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Tagebuch Lartox
2009-10-26 21:49
Die Uni brennt!

So viel zu erzählen, so viel zu erzählen! Wo soll ich nur anfangen? Am besten suche ich mir ein Thema aus für heute, der Rest kann folgen. Und ich wähle... die Politik. Das Familienzeug muss warten.

Die Uni brennt! Letzten Donnerstag haben die Studenten und Lehrenden der Akademie der bildenden Künste ihr Institut besetzt, um eine Warnung gegen das Unterrichtsministerium auszusprechen. Diese hatten geplant, sich mit dem dortigen Direktoriat zu treffen und sie zu zwingen, das Bologna-Abkommen zu erfüllen und die sonstigen neuen Gesetze, insb die der UG-Novelle 09 auszuführen. Wie massiv die Verschlechterungen sind, die diese Neuerungen mit sich führen, kann man nicht unterschätzen. Eine Zusammenfassung erspar ich mir an dieser Stelle...

Kurz gesagt, ein Funken ist aufgesprüht. Schon im Frühjahr hatten in ganz Österreich (dank der Initiative durch uns, dem Funke - www.derfunke.at) etwa 60.000 Schüler demonstriert und gestreikt, und die sozialpolitischen Verschiebungen der folgenden Monate, die ich vorhergesagt habe, sind glücklicherweise eingetroffen. Der Protest der Bildenden hat sich auf die gesamte Uni Wien ausgebreitet und bisher Graz und Innsbruck mitgerissen, dazu haben Turin und eine serbische Stadt mitgezogen! (Tragischerweise ist in Serbien bereits ein Demonstrant getötet worden...)

Das Audi Max (oder gaudimax, nach Sophie) ist seither von über 1.000 Menschen besetzt und Vernetzungen werden geplant. Wir setzen uns seither für Außenproteste zusammen mit Schülern und Lohnabhängigen ein, und die Perspektiven sehen gut aus. Morgen ist diesbzgl ein Funke-Treffen, aber da muss ich leider arbeiten. Um 5:45 muss ich schon wieder in Heiligenstadt sein, um zurück zum Set zu fahren. Vor 20:00 werd ich sicher nicht zurück sein, und auch danach muss ich lernen. Am Donnerstag haben wir Diktat zu den ersten 4 Kapiteln, und ich habe erst mit der 3. angefangen. Ich sags euch, Chinesisch ist eine Heidenarbeit.

Für Österreich eine unglaubliche Entwicklung! Wir sind das zweitärmste Land Europas, was soziale Proteste, Unruhen und revolutionäre Bewegungen angeht, gleich hinter Albanien. Das Selbstbewusstsein der arbeitenden Klasse und der Studierenden ist praktisch nicht vorhanden und hat erst jetzt wieder angefangen, sich zu entwickeln. Alles in allem toll, genau das worauf ich gewartet habe! Nur habe ich jetzt dadurch ein Problem.

Ich fühle mich seither sehr unruhig. Ein Teil mag meine Medikamentierung, der Streit mit der Familie und der Arbeitsberg in Chinesisch sein, va aber schlägt mir der Protest auf das Gemüt. In Vorarlberg war ich immer der Redner, und ich war verdammt gut. Verdammt gut. Meine Führungsqualitäten habe ich oft genug unter Beweis gestellt. Hier und jetzt ist genau die Gelegenheit, die mir gefehlt hat - aber mangels Zeit und Zuversicht bin ich noch nicht dazu gekommen, mich an die Spitze der Bewegung zu drängen. Was meine Genossen machen kann ich nicht mit Genauheit bestimmen, hier in Wien wird auf mich noch nicht vertraut. Ich habe es ihnen vorhergesagt nach dem heißen Frühling, und im Netzwerk Emanzipatorische Bildung habe ich entristische Arbeit verrichten wollen. Es ging an uns vorbei. Jetzt sehe ich einen Berg vor mir, der jeden Moment über mich und uns einkrachen könnte, und ich bin mir nicht sicher, wie vorgehen. Ich überlege, auf einem Plenum eine Rede zu halten, weiß aber gleichzeitig, dass die Bewegung die Einmischung von Organisationen wie die meine verabscheut, und meinen Marxismus noch dazu. Diese seltsame, neue Links-sein der Studenten ist krebsartig, gefährlich und schwer zu behandeln, und ich darf es nicht zu früh angreifen. Der Notwendigkeit einer marxistischen Führung kann ich mich aber nicht verschließen.

Soll ich also über meinen Schatten springen und es so machen wie in Vorarlberg auf der SPÖ-Landeskonferenz und mich vor einen Saal mir unbekannter Menschen stellen und meine ganze Rhetorik auf sie loslassen? Damals hat es über alle Maßen gut geklappt, aber dieses Mal habe ich ein mulmiges Gefühl. Vertraue ich mir selbst nicht mehr?

Bis Freitag hab ich sowieso keine Zeit, wegen Chinesisch und der Arbeit. Am Donnerstag hat zu allem Überfluss Linda Geburtstag. Wenigstens hab ich mich heute zu einem Geschenk entschließen können...

Die Verantwortung lastet schwer auf mir, denn ich sehe eine Zukunft ohne uns. Wie soll ich mit mir leben können wenn ich in einer so prekären Situation nicht nach allen Kräften gehandelt habe? Ich bin einfach zu sehr mit mir selbst beschäftigt und habe verlernt, zu kämpfen für etwas, das größer ist als ich. Wenn ich meine politische Vergangenheit ansehe fange ich an zu zittern - wie konnte ich das alles leisten? Am liebsten würde ich in Fötus-Stellung darauf warten, dass mich jemand in eine Welt ohne Klassenkampf führt.

Fest steht nur, dass ich mich bis zum Wochenende koordinieren werde und dann mit den anderen einen Schlachtplan aufstellen muss. Bis dahin lerne ich erstmal und gehe heute früh schlafen, natürlich mit Dominal, und versuche mich auf den Tag beim Film morgen zu freuen. Vielleicht rede ich diesmal mit der süßen Sky. Oh und ich muss mir die Fingernägel schneiden.

 

Good night, good fight!

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2009-10-26 21:49