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Tagebuch MI
2006-04-13 16:38
Der wahre Schatz
Obwohl mich einerseits die Zusammenhänge und die Hintergründe des heutigen Wirtschaftens (soweit das die Bezeichnung überhaupt noch verdient) und die Gründe für die immer bedrückendere Misere sehr interessieren und ich mich daher damit intensiv beschäftige - weil ich einfach wissen will, setzt nun doch nach und nach eine gewisse Ermüdung bei mir ein.

Das liegt zum einen sicher daran, daß letzten Endes doch immer wieder alles auf gleiche Sachverhalte hinausläuft und sich ein klarer Ursachentrend abzeichnet (auf den Kopf gestellte Einkommens- und Vermögensverteilung, daraus folgt der ganze restliche Schlamassel). Es gibt aber eine andere Ursache, die einem vielleicht erst dann dämmert, wenn man sich lange genug mit der Materie auseinandergesetzt hat.

Es ist leider so, daß praktisch alle Vertreter der Ursachenforschung, die mit ihren Arbeiten in jedem Falle einen wertvollen Dienst tun, letzten Endes aber auch die Ebene, auf der hier alles versaubeutelt wird, nicht verlassen. Das heißt, die Lösung der vorherrschenden Probleme wird auf einer Ebene gesucht, die auch gleichzeitig das Problem beinhaltet.

Als Beispiel möchte ich juristisches Herumreiten auf Paragraphen oder den Interpretationsspielraum von Gesetzestexten nennen. Nach dem Ende des 2. Weltkrieges wurde doch ein Grundgesetz für die zu bildende Bundesrepublik Deutschland formuliert, und wie man sich denken kann, hätte es wohl kaum eine bessere Voraussetzung für die Formulierung von Gesetzen geben können, als die "Stunde Null".

Natürlich, alles lag in Trümmern, alles war verloren. Aber das macht in dem Falle nichts. Im Gegenteil, das alte "Spiel" war vorüber, man konnte daraus sehr viel lernen, und dieses Erlernte nun in die Spielregeln einfließen lassen, die die nächsten Generationen von schlimmen Taten abhalten und für Gerechtigkeit und Ausgleich zwischen reich und arm, alt und jung, Männlein und Weiblein: sprich: den vielen verschiedenen Spielfiguren sorgen soll.

Nie wieder dürfe z. B. von deutschem Boden aus ein Angriffskrieg geplant oder begonnen werden. All das Schlimme, das geschehen war, soll nie wieder geschehen. Unter diesen Eindrücken wurde das Grundgesetz formuliert, es sollte für Meinungsfreiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit sorgen. Und natürlich für dauerhaften Frieden.

Nun meine Frage: heute, etwa sechzig Jahre - also gerade einmal zwei Generationen - später ist der Karren national wie international schon wieder so tief in den Dreck gefahren, daß eine (Auf-)Lösung der Situation, ohne daß wieder solche "schlimmen Dinge" geschehen, utopisch erscheint. Was hat es also genutzt? Und was für ein Nutzen ist von Vorgehen auf der gleichen Ebene zukünftig zu erwarten?

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Man könnte vielleicht dafür sorgen, daß Privatpersonen in Zukunft nicht so viel Besitz anhäufen können, wie das heutzutage der Fall ist. Möglicherweise. Damit ist dem Drachen vermutlich aber auch nur wieder ein Kopf abgeschlagen, und zwei neue wachsen nach. Ich meine, gegen die Anhäufung von Besitz ist zuerst einmal nichts zu sagen. Es gibt keinen Grund, daß jemand, der schon sehr reich ist, nicht noch reicher werden kann, wenn denn die Möglichkeit dazu besteht. Er muß es ja nicht unbedingt zu seinem Lebensinhalt machen. Es ihm aber unmöglich zu machen ist auch keine Lösung.

In diesem Zusammenhang ist das Leben Alfred Nobels sehr interessant. Aus heutiger Sicht zählte Alfred Nobel damals ganz klar zu den "Meudalisten". Der Mann war so was von reich, dagegen sind wohl selbst die Quandts (u.a. knapp 47%ige BMW-Eigner) Waisenkinder. Der Unterschied ist nun der, daß Alfred Nobel aus der Armut kam. In seiner Kindheit war kaum Geld da die Wohnung zu heizen, und wegen seiner schlechten Kleidung wurde er gehänselt. Das hat ihn geprägt, Armut ist nicht schön.

Auf Grund seines Erfindergeistes kombiniert mit unternehmerischem Geschick entkam er aber dieser Armut und war schließlich Kopf eines global operierenden Firmenimperiums. Dabei wurde sein Dynamit zunächst nur friedlich, später aber auch zu Kriegszwecken eingesetzt. Ja, Nobel arbeitete sogar an der immer besseren Schlagkraft und Effizienz von Kriegsgerät, hatte dabei allerdings im Sinn, eine Bombe von so schrecklicher Wirksamkeit zu bauen, daß ein Krieg in Anbetracht eines möglichen Einsatzes für alle Zeiten undenkbar wäre. - Uns heute kein unbekannter Gedanke.

Nobel ist so zu einem enormen Vermögen gekommen, und ich finde, dagegen ist nichts zu sagen (nur seine Kriegsgerätforschung erscheint mir sehr janusköpfig). Eine Gesetzgebung, die dafür sorgen würde, daß eine solche Vermögenskonzentration nicht stattfinden kann, empfinde ich als Eingriff in die persönlichen Rechte eines jeden Menschen und halte sie auch volkswirtschaftlich nicht für sinvoll.

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Jetzt kommt aber der Unterschied zu der heutigen Zeit: Nobel war stets darauf bedacht, daß seine Mitarbeiter gut versorgt sind, er kümmerte sich um sie. Sie hatten alle Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung (damals geradezu revolutionär), und sie verdienten mehr Geld, als sie tatsächlich zum Leben brauchten, so daß sie sich etwas fürs Alter zurücklegen konnten. Arbeitsplätze in einer Nobel-Fabrik waren sehr begehrt und die Leute standen dafür Schlange.

Nobel sagte es selbst: erst muß der existentielle Druck weg, dann kann man die volle Leistungsbereitschaft der Arbeiter erwarten. Denn sonst geht die Konzentration in die falsche Richtung.

Ist es dann nicht aber merkwürdig, daß heute immerzu das Gegenteil dieser enorm erfolgreichen Firmenphilosophie behauptet wird? Der Existenzdruck würde die Menschen zu Hochleistungen anspornen, heißt es. Zu immer neuen Lösung. Not macht schließlich erfinderisch, heißt es. In der Tat,so ist es ja auch. Und so lauten die "Erfindungen" heutzutage eben: Schwarzarbeit, Steuerflucht, Beschaffungskriminalität, Schutzgelderpressung, Bilanz- fälschung, Börsenspekulation oder auch: Konkursverschleppung bis hin zum offenen Gesetzes- und Verfassungsbruch.

Ich finde es sehr merkwürdig, daß Alfred Nobel zwar von den Wissenschaftlern in Form des Nobelpreises alljährlich gebührend geehrt wird - obwohl er nie ein Wissenschaftler im heutigen Sinne war, die sind ja doch wohl eigentlich nur noch so eine Art wissenschaftliche Legehennen - aber von den Unternehmern und Geschäftsleuten praktisch überhaupt nicht beachtet wird. Dabei ist er doch einer der größten Unternehmer, den die Menschheit jemals gesehen hat. Warum eigentlich wird er nicht beachtet, warum nimmt niemand sich ein Beispiel an ihm?

Aber natürlich: er tat ja Dinge, die den "Unternehmern" heute gar nicht ins Konzept passen. Auf die Nobelsche Art und Weise ist heute kein Staat mehr zu machen. Wer haftet heute schon wenn auch nur mit einem Teil seines Privateigentum für Firmenrisiken, außer noch vielleicht die Eigner ein paar übrig gebliebener Familienbetriebe? Wen interessiert schon das Auskommen und die Existenzsicherung der Angestellten? Wer von höher gestellten Leuten geht schon durch Produktionsanlagen und spricht mit den Angestellten auch mal ein Wort, fragt, wie es so läuft, oder gar, wie es der Familie geht?

Und wer von den großen Eigentümern dieser Zeit käme auch nur im Traum auf die Idee, mit 90% seines Eigentums eine Stiftung ins Leben zu rufen, die zum Wohlergehen der Allgemeinheit Wissenschaft und Forschung mit einem alljährlichen zu vergebenden Preis fördern soll? (Man kann sich vorstellen, wie wenig die Verwandten damals davon begeistert waren, aber was ihnen blieb war immer noch weit mehr, als 10 000 Arbeiter heute haben). - Ich spreche nicht von diversen "Vorzeigestiftungen", die letztlich ja doch nur das "Image" der beteiligten Personen oder Unternehmen pflegen soll

Nobel hat es eben ernst genommen, daß Eigentum verpflichtet. Er hat auch erkannt, daß nur SELBST erworbenes Eigentum eigentliches Eigentum ist (wenn auch letzten Endes nur zu Lebzeiten verliehen). Dieses Eigentum unterscheidet sich ganz erheblich von ererbtem. Mit letzterem umzugehen ist weit schwieriger und verleitet nur allzugerne zu Gier und solch verqueren Lebenszielen, dieses Eigentum zu mehren. Bei diesem unseligen Unterfangen kommen dann die Erben der Reihe nach unter die Räder und werden ihres Lebens nicht glücklich (dazu gab es kürzlich im Manager-Magazin irgendwo zwischen den tausend Werbeanzeigen einen interessanten Artikel über die Quandt-Erben).

Alfred Nobel ist damals mit gutem und richtigen Beispiel vorangegangen. Es gibt keinen Grund, selbst erarbeitetes Eigentum nach oben hin zu begrenzen. Bei mir reift allerdings die Überzeugung, daß Reichtum nicht in großem Stile vererbt werden können sollte, auch nicht in Anbetracht der üblichen Erbschaftssteuer. Dies nicht, damit sich anschließend der Wohlfahrtsstaat an dem Reichtum erfinderischer und cleverer Privatpersonen bereichern und sich die Staatsdiener damit "Freunde" machen können, sondern weil das Erben von Reichtum im geschilderten Sinne niemandem nutzt: die Erben macht es nicht glücklich, und den weniger Vermögenden entzieht es in der Zinswirtschaft (und ohne Zins gibt es nun einmal kein Wirtschaften, allen Freigeldtheorien zum Trotze ist dies meine Meinung) den Sauerstoff zum Atmen.

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Offenbar ist aber kein Gesetzestext dazu in der Lage, Vermögenden klar zu machen, daß das, was sie da haben, nämlich ihr Vermögen, ihr Besitz, nicht dazu verpflichtet, mehr daraus zu machen, sondern es so einzusetzen, daß es zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dient (wie es wörtlich im Grundgesetz steht). Und wie der Herr, so's Gescherr: niemand hier kommt noch auf die Idee, etwas zu tun, nur weil es der "Allgemeinheit" dienen könnte. Wer ist das, die Allgemeinheit? Wer Allgemeinheit nicht erlebt, wer Gemeinschaft nicht erfährt, weiß auch nicht, was das ist und wieso er was dafür tun sollte.

Es nutzt alles nichts. Kürzlich hatte ich noch ein Telefonat mit meinem Schwiegervater. Ich respektiere ihn und für einen Industriellen hat er sich erstaunlich gut gehalten, menschlich. Aber es gibt einen Punkt, da wird es niemals eine Übereinkunft geben und an diesem Punkt sehe ich nur noch einen Gehirngewaschenen vor mir. Er erzählt mir von Zypern, über die dortige Situation, über wilde Bauvorhaben und nicht unbedingt gute Entwicklungen, doch dann kommt das Schlußwort, das alles absegnet: "Aber die Wirtschaft brummt".

Na klasse, denke ich mir, Hauptsache. Hauptsache die Kasse stimmt, Hauptsache Wachstum. Das ist alles, woran der moderne Mensch noch denken kann. Dieses engstirnige Denken unterscheidet sich in keiner Weise von gestrigen und vorgestrigem Schablonendenken jeder Couleur, über das wir uns heute entweder amüsieren oder angesichts dessen uns auch das Entsetzen packt, wie man nur jemals so denken konnte. Und es ist vor allem so etwas von verlogen. Es unterstellt, man könne jetzt zu Lebzeiten schon einen Schlußstrich ziehen. Als könnte man jetzt schon sagen: meine Kasse stimmt, ich habe also alles richtig gemacht.

So einfach ist es leider nicht. Denn in dieser Rechnung fehlen einige Dinge, die erst noch nachfolgende Generationen werden mit einfließen lassen können. Und ob dann die "Kasse" immer noch "stimmt" darf bezweifelt werden.

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Es ist nicht der Mensch, der wieder einmal vor seinem Scheitern steht. Es ist nicht der Kapitalismus oder sonst irgendein -ismus, der wieder einmal die Menschen an den Rande des Abgrundes geführt hat. Sondern es ist das Verstandeskalkül, das meint, über Regelungen, Planungen, Gesetzgebungen und Projektierung das Leben in den Griff bekommen zu können. Es ist die falsche Vorstellung darüber, wie der Mensch sein Leben zu führen hat und woran er sich orientieren sollte, darüber, wer er ist und wer er nicht ist.

Der Verstand selbst und seine ganze kranke Welt sind es, was hier vor dem Scheitern steht. Und da es offenbar in der Natur der Sache liegt, daß der Verstand immer wieder von Neuem scheitern muß, kann eine Lösung der Situation nicht auf der Verstandesebene gefunden werden. Die Verstandesebene muß verlassen werden, anders geht es nicht.

Das geht nur intuitiv, durch die Wiederentdeckung und Ausleben dessen, was wir wirklich sind. Es ist die Aufgabe eines jeden Einzelnen von uns. Die stille Abkehr von Degradierung und Entmündigung, von Propaganda und Entmenschlichung. Die leise Umkehr, notfalls mit Ohrenstopfen und Medienentzug. Schließlich das Erforschen unserer inneren Welten. Dort, wo der einzige Schatz vergraben ist, nach dem zu suchen es sich lohnt. Wer ihn gefunden hat, braucht keine –ismen mehr, keine Religion oder Gesetzestexte. Der weiß in jedem Augenblick genau, was das Richtige zu tun ist.

Michael

Kommentare


unbekannt
22:13 17.04.2006
Hallo Michael K.,

Du sprichts einen wichtigen Punkt an.
In einem Blogeintrag habe ich dazu folgendes geschrieben:

Ich fordere die Abschaffung des Auslands!

Oder weniger missverständlich formuliert:
Auf die Globalisierung der Wirtschaft muss die Globalisierung der Politik folgen.

Klick: http://ralviehversum.blogg.de/eintrag.php?id=194

Gruß
Ralf


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11:45 16.04.2006
Hallo Michael,
vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar, so etwas ist hilfreich. Ich wünsche dir schöne Ostertage,
Michael
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unbekannt
21:34 15.04.2006
Es ist schon interessant, wenn man sich ein paar Gedanken über konkrete Lösungsmöglichkeiten zu dieser ganzen Misere macht, einschließlicher solcher, die vermutlich erst nach einer umfassenderen Krise überhaupt möglich werden.

Das mit dem Erben ist sicher ein guter Zugang (mir fällt auch nichts Besseres ein), aber mir stellt sich da z.B. sofort die Frage mit der Internationalisierung des Kapitals. Wenn beispielsweise die Vermögenden der USA oder der "ersten Welt" Kapital wie ein Schwamm von der restlichen Welt aufsaugen und dieses dann der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt würde, wäre das dann wohl eben die amerikanische, oder deutsche Allgemeinheit, die davon alleinig profitieren würde (abgesehen davon, dass die Wohlhabenden vermutlich samt ihrer Kinder ohnehin in ihnen genehme Staaten abhauen würden).

So wie ein einzelner Mensch kaum etwas für "andere" macht, gilt das auch für Staaten und Unternehmen (außer man zwingt sie dazu).

Gerade lese ich übrigens ein interessantes und vor allem sehr lustiges Buch von Bill Bryson: "Streiflichter aus Amerika", das aus den Jahren 1998/99 stammt. Praktisch in jedem einzelnem der Kapitel wird eine Entwicklung den Alltag betreffend geschildert, die sich nun auch bei uns mehr oder weniger schnell einstellt. Da kann man sehr schön sehen wohin der Karren rutschen könnte (manche würden wohl sagen, er ist schon dort).

Schöne Ostern und danke für den Beitrag,

Michael


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