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Wednesday, 24. April 2024
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Tagebuch Gertrud_Herrmann
 1911-02-04 hh:mm
Mein erster Ball

Himmlisch, famos, tip-top, cher, welches Attribut paßt denn nun eigentlich  am besten für den gestrigen Tag.“Himmlisch“  zu schwach, “ famos“  zu wenig sagend, „tip-top“ paßt schon besser, „cher“ ist eigentlich der einzige Ausdruck, der das einigermaßen zutreffend bezeichnet, was ich mein.
Zuerst,  wie aus beiliegender Tanzkarte ersichtlich – langstietzig.
Keine Herren,- viele Mauerblümchen. Da tönen die Klänge eines Walzers. „Er“ steuert auf mich zu, die große Renomiera – wir gleiten dahin! „Erlauben, gnädiges Fräulein, daß ich mich vorstelle! „Roscher ist mein Name“. „ Herrmann“ „angenehm“. „O, gnädiges Fräulein tanzen aber schön, so leicht, ach so nett:“ So wirklich, es freut mich das zu hören“.
„Haben Sie denn noch einige Tänze für mich frei“- „ „Ach das ist ja prachtvoll, Fräulein Herrmann, o, der Contre, würden Sie gestatten?“ O welche Wonne, welche Seligkeit,- den Contre besetzt!  Wieder ertönt ein Walzer. Wir schweben wieder davon. Ich frage: „Jetzt nach diesem Tanz ist wohl Kaffeetafel?“ Da fordert mich der (na wie denn nun)“ gute Junge“, nein das ist nicht das richtige, na dann fordert mich Roscher zur Kaffeetafel auf. Jetzt geht er erst mit stolzen aber elastischen Schritten auf Papan zu. Stellt sich ihm vor, und bittet darum mich zur Kaffeetafel führen zu können, gleich hat er 2 Stühle erfaßt und  davon geht er.

Also gleich hat er 2 Stühle beim Wickel und „Bitte, Fräulein Herrmann“, schieben wir ab.
Wir saßen an der 2. Tafel ungefähr in der Mitte. Neben mir und vis-a-vis von uns waren einige Plätze frei, schräg von uns vis-a-vis saß Ida Kühnel mit Thiel (der hat mich schon lange im Stich gelassen, tut nichts)
Papa und Muttin habe ich gar nicht gesehen, aber Papa hatte sich wohlweißlich umgeschaut, wo „Fräulein Tochter“ blieb. Jetzt wurde es famos! Roscher kann famos unterhalten, Einfach chic! Er ist Sachse, sein Vater hat in Sachsen ein Geschäft. Er hat eine Perle von Mutter.
(Wettbewerb, wer die besten Eltern hat). Er hat eine Schwester ungefähr in meinem Alter, sie war ein Jahr in einem französischen Pensionate. Er sollte nicht die Dorfschule besuchen und kam deshalb zu einem Pastor in Pension, später als er das Gymnasium besuchte, zu einer Pfarrerswitwe. „Ach das war eine nette alte Dame, es war eine Wonne für mich, wenn ich mit ihr spazieren gehen konnte. Ich halte auch daher viel auf christliche Gesinnung. Diese Dame hat mich prachtvoll erzogen. Nach kurzen Unterbrechungen fährt er fort: „Ich wohne jetzt schon seit dem vorigen Jahr in Berlin und zwar in der Friesenstraße oben am Tempelhofer Felde.“ Ich erzähle ihm, wo ich wohne, er freut sich, daß wir so nah beisammen wohnen. „Ich halte mich im Sommer immer 4 Wochen in Friedrichshagen auf“ „ Und wir in Erkner, weil mein Vater nicht so weit fort will vom Geschäft. Ich kann aber jedes Jahr mal nach Thüringen fahren. „So, Sie kennen Thüringen, in welche Gegend sind Sie denn schon gekommen?“ „ Ich war schon sehr oft zwischen Zeitz und Gera bei Crossen an der Elster. Kennen Sie das?“ „Ja, das kenne ich, ich habe mich schon lange Zeit in Gera aufgehalten.“ „Ach dann kennen Sie auch vielleicht Nickelsdorf?“ Da fängt der Mensch an zu lachen, „Ja, das kenne ich auch, dorthin habe ich mal mit einigen Freunden einen Ausflug gemacht.“
Dann reden wir noch über Gesangsvereine (er gehört einem Gesangsverein an und singt 2. Tenor) und dergleichen. Zuletzt sagte er noch, daß er ein großer Tierfreund sei und 2 Katzen haben, „Und wir haben einen Kater.“ –
Jetzt wurde die Kaffeetafel aufgehoben und er fragt ob er mich zu Polonaise führen darf.
Jetzt habe ich aber vergessen zu erzählen, daß Klara Märkel und ich im Nebensaale die Bekanntschaft eines als Engländer verkleideten Herren gemacht haben, dieser hat Klara zur Kaffeetafel geführt. Jetzt ging ich mit Roscher in diesem Nebenraum spazieren, er summte mir einige Lieder die er im Verein singt vor und dann erzählte er wie schön es in dem Freitagscirkel sei und schließlich lud er mich zu diesem Cirkel ein, das ist viel zu wenig gesagt. Er bettelte förmlich, das geht schon eher. Er fragte dann gleich Herrn und Frau Quaritsch um Erlaubnis und als ich ihm auf seine Bitte Muttin zeigte, stellte er sich ihr vor und bat auch Mutti gleich um Erlaubnis. Mutti machte ihm auch große Hoffnung.
Dann ging es zur Polonaise. Nachher kam der Contre! Wir tanzten neben Dora Trietschel und Gisela Horver. Zur Quadrille hatte ich vorläufig noch keinen Herren, da kam der Engländer auf mich zu; denn ich hatte dem Roscher Klara Märkel gezeigt und nun tanzte er mit ihr Quadrille. Ich habe mich aber gefreut, daß Klara dadurch auch tanzte.  Jetzt tanzte ich ja immerzu mit Roscher. Unter anderem erzählte er mir auch, daß er studiert habe und jetzt in der Bank beschäftigt sei, jeden Nachmittag um 3 Uhr ist er fertig, dann legt er sich eine Stunde schlafen, und von 5 -6 Uhr geht er auf dem Tempelhofer Feld spazieren. Abends ist er dann mit einigen Freunden zusammen oder ließt einen Roman. Er sagte auch, daß er mir, wenn ich Freitags zur Tanzstunde kommen würde, jedesmal einen Roman mitbringen würde. Dann beim Tanzen erzählte er, daß er sich sehr für die Mode interessiere und sich deshalb eine Zeitlang die „Praktische Berlinerin“ gehalten habe, da mußte ich allerdings lachen: Ein junger Mann und – die „Praktische Berlinerin“!  Er wollte erst nur bis zur Kaffeetafel bleiben,  und dann ist er meinetwegen noch so lange geblieben. Zuletzt bedankte er sich noch für die schönen Walzer und sagte, er wäre hocherfreut gewesen, mich kennen zu lernen, als er sich verabschiedete.
Ach, das war schön! ---
Ich wünsche so sehr, ihn noch öfter zu sehen. In den Freitagscirkel darf ich nicht gehen, Papa sagt, daß sähe so aus als ob ich ihm gleich um den Hals fallen will, und ich soll mich nicht vergeben.
Das will ich auch nicht, und dann sagt Mutti ist es doch möglich, daß er in dem Cirkel noch eine andere Dame hat, oder noch kennen lernt und mich dann sitzen läßt.
Das glaube ich zwar nicht, aber so ganz bin ich mir noch nicht mit ihm im Klaren. Er sagte ja allerdings, wie ich schon erwähnte, daß er sehr viel Wert auf christliche Gesinnung lege, und das ist doch eigentlich sehr schön, und ich glaube auch nicht, daß er es dann fertigbrächte, mich da sitzen zu lassen. Mutti will ihm durch Frau Quaritsch bestellen lassen, daß ich nicht in jenen Cirkel käme. Wenn ihm dann noch etwas daran liegt, dann braucht er ja nur mal nach unserer Tanzstunde da zu sein oder mal so was von sich hören lassen.
Ich hatte übrigens vergessen zu erwähnen, daß ich mir ein Tirolerkostüm von Doerkes geborgt hatte, was mir, wie „er“ sagte „sehr gut stand.“
Das war also mein erster Ball.


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Am Sonnabend war ich zum Kaiser Sommer des Ruderclups. Sport Borussia! Auch da hat es mir tadellos gefallen. An jenem Abende habe ich ein Vielliebchen mit Herrn Düttberndt verloren, dem ich jetzt dafür einen Selbstbinder häkele.

                                              
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Vor einigen Wochen war ich zum ersten Male im kgl. Opernhause. Es war himmlisch.
Ich habe den Prophet von Mayerbeer gesehen.

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Ich korrespondiere seit vorigem Herbst mit einer Amerikanerin. Das macht mir viel Spaß.

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