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Friday, 19. April 2024
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Tagebuch Gertrud_Herrmann
 1909-03-25 hh:mm
Bewegteste Zeit meines Lebens

Was sich nicht in der Zeit, wo ich nicht schreiben konnte, weil ich meinen Schlüssel verloren hatte, alles ereignet hat. Ich möchte sagen, es war die bewegteste Zeit in meinem Leben. Ich komme zu Ostern nach der königlichen „Elisabethschule“ und wenn ich da gut mitkomme, mache ich 1913 das Lehrerinnenexamen. Aber das war eine Geschichte, ich werde alles haarklein hier niederschreiben. Also: eines Mittags komme ich nach Hause, da sagt mir Mutti, daß Hilde Kirchner schon in der Victoriaschule angemeldet ist, und daß ich auch am nächsten Tag dort angemeldet werde und in unserer Schule abgemeldet werde. Ich hätte beinahe angefangen zu weinen, aber ich habe mich bezwungen und habe nicht geweint.
Mir tat und tut es doch zu schrecklich leid, daß ich aus unserer lieben Schule raus soll, aber ich sehe ein, es ist zu meinem Besten.
Ich habe mich also schon darein gefunden. Am nächsten Tage also geht Mutti nach der Victoriaschule und meldet mich da an. Ich bin auch aufgenommen worden.
Aber es sollte doch anders kommen wie wir dachten. Am nächsten Tage kommt Frau Kirchner zu Mutti und sagt ihr, daß sie soeben in der Elisabethschule war, und gefragt hat, ob für Hilden und mich noch Platz wäre. Der Herr Direktor Kannegießer bejahte es, sagte aber, daß er uns bei der Anmeldung selbst sehen müßte. Also gehen Hilde und ich eines schönen Tages aus der Schule, und wandern nach der kgl. Elisabethschule zur Anmeldung. Wir werden also beide für die 1 te Klasse aufgenommen. Denn es ist doch das erste Mal, wo 10 Kl. eingerichtet werden. Jetzt sind wir also in der Victoria und  Elisabethschule angemeldet. Eines schönen Tages bekommen wir die Nachricht, daß wir uns am 8. März morgens 8 Uhr zur Aufnahmeprüfung einfinden sollten. Also jetzt hätte ich beinahe etwas vergessen. Also die Elisabethschülerinnen hatten doch schon Mathematik in der 2ten Kl. und wir doch noch nicht. Jetzt nehmen wir also bei einem gewissen Frl. Schwarz Mathematikstunden, 2 oder 3 Stunden haben wir genommen, als Frl. Schwarz krank wird, also haben wir wieder aufgehört.
Außerdem habe ich auch keinen Klavierunterricht mehr. Ich habe 4 Jahre und 4 Monate Unterricht gehabt. Am Dienstag den 2. März war also die Prüfung. Einige Tage vorher bekommt Hilde Gelenkrheumatismus, an dem sie jetzt immer noch zu Bett liegt. Das arme Wurm tut mir so leid! Also am 2.3. morgens ½ 8 Uhr wandern Mutti und ich nach der Elisabethschule. Jetzt wurden wir in die Aula geführt und von da aus in eine Klasse. Hier haben uns verschiedene Herrn und eine Lehrerin geprüft in Französisch, Englisch, Deutsch, Rechnen und Mathematik, in dem letzteren Fach konnte ich mich natürlich nicht prüfen lassen. Wir bekamen aber am selben Tage keinen Bescheid, sondern die Mütter sollten  ihn sich am nächsten Tag holen. Als  mich Herrn Professor Müller, der uns in Englisch prüfte, fragte, was wir bisher für ein Buch gehabt haben, sagte er mir, bevor er mich weiter geprüft hatte, daß ich in Englisch ein ganzes Jahr  zu weit zurück bin. Angst hatte ich übrigens nicht ein Tippel. Also am 3. an Gustav Schmidts Einsegnung, die ich auch mit gefeiert habe holt sich Mutti den dicksten Rheinfall den man sich denken kann, die schöne Nachricht, daß ich ein ganzes Jahr zurückkommen soll. Papa gefiel das absolut nicht, ebenso Kirchners, die konnten  sich garnicht darein finden, aber ich selbst,  die es doch am meisten angeht, ließ es am kältesten. Auf Papas Wunsch jedoch ging Mutti noch mal hin und rettet wirklich ½ Jahr. Da hatte nämlich ein Irrtum vorgelegen. Hilde sollte nun am 1. August geprüft werden, aber sie ist doch immer noch krank, und kann sich doch  deshalb noch nicht prüfen lassen. Heute habe ich Frau Keubel, welche auch in die Elisabethschule gegangen ist, gefragt, ob es dort viel strenger ist als bei uns, antwortete sie mir folgendermaßen: „Ich muß dir offen sagen Trudchen, ich bin auch aus einer Privatschule  dorthin gekommen; und habe mich dort das erste Halbjahr kreuzunglücklich gefühlt.“ Mir stehen also schöne Aussichten bevor, aber jetzt weg mit den trüben Gedanken, jetzt rufe ich den Sonnenschein.
Also heut gehe ich zum Polterabend und Sonnabend zur Hochzeit von Martha Druke und Herrn Hoffmann, und zur Silberhochzeit von Onkel Otto und Tante Alma. Morgen Vormittag gehen wir mit Herrn Divisionspfarrer Müller nach dem Dom und nach dem Schloß. Heut ist ekelhaftes Wetter, es regnet, regnet und regnet immerzu. Wie es ungefähr vor 9 Wochen geschneit hat, kann sich keiner denken, auf einigen Straßen, wo der Schnee noch nicht fortgebracht worden ist, liegt er heute noch. Bis vorige Woche fror es in der Nacht und manchmal auch am Tage noch. Ich habe ganz vergessen zu schreiben, daß ich jetzt Englische Stunden bei Frl. Döring Kleinbeerenstraße habe. Die ganze Welt ist jetzt in Aufregung, es gibt jedenfalls zwischen Serbien und Österreich Krieg. Jetzt habe ich, wie mir soeben eingefallen ist, eine ganze Menge vergessen. Erstens, daß ich gleich denselben Tag, als ich in der Elisabethschule angenommen war in der Victoriaschule abgemeldet wurde, dann daß wir uns erst gefreut hatten, daß es dort 25 M Schulgeld kostet, und daß wir dann zu erfahren bekamen, daß es auch von jetzt ab 35 M kostet. Ich freue mich schon rasend auf heut`Abend.

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