? Nichts, einfach nichts. Ein Fingerschnippen. 40. Mann, das ist alt. So alt, wie ich damals, als ich 16 war, die 18-jährigen empfand. Die waren groß und alt. Und alles darüber hinaus war sowieso jenseits von gut und böse. Wenn ein Mann vierzig ist, dann muß er was zu Wege gebracht haben, dann muß er schon "wo drin" sein, da kann er nicht einfach von vorne anfangen. Da ist über das halbe Leben vorbei.

Und wenn man berücksichtigt, daß die Zeit umso schneller vergeht, wie ich Lebensalter zähle, dann ist vierzig schon mehr oder weniger dem Grabe nahe. Jedenfalls: von 40 nach 50 ist es ein Katzensprung und ab fünfzig passiert eh nichts mehr. Also ist 36 Jahre schon verdammt alt.

2) Ein verschobenes Rentenalter berücksichtigt, habe ich noch 30 Jahre Berufsleben vor mir. Wow, 30 Jahre! Das ist irre viel. Ich habe noch alles vor mir! Wahnsinn.

Mit der Zeit sind bei mir ein paar ganz persönliche Visionen entstanden. Ich halte es in Zeiten komplett fehlender öffentlicher Geistigkeit (also sinnvolle Visionen - und nicht Wirtschaftswachstum!) für lebensnotwendig, eine private, eine persönliche Vision zu haben. Das ist essentiell. Sicher auch in anderen Zeiten, wo eine Identifikation mit dem Gemeinwesen möglich ist. Aber ganz bestimmt zu dieser Zeit des totalen Vakuums, das die Menschen früher oder später verrückt machen wird.

Diese Visionen lauten wie folgt, und sie sind einfach in mir entstanden, Ideen, aus dem Nichts:

1) Hörspiele über (Natur)Wissenschaftler für Kinder

Und zwar möchte ich damit die Leben berühmter Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen Kindern und Jugendlichen spannend, anregend und informativ nahebringen. Es ist eines der größten Mankos an unseren Schulen, daß immer nur die Ergebnisse der Wissenschaftler besprochen werden, nie aber der Mensch selbst. Das hatte ich damals schon vermißt. Immerhin im Musikunterricht wurden ab und an die Künstler mal angesprochen.

Und es gibt tolle Hörspielproduktionen zu unseren Musikern, die ich mir alle besorgt und mittlerweile durchgehört habe. Daraus entstand die Idee, eben dies für Wissenschaftler zu machen, denn ecce!: so etwas gibt es noch nicht, was ich zu meinem Erstaunen festgestellt habe. Eine echte Marktlücke, in Kapitalistendeutsch. Und genau richtig in einer Zeit bedrückender Bildungszustände.

Dieses Projekt bewegt mich am meisten, und ich habe mir bereits von allen möglichen Größen die Biographien besorgt und lese sie nun einer nach der anderen, dabei immer im Hinterkopf, daß ich daraus einmal ein Hörspiel machen werde. Dabei stelle ich allerdings fest, daß wenn ich meinem hohen Anspruch gerecht werden will, ich mich noch viel tiefer in die jeweiligen Zeiten eingraben muß, vom 30-jährigen Krieg bis zur Judenverfolgung im Zweiten Weltkrieg. Und ich tue das.

Dieses Projekt ist meine größte persönliche Vision.

2) "Erwachsen musiziert"

Ganz richtig, nicht "Jugend musiziert", sondern "Erwachsen musiziert". So einen Wettbewerb würde ich gerne initiieren. Die Erwachsenen dürfen keine Profi-Musiker sein und dürfen auch nicht Musik studiert haben. Sondern sie betreiben Musik als Hobby um ihrer selbst Willen und haben Lust, an einem Wettbewerb teilzunehmen, der sie dazu motiviert, das ein oder andere Stück auf Hochglanz zu bringen.

Das würde es ermöglichen, in diesem haarsträubenden Wettbewerb, der die ganze Zeit der Menschen verschlingt, ein Gegengewicht zu setzen. Es würde wieder Dinge in den Vordergrund rücken, die in Vergessenheit geraten sind, die aber irgendwo herumrumoren und einem im Grunde keinen Frieden lassen. - Weil es das Leben selbst ist, das da anklopft und hereingelassen werden möchte.

3) "Senior Lab" oder "Seniorenlabor"

Ein Labor, in dem Pensionäre, Rentner, usw. im weitesten Sinne: Senioren, experimentell Naturwissenschaft kennenlernen können. Sie wollten immer schon einmal mit flüssigem Stickstoff experimentieren? Sie wollen wissen, wie eine Solarzelle funktioniert, selbst eine bauen? Sie wollen Atome mit einem Tunnelmikroskop sehen? Oder einfach nur ein bißchen mit unserer Experimentierbox - Starkmagnete, Kupferrohre, Stahlkugeln, Geschwindigkeitsmesser, Lichtschranken, Fluxfolie, usw. - herumspielen? Sie wissen zwar eine Menge über Naturwissenschaften, wollen nun aber endlich mal selbst experimentieren?

Dann sind Sie genau richtig im "Senior Lab".

Kurzum: das, was ich hier am Institut mit Schülern mache, das könnte ich auch mit Senioren machen. Dann nicht mehr in der "Obhut" eines staatlich finanzierten Institutes, sondern auf dem "freien Markt".

Wazu so ein Labor dienen könnte: Fortbildung von Senioren, vielleicht neue Sinnfindung, Interessenbefriedigung, neue Kontaket knüpfen, lebendig bleiben, die Welt besser verstehen.

-

Das sind sie, meine ganz persönlichen Visionen. Mir gefallen sie. Ich weiß nicht, was ich davon schaffe, umzusetzen. Aber mir ist es ungemein wichtig, überhaupt etwas gefunden zu haben, daß ich diesem zermürbenden System von Regeln, Gesetzen und Verordnungen (kurz: Zivilisation) entgegensetzen kann, das mich erst dazu verleitet, auf festen Bahnen vorwärtszuschreiten, und dann wiederum sagt, das sei nicht kreativ - mit einer gewissen Berechtigung.

Davon muß man sich frei machen. Man muß sich von allem frei machen, selbst, wenn man es schon ist. Ja, man ist es, ich bin es tatsächlich, ich bin von allem frei. Ich muß nur die Angst vor dieser Freiheit überwinden.

MI

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