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Tagebuch Eulchen
2018-05-11 11:35
Therapie o2; [Steckbriefe - die Komplexität des gesplitteten Ichs]

Das, was ich in der Therapie eigentlich ansprechen wollte, habe ich doch nicht angesprochen. Irgendwie habe ich in dem Moment gar nicht mehr daran gedacht – nur ganz kurz, und dann gleich wieder verworfen.

Also dachte ich mir, dass das jetzt scheinbar kein akutes Thema ist. Dem Typ aus dem Bus habe ich immer noch nicht geschrieben. Ich kann mich nicht überwinden.

Ich möchte ihm schon schreiben – allein schon, weil ich ihm nicht den Mut nehmen will, so etwas weiterhin zu tun. Ich bewundere Menschen die den Arsch in der Hose haben, fremden Menschen Zettel zuzuschieben oder sie anzusprechen, um in Kontakt zu kommen. Sogar nicht bloß um eine potentielle Partnerin oder einen potentiellen Partner zu finden, sondern allgemein.

Durch einen meiner solchen Zettel-Aktionen habe ich ja auch eine Frau kennengelernt, die mir damals im Zug einfach nur wahnsinnig sympathisch und … „vertraut“ vorkam.

Mit ihr habe ich bis heute noch Kontakt (5 Jahre). Und als es meiner Oma vor drei Jahren mal ganz elend ging – ihre Finger, Füße und letztendlich ihr ganzer Körper wurde taub – schrieb ich mit F. Da sie Heilpraktikerin ist, konnte sie mir sehr gute Tipps geben, die meiner Oma halfen.

Ich möchte Menschen nicht den Mut nehmen, so etwas weiterhin zu machen. Es können echt schöne Begegnungen entstehen.

Ich werde ihm heute noch schreiben und mich für seine Nummer bedanken.

 

In der Therapie beschäftigten Frau G. und ich uns heute mit den Teilpersönlichkeiten. Sie sagte mir ja schon letzte Stunde, dass der erste Schritt/die erste Aufgabe ist, alle „Pluckies“ kennenzulernen. Pluckies: so nenn ich jetzt die „Anteile“, weil: von unserem Stammtisch habe ich hier doch mal einer den Spitznamen Plucky gegeben, weil der ihrem echten Spitznamen ähnlich ist. Ich habe die Leute beim Stammtisch ja auch immer die „Pluckies“ genannt. Ich finde, dass das Leben mit Teilpersönlichkeiten einem Stammtisch nahe kommt, wenn die Kommunikation funktionieren würde.

Das wird gar nicht so leicht wie ich dachte, aber das habe ich ja schon letzte Woche festgestellt, dass ich mir die Behandlung viel einfacher vorgestellt habe.

Frau G. erklärte mir das sehr gut, als ich so erschrocken dreinschaute:
„Nun, Sie müssen sich das so vorstellen, dass wir jetzt eine Gruppentherapie machen. Für eine funktionierende Gruppentherapie sollten sich die Teilnehmer in so einer Situation kennen. Stellen Sie sich vor, dass ihre Anderen (so nennt sie meine Pluckies – wie gesagt, sie findet immer sehr liebevolle Umschreibungen für den Begriff „Anteile“) mit uns hier im Raum sitzen. Und jetzt sind wir an der Reihe, sie kennen zu lernen.“

„Das wird aber irre schwer“, habe ich geseufzt und fühlte mich schon wieder an dieser Schwelle zur Verzweiflung.

„Es ist eine Herausforderung und braucht viel Arbeit, aber es funktioniert. Aber nicht nur Sie müssen alle Anderen kennenlernen. Ganz wichtig ist auch, dass alle Anderen sich gegenseitig kennenlernen, damit eine reibungslose Zusammenarbeit läuft und diese vollkommenen Zeitverluste nachlassen.“

„Sie müssen sich gegenseitig Alle kennenlernen? Oh Gott, wie soll das denn gehen? Nicht einmal ich kenne alle – und einige wissen nicht einmal, dass sie bloß Pluckies sind!“ Ich habe in dem Moment die Schwelle zur Verzweiflung übertreten und stand in einem Labyrinth.

Ich stand vor einem Rätsel. Wie sollte das denn jemals hinhauen? Würde das überhaupt wirklich funktionieren? Andererseits: Frau G. hat Erfahrung mit DIS-Patienten. Und als sie meinen verzweifelten und hoffnungslosen Gesichtsausdruck sah, lächelte sie mich zuversichtlich an und meinte: „Keine Sorge, das schaffen wir.“

Ja. Ich schaffe das. Wir alle schaffen das. Irgendwie. Irgendwie geht’s immer. Ufz… Was mich in dem Moment echt hart traf, war die Tatsache, dass mich Frau G. bei diesem Prozess bloß die nächsten paar Wochen begleiten wird. Und dann? An welchen Psychologen, welche Psychologin gerate ich danach? Es ist das erste Mal, dass mir so geholfen wird, wie ich es brauche – dass mir so geglaubt und so zugehört wird, wie es notwendig ist. Ich muss sagen, ja, ich bin echt nicht mehr zuversichtlich. Ich bin in meinem Leben in diesem Psychiatrie-System an so viele schwarze Schafe geraten. Auf Erfahrung kann ich sagen, dass unberechtigt so viele Volltrottel Arzt und Psychologe werden könne. Kann man mir echt verübeln, dass ich so wenig optimistisch bin, was das angeht?

Am liebsten hätte ich in der Stunde schon wieder die Flinte ins Korn geworfen.

Diesen Gedanken hat sie mir allerdings schnell aus dem Kopf gepustet, denn sie ließ mich gar nicht lange überlegen sondern stieg gleich voll ein. Sie fragte mich, ob sie die Einträge in meinem Block sehen darf. Ich zeigte sie ihr.

Interessanterweise blieb sie als erstes an Vivis Handschrift hängen (sie kennt ja noch niemanden – in der ersten Sitzung haben wir uns kaum mit den Pluckies beschäftigt – zumindest nicht, dass ich wüsste). Sie pickte sich spontan und ohne groß zu überlegen diese Schrift raus und fragte mich, ob ich sie kenne. Ich nickte. Oh ja, und wie ich sie kenne!

Ich selbst wäre so überfordert gewesen, aber Frau G. machte das wie im Schlaf. Sie zog sich ein weißes Blatt, schrieb groß in die Ecke: „Vivi“ und legte los:

Wie alt? Charakter? Vorlieben? Abneigungen? Hobbys? Wen kennt sie?

Ich konnte nicht zu allen Sachen Antworten geben. Vieles wusste ich schon, das war nicht schwer, es herauszufinden. Als sie dann aber Fragen stellte, die ich noch nicht beantworten konnte, meinte sie zu mir, ich soll mal in mich gehen und Vivi ansprechen. Sie fragen.

Ich sah sie lange verstört an. Ob das echt funktioniert?! Ich kam mir ein bisschen blöd vor, glaubte nicht daran Antworten zu kriegen. Andererseits: Die Pluckies kommunizieren doch sowieso ständig mit mir, mal mehr, mal weniger. Ob ich will oder nicht. Warum bin ich eigentlich nie auf die Idee gekommen, „zurück zu kommunizieren“?

Also tat ich, was sie mir sagte.

Es war, als hätte ich eine Tür geöffnet und eine Herde trampelt über mich hinweg. Echt, ich fühlte mich… niedergetreten. Überfahren. Eine Gewirr aus lauten Gedanken/Stimmen kam mir entgegen, dass ich dachte, mir platzt der Schädel. Ich bekam wirklich Kopfschmerzen. Ich konnte keine einzige Stimme greifen, es war alles so schrecklich durcheinander… ich musste mich konzentrieren, bis ich endlich Vivi „fangen“ konnte und mit ihr Kontakt aufnehmen konnte. Das war so abgefahren.

Ich konnte Frau G. auf Fragen Antworten geben, die ich vorher selbst noch nicht wusste.

Die Sache war ganz irre.

Es war, als würde ich neben Frau G. sitzen, aber als hätte ich meine Körper verlassen. Eine Art Schwebe zwischen … „Dasein“ und „Dissoziieren“. Denn ich konnte in so etwas wie einen dunklen Raum rechts in meinem Kopf (das hört sich echt verrückt an, aber ich kanns nicht besser beschreiben), schauen. Da stand Vivi. Ich konnte sie nicht richtig erkennen, aber ihre Gestalt. Und ich redete mit ihr. Es war eine richtige Kommunikation!!! Oh mein Gott, das hört sich so verrückt an. Kann ich das Veröffentlichen? Egal. Ja.

Ich erfuhr komplett neue Sachen über sie, die mir eigentlich hätten selber schon aufgehen müssen oder die mir schon hätten auffallen müssen.

– Vivi erkennt Grenzverletzung!
In der Klinik war ja die Sache mit Henry, der mich vom ersten Tag an ständig betatschte, festhielt, seinen Schwanz aus der Hose zog und sich vor mir einen runterholte, etc. pp. Es dauerte ja drei Monate, bis ich das FVH gegenüber mal erwähnte (bzw. las sie diesen einen Eintrag in meinem Blog und sprach mich darauf an). Sie bat mich, das auf jeden Fall ernst zu nehmen, weil das sexuelle Belästigung sei, was heißt, dass ich aktuell in Täterkontakt bin. Mich erschreckte dieser Ausdruck, denn ich fühlte mich zwar unwohl in seiner Gegenwart, aber es fühlte sich für mich nie so schlimm an, dass ich es als „sexuelle Belästigung“ hätte beurteilen können.
Erst viel später erfuhr ich/erinnerte ich mich, dass da weitaus krassere Dinge passiert waren, als bloß das „harmlose“ betatschen. Zum Beispiel, als ich auf dem Gang hinten saß, er mich festhielt – ich meine, richtig festhielt – und als ich endlich aufstehen konnte, er mich an den Fußgelenken griff und ich „hinflog“, er mich umdrehte, sich auf mich drauf zog und – hier habe ich ein Blackout. Es ist mit Sicherheit nicht zu etwas so viel Schlimmeren gekommen, denn wir waren ja auf dem Gang. Und trotzdem löste dieser Abend einen kompletten Blackout bei mir aus. Und am Morgen darauf habe ich beim Medikamente (Pantoprazol) die frischen Schnittwunden an meinem Arm entdeckt.

Vivi wehrt sich. Sie hat ihn von sich weg geschlagen, hat ihn von sich geschubst und hat geschrien, wenn er sie wieder anfassen wollte. Frau Sozialpädagogin kam aus dem Zimmer und hat Vivi geschimpft, nicht so ein Theater zu machen. Vivi hat Frau Sozialpädagogin (Himmel, sorry – ich wiederhole bloß!!) als „verdammte Hure“ beleidigt, ist ins Bad gelaufen und hat Äpfel gegen die Wand gedonnert (damit sie Frau Sozialpädagogin nicht an die Gurgel geht).

In gewisser Weise war auch das „Ausgesetzt werden des behandelnden Arztes“ eine Art Grenzverletzung. Ich erinnere mich, dass ich mehrmals ziemlich sachlich geschildert habe, wieso ich mit Herrn Thiele nicht konnte. Er war ein extremer Trigger, eine potentielle Gefahr für gewisse Pluckies in mir.  Unter anderem litt ein weiterer Plucky, der Todesängste erlitt (seit vier Wochen weiß ich, welcher Plucky das ist). Nicht ohne Grund brachte er mein ganzes inneres System durcheinander. Ich wurde vier Monate lang einem heftigen Trigger ausgesetzt und ich wurde als Lügnerin bezeichnet und wurde nicht ernst genommen. ICH wusste, dass Herr. T. mir nichts antut und er bloß einem der Männer von damals ähnlich sah, aber ihr müsst verstehen (ich musste das auch erst verstehen), dass die meisten Pluckies noch in der Zeit „festhängen“. Das heißt: ICH habe ja gewisse Dinge mit dem Typen nicht erlebt. Sagen wir mal, dass Plucky „A“ den Missbrauch o. ä. erfahren hat, dass wenn sie Menschen, Gerüche, Orte, Geräusche sieht, hört, riecht, sofort „abgerufen“ wird, nach vorne springt und tut, was sie damals getan hat, um „das zu überleben“. Schwer und kompliziert… aber ich hoffe es ist ein wenig verständlich.

Ich schätze, Vivi war dann eben in der Vergangenheit, in der Plucky „A“ diese Dinge die passierten einstecken musste, der „Nachgang“. Ich bin mir nicht sicher, aber ich erkläre mir das so:

Plucky A erlitt gewisse Minuten/Stunden evtl. sogar Tage …
Vivi entstand aus einer Art Gefühl.
Plucky A hat also keine Gefühle während dem Erlebten.
Die Gefühle wurden auf Vivi „transportiert“.
Vivi half sich durch Wehren. Ihre Gefühle sind ja ganz eindeutig: Wut, Angst, Hass.
Zwischen Vivi und Plucky A gibt es „Mika“. Mika ist ein … ich nenne sie „Fragment“. Sie ist kein kompletter Plucky. Also keine ganze Teilpersönlichkeit, die häufig draußen ist (eigentlich fast nie).
Mika fühlt durchgehen und wirklich nur ausschließlich: Traurigkeit, Melancholie, Sentimentalität, Hoffnungslosigkeit, Schwere, Schmerz, Leere.

Deshalb denke ich, dass Mika als Fragment kurz zwischen Plucky A (ich kenne diesen Plucky namentlich noch nicht), und Vivi entstanden sein muss.
ICH selbst spüre nämlich in diesem Zusammenhang nur sehr milde Gefühle. Selbst, wenn ich „Erinnerungsschübe“ habe. Dann gibt es Momente, in denen ich „zu mir komme“ – also aus einer Art Trance erwache aber merke, dass mein Gesicht nass und heiß ist – ich also geweint habe, ich verschwitzt bin und völlig erschöpft. In der Klinik (ca. letzter Monat des Aufenthaltes) ging mir auf, dass in diesen Trance-Zuständen Mika „draußen“ gewesen sein muss, um ihre geballten Gefühle der Traurigkeit, die sie eben immer wieder mal Häppchenweise aufnimmt, körperlich rauslassen kann.

Das kennt ihr bestimmt auch. Das ist nichts Anderes, als wenn ihr belastende Sachen in euch reinfresst und fresst und fresst und verdrängt, bis ihr es nicht mehr halten könnt und irgendwann aus euch herausbricht. Der Unterschied ist nur, dass ich von dieser Belastung nichts mitkriege – und auch nicht von dem „Ausbruch“. Ich stehe auf dem Schlauch, was das angeht. ICH spüre das ja nämlich nicht. Nicht einmal dann, wenn es passiert (Bezug zu oben: sexuelle Belästigung). Jeder Trottel würde vermutlich sofort merken, dass es sexuelle Belästigung ist. Und ich habe nicht einmal JETZT das Gefühl, dass es das war, obwohl es mir vom Verstand her mittlerweile klar ist.

Das ist auch der Grund, weshalb ich mich nicht mehr für die Dinge, die in der Klinik passiert sind, entschuldige. Klar, Vivi hätte das anders lösen können, als mit dem Zigarettenmüll und dem Stinkekäse (und was noch alles passiert ist…), um sich gegen den Arzt zu wehren (der ihr ja eigentlich nichts getan hat, aber das weiß sie nicht, das versteht sie nicht). Aber sie hatte ihre berechtigten Gründe. Ziemlich gute Gründe, wie ich finde. Es tut mir leid für Herrn T. Er war einfach nur ein armer Trottel, der echt nicht viel Ahnung von Menschen und deren Tiefe hat und dem falschen Beruf nachgeht (er würde eher als Buchhalter herhalten), aber er war ein Sensibelchen. Er war ein Sensibelchen und er war im Umgang mit Kollegen eigentlich sogar echt sympathisch (humorvoll)… aber Buchhalter-Humor eben. Er kann nichts dafür. Vivi aber auch nicht. Niemand kann etwas dafür. Es ist halt einfach alles schiefgelaufen, was hat schieflaufen können.

Und dann noch die Unterstellung der Oberärztin und Sozialpädagogin, dass ich das alles nur Schauspiele, diese Ausbrüche aus Trotz und wegen der Aufmerksamkeit passieren und ich eine krankhafte Lügnerin bin… ufz. Aber das ist ein anderes Thema.

Als mir Frau G. also mal vor Augen hielt, wie wichtig Vivi eigentlich ist, habe ich erst einmal nur mühsam alle „Aber-Kommentare“ geschluckt. Als hätte sie es gehört, wies sie mich immer darauf hin: „Hey. Vivi hat ihre Grenzen gesetzt. Wenn auch auf eine ausbaufähige Art und Weise, aber zumindest hat sie die Grenzverletzungen erkannt.“

Sie hat Recht. Vielleicht ist das ein wirklich wichtiger Punkt. Und ausbaufähig: O ja! Auch das. Ein sehr, sehr wichtiger Punkt (hörst du Vivi?!).

Der Steckbrief von Vivi war sehr… aufschlussreich.

Vivi kennt sehr viele andere Pluckies, aber nicht so viele wie Summer [ein sehr ruhiger Plucky, der den Sommer liebt, viel über Gartenarbeit weiß, es mag zu kochen, wenig redet, aber gerne tröstet und pflegt, auch eher drinnen als draußen vertreten, weil sie draußen nicht zu vielem „fähig“ ist – weil kein Mensch der großen Worte. Außerdem kennt sich Summer wahnsinnig gut im „inneren System“ aus, hat viel Kontakt zu „Jasmin“].

Wer Jasmin ist, weiß ich noch nicht genau, aber ich glaube, sie ist die „Beobachterin“ in diesem ganzen System, was heißt, dass sie nie draußen ist. Sie ist wirklich bloß da und steht an einer Art Fenster, durch das sie beobachten kann, was draußen passiert, damit sie dann den nötigen Plucky nach draußen schickt. Aber das sind nur Vermutungen. Von Jasmin weiß ich nämlich wirklich nichts, absolut gar nichts. Sie wurde nur ein paar Mal von Summer und einem anderen Plucky in Einträgen in meinem Heft/Block erwähnt. Und durch diese Erwähnungen hört sie sich für mich eben an, wie eine Beobachterin.

Das alles weiß Frau G. noch gar nicht. Frau G. hat allgemein noch keine Ahnung, wie viel ich eigentlich schon weiß – und wie wenig dieses „Viel“ im Vergleich zu dem ist, was ich noch alles (kennen)lernen muss. Frau G. war allerdings schon total baff, als sie merkte, wie viele Pluckies ich in mir namentlich schon kenne – auch wenn ich von den meisten sonst nichts weiß.

 

Was ich noch sagen wollte:
Vivi ist nicht bloß wütend, aggressiv, voller Hass und impulsiv im negativen Sinne. Sie kann auch wahnsinnig lustig und sarkastisch sein. Das Problem ist bloß, dass egal was sie macht, es ist immer extrem drüber. Vivi kennt keine Traurigkeit und keinen Schmerz (Mika), aber dafür Wut und Spaß. Leider in übertriebenem Maß. Aber das macht meinen Alltag echt ein wenig bunt. Denn Vivi war irgendwie schon immer in meinem Kopf und hat mich ein Leben lang begleitet. Selbst als ich von der DIS noch nichts wusste, habe ich immer – egal wo: im Kaffee, an der Bushaltestelle, auf dem Schulweg, im Unterricht und manchmal sogar in Therapiesitzungen – plötzlich ihre Stimme gehört, die ich als Gedanken abtat, von denen ich keine Ahnung hatte, wo sie herkommen. Eine Zeit lang schrieb ich in meinem Tagebuch sogar von einer „Geisterfreundin, die mich immer wieder begleitet, um mich ein wenig aufzumuntern“ (2008). Es waren immer sarkastische oder ironische Kommentare, die mich unwillkürlich zum Lachen brachten. Ich wurde oft schräg angeschaut, aber was sollte ich tun? Ich finde diese Kommentare furchtbar lustig.

Und seit ich von der DIS weiß, ist das irgendwie leichter. Ich bin nicht verrückt, ich höre keine Stimmen, ich werde nicht von einem gelangweilten Geist heimgesucht. Das alles bin ich, aber halt ein abgespaltener Teil, der schon immer mit mir Kontakt aufgenommen hat.

So war das auch in der letzten Therapiestunde mit Frau G. Da wir ja den Steckbrief von Vivi machten, war sie ja sowas von dermaßen präsent. Da Vivi gegen Therapie ist, fragte Frau G. zum Beispiel, was denn nötig wäre für eine Zusammenarbeit. Vivi sagte staubtrocken: „Schokolade“. Und ich schmunzelte und druckste, bis Frau G. mich ansah und merkte, dass ich mir schon wieder das Lachen verkneifen musste.
„Und, was sagt sie? Sie können mir ruhig sagen, was ihre Antwort ist.“
Ich sah Frau G. beschämt an. Sowas kann ich doch nicht sagen! …
„Ich weiß nicht…“
„Komm schon, ich bin ihr auch nicht böse.“
„Ganz ehrlich… ihre Antwort war Schokolade.“

Frau G. musste lachen, hielt sich aber zurück und meinte dann amüsiert: „Na, das wäre ja mal ein traumhafter Patient. Wenn ich sie mit Schokolade locken kann, dann wird das ein Kinderspiel.“ Sie notierte tatsächlich im Steckbrief „Schokolade“. Und meinte: „Ob das wirklich reicht?“

Ich schüttelte den Kopf. Natürlich nicht.
„Das war nicht ihr Ernst… sie sagt sowas ständig… sie ist nie ernst.“… (außer wenn sie wütend ist).

„Das dachte ich mir“, hat Frau G. dazu nur gesagt.

So ging es die ganze Stunde. Wir füllten den Steckbrief aus und ich musste mich jedes Mal bei irgendwelchen dummen Kommentaren von Vivi in meinem Kopf zusammenreißen, um nicht laut los zu lachen.

Als Hausaufgabe bekam ich auf, dass ich bis zur nächsten Sitzung einen weiteren Steckbrief erstelle. Das erledigte ich gestern. Den Steckbrief von Summer. Das war schwerer als der von Vivi. Viele Dinge musste ich mit Fragezeichen klammern, weil ich mir nicht sicher war, ob die Antwort jetzt von Summer oder irgendeinem anderen Plucky war. Und als ich notierte:

• würde gerne als Altenpflegerin oder mit behinderten Kindern zusammen arbeiten, alternativ Kinderpflegerin (?) oder Floristin (?) [ihr werdet es nicht glauben, ich musste aber erst googeln damit ich überhaupt weiß, was eine Floristin ist…]

Da kam von Vivi wieder der Kommentar:

• … oder mit behinderten Kindern zusammenarbeiten [Vivi: Hat se doch mich. Was braucht se da noch für nen Job?]

Ich saß in der Küche und habe gelacht und mir dann die Hand vor den Mund geklatscht. Der Betreuer saß im Büro hinter angelehnter Tür. Die müssen nicht wissen, dass ich noch verrückter bin, als schon bekannt.

Das ist der Grund, wieso ich Vivi mag. Auch wenn sie mich oft stresst und mir großen Ärger einbrockt und ich ihr manchmal dafür den Hals umdrehen könnte. Es ist wirklich so, wie ich 2008 schrieb: „Eine Geisterfreundin, die mich immer begleitet, um mich aufzumuntern“

Kommentare

16:17 28.05.2018
@ lore

irgendwie habe ich dein Kommentar erst jetzt gesehen tut mir leid! Danke für deine Antwort ... und fürs nicht verrückt halten :p

Leider nein.. :( sie wird ja quasi vom Bezirk bezahlt. Also das geht alle snicht über die Krankenkasse, sondern über den Bezirk (deshalb wird mir glaube ich auch so viel abgezogen während der Einrichtung... wobei mir 1200 Euro trotzdem noch zu viel erscheinen bloß für Therapie inklusive!)
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18:29 14.05.2018
ich finde das ganz toll, wie du damit umgehst. ich hab mich mit anfang 20 sehr intensiv mit DIS beschäftigt, auch so ziemlich alles an fachliteratur und romanen gelesen, was es damals gab und deshalb fand ich dich auch von anfang an nicht verrückt und ich kann das auch alles sehr gut nachvollziehen. aber es wäre echt schön, wenn du bei der therapeuten bleiben könntest. geht das nicht irgendwie?
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07:54 14.05.2018
warum kannst du nicht bei dieser therapeutin bleiben?
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10:17 13.05.2018
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09:30 13.05.2018
Danke Cassy..... du bist ein Stern
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23:53 12.05.2018
Wenn was ist oder auch nur so- Schreib mir gerne eine PN bei Instagram da bin ich öfters
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11:10 12.05.2018
♥ ... danke Cassy... und danke Barney... :)

vielleicht... ich meine... absurderweise konnte mich Klinikpersonal noch nie leiden. Egal ob mit 14 und 15 in der Kinder- und Jugendpsychiatrie oder jetzt. Ich wurde immer "gehasst". Oder zumindest kann ich mir nicht vorstellen, dass die Ärzte und Psychologen keine Party gefeiert haben, als ich endlich weg war Aber ich konnte mir nie erklären, warum. Ich habe letztens erst von einer einen Blog gelesen, den Blog hat mir FVH empfohlen. Sie ist Mutter von zwei Kindern und hat einen Mann (ähnlich wie Tanja), und schreibt einen Blog. Sie selbst lebt auch mit einer DIS und war auch vor kurzem in einer Klinik.

Den Blogeintrag habe ich erst gestern gelesen... und mir ist ein Stein vom Herzen gefallen, dass es nicht nur mir so geht, dass ich mich schon einen Tag nach der Klinik (oder zum Ende hin) an 90 % aus der Klinikzeit an nichts erinnern kann. Nicht, dass ich es verdrängt hätte: Selbst wenn ich scharf darüber nachdenke, kommen mir keine Erinnerungen mehr.

Dass die ersten (schlimmen) Wochen ein mir noch komplett fremder Anteil (Summer hat mir schonmal beim Steckbrief schreiben erklärt, dass dieser Plucky "Jola" heißt)übernommen hat...

sonrisa nennt sich diese Bloggerin und schreibt einen DIStanz Blog (ich müsst sie erst fragen, ob ich sie verlinken darf hier). Denn in ihrem letzten Eintrag schrieb sie auch, dass sie eigentlich nur schlechte Erfahrungen in der Klinik gemacht hat und alles weg ist - was aber typisch sein. Zumindest komme ich mir jetzt nicht so alleine damit vor..

Vermutlich gibt es Charakter/Pluckies, die Ärzte und Psychologen echt zum Kotzen finden. Zumindest wenn sie nicht wissen oder nicht daran glauben, dass das in dem MOment nicht ich bin. Für die ist das dann ja nur Schauspielerei und Provokation oder "ärgern".

Frau G. hingegen schien mir, als würde sie gegen den "Troublemaker" in mir nichts haben - im Gegenteil. Sie sagte, dass diese Troublemaker sehr wichtige Teilpersönlichkeiten sind.

Jetzt wirds gerade wieder laut im Kopf... sorry
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23:47 11.05.2018
Ich finde es echt heftig aber auch sehr sehr spannend. Und bewundernswert wie du das gemeinsam mit all deinen Pluckies meisterst.
Es macht im großen ganzen auch wirklich alles Sinn- schlimm finde ich nur wie man dich in der Klinik behandelt hat.
Du bist so ein wundervoller gutherziger besonderer Mensch- das tut mir echt in der Seele weh zu lesen wie die dich behandelt haben.

Schade, dass du diese tolle Thera nicht länger haben kannst- aber nimm mit und lerne was du von ihr lernen kannst- Uuuuuuund sie ist ein Positiv Beispiel. Es gibt also auch gute man muss sie nur finden.
Deine Erfahrungen werden dir dabei helfen.
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13:20 11.05.2018
Vivi erscheint mir sehr sympathisch. Ich hab gerade auch laut gelacht. Und sie entstammt dir, heißt, die Eigenschaften, die du an ihr so magst, sind deine :)
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2018-05-11 11:35