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Tagebuch MI
2005-10-25 16:14
Das Ja-Spinnennetz
Jetzt habe ich soeben wieder so eine "Nein!"-Situation erlebt, das ist wirklich nicht einfach. Natürlich sieht jeder immer nur diesen kleinen Ausschnitt, es kann doch kein großes Problem sein, mal eben dies oder jenes zu tun. Das ist für mich ja schließlich einfacher, weil ich diesen oder jenen ja eher treffe und so weiter.

Ich habe mich in das Seminar gesetzt, ein Ort der Ruhe, ein Ort, an dem es wirklich ganz schlecht ist, mir einen Stapel Papier mehr oder weniger kommentarlos auf den Tisch zu legen. Ich habe noch schnell gefragt, worum es da geht. Genauso schnell kam die Antwort. Und nochmal so schnell habe ich gesehen, daß ich eigentlich nicht der Adressat dieses Papierstapels war. Offensichtlich fehlten der Instrumentenverwaltung einige Daten besonders bezgl. der Messzeiten meines Kollegen, der nur leider so oft weg ist und so schwer erreichbar ist und überhaupt gegenüber diesen Papierdingen nicht sonderlich empfänglich. Zumal er ja auch noch Australier ist, will sagen: kein Deutscher, kein richtiger Institutsangehöriger.

Der will halt seine Forschungen machen, möglichst ungestört. Mit der Arbeit drumherum will er nichts zu tun haben. Ich verstehe das sogar. Ich glaube, wenn ich er wäre, dann würde ich das auch so machen. Vielleicht nicht ganz so gnadenlos. Aber ich frage mich auch, ob einem diese aufwendige Verwaltungsstruktur überhaupt noch eine andere Wahl läßt.

Ich sah also all diese markierten Stellen, all diese Daten, die mein Kollege offenbar nicht eingegeben hat. Jetzt stehe ich vor der Wahl: natürlich, es ist ja gar kein Problem, wenn ich das jetzt weiterleite. Und ich bin ja schließlich auch Instrumentverantwortlicher. Aber andererseits besteht schon ein viel zu großer Teil meines Tages aus diesen Dingen, die ja eigentlich "kein Problem" sind, die doch "schnell mal gemacht werden können", die ich doch schließlich einfacher machen kann, als jemand anderes.

Wo die Grenze ziehen? Ich kann das nicht immer nur so hinnehmen, daß sich alle an mich wenden, nur weil mein Kollege offenbar schwer zu "handeln" ist. Angelegenheiten trennen, das habe ich mal bei Byron Katie gelernt, das ist so was von wichtig. Wenn all diese Fehldaten sich wenigstens verteilt hätten auf mehrere Personen. Dann hätte ich das ja noch angenommen. Oder wenn mir das Papier nicht so feldwebelartig präsentiert worden wäre... Aber mir war eigentlich schlagartig klar, daß hier gerade jemand ein Problem auf meinen Tisch gelegt hat, das überhaupt nicht meine Angelegenheit ist.

Bevor das Seminar anfing habe ich daher gehandelt. Ich lief der Person, die mir den Stapel vorgelegt hat, nach, (sie ist auch eine Kollegin, die aber der Verwaltung näher steht, als der Wissenschaft) und habe ihr gesagt, daß es mir schrecklich leid täte, "aber ich bin nicht D. A." (mein Kollege, der eigentliche Adressat der Papiere und im Übrigen hauptverantwortlich für das Instrument, ich mache das eigentlich nur in Teilzeit) und habe ihr die Papiere zurückgegeben. Brüskiert antwortete sie, daß ich ihn doch sehen würde und ich ihm doch einfach die Papiere geben könnte. Aber da war ich auch fast schon wieder weg. Sonst hätte ich nämlich noch gesagt, daß ich auch nicht sein Sekretär bin.

Ohne schlechtes Gefühl geht das nicht ab bei mir. Aber ich habe noch mal genau in mich hineingehorcht und es war richtig von mir. Was immer die Konsequenz sein mag, sie ist mir lieber als diejenige, wenn ich zu allem Ja und Amen sage.

Es ist diese berühmte Grauzone. Man soll mal nicht meinen, das Leben würde einem das "Nein"-sagen leicht machen, indem es einen nur in ganz einfache und eindeutige Situationen führt. Es führt einen viel lieber in Situationen, in denen man eigentlich nicht "Nein" sagen kann und "Ja"-sagen eigentlich nicht schlimm ist. Und dann reiht es diese Situationen aneinander, bis man sich in seinem eigenen Ja-Spinnennetz verfangen hat und da nicht mehr herauskommt.

Michael

Kommentare


unbekannt
17:31 25.10.2005
Wie recht du hast....gut gemacht, Hut ab, laß dich nicht von Thekla fangen

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2005-10-25 16:14