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Tagebuch feathery
2008-10-25 17:23
Mein Opa.
Es fällt mir schwer drüber zu schreiben.

Mein Opa.
Keine beliebte Person in unserer Familie.
Strenge, Disziplin zeichnete seinen Charakter aus.
Wie gut ich mich daran erinnern kann, als wir vor etwa 8 Jahren in die Türkei gereist sind und ich regelrecht Angst vor ihm hatte. Spielen, Spaß haben waren ihm fremd. Ein Kind hatte nicht zu spielen, ein Kind muss wie die Erwachsenen arbeiten und pflichten übernehmen.
Wir waren immer froh, dass er gegen Mittag die Wohnung verließ und meist erst gegen den frühen Abend wiederkam. So hatten wir einen gewissen Zeitraum uns zu vergnügen.
Still auf dem Sofa sitzen, das war Gang und Gebe, wenn er heimkam.

Er verhielt sich brutal meiner Oma gegenüber. Sicher bin ich mir nicht, aber es war wohl keine einfache Ehe, da Schläge nicht abnormal waren.
Auch mein Vater erzählt, dass er in seiner Jugend Probleme mit meinem Opa hatte.
Jeder der Familie hatte dementsprechend eine Antipathie gegenüber. Je mehr mein meine Oma liebte, umso mehr hasste man ihn.

Die Wende brach ein, als er einen Herzinfarkt erlitt und dadurch eine Querschnittslähmung eingeleitet wurde.
Von Heute auf Morgen musste er im Bett liegen. Sein Leben hatte sich grundlegend geändert und eine Passivität schlug ein.
Anfangs habe ich das nicht realisiert, doch von jahr zu Jahr bemerkte ich die Trauer in ihm.
Keiner mochte sich mit ihm unterhalten, sich mit ihm zu beschäftigen.

Ich war diejenige, die sich neben ihn setzte und stundenlang diese Haltung einnahm.
Wir haben viel geredet, er hat viel erzählt, ich habe zugehört. Ich lernte diese Momente zu lieben, auch wenn wir uns nicht in allem einig waren.
Ich liebte ihn. Von Minute zu Minute liebte ich ihn immer mehr und es brach mir das Herz, diese Trauer in seinen Augen zu sehen.

Das Letzte Jahr mit ihm verlief kompliziert. Ich weinte, weil ich Angst um ihn hatte. Jeder hat auf seinen Tod gewartet, nur ich wollte diesen verdrängen und hinausschieben.

Eines Tages kam es zu einem Streit zwischen meinem Vater und meinem Opa. Es ging darum, dass er meiner Oma zu sehr zur Last fiele, indem er keine Pflegerin akzeptierte.
An Konkretes erinnere ich mich nicht mehr.
Es war hart, das weiß ich.
Mein Vater hat ihn angebrüllt und fertig gemacht.
Die Tür war zu.
"Das geschieht ihm Mal Recht", sagte meine Schwester. Ich war außer mir. Enttäuschung und Wut.

Ich öffnete die Tür und sah meinen Opa im Bett liegen und weinen. Er war am Ende seiner Kräfte und ich glaube, ihm wurde bewusst, dass er einige Fehler im Leben begangen hat.
So saß ich nehen ihm und weinte auch.
"Mach das Fenster auf."
Ich stand auf und tat, was er wollte.
"Hilf mir bitte auf."
Ich fragte, was er machen wolle.
Er schluchzte und machte eine Handbewegung, die darauf hindeutete, dass er runterspringen möchte.

Ich hatte solche Angst, war empört und traurig zugleich. Ich sagte, dass er das nicht machen dürfte.
Er weinte nur.

Ich weiß, dass ihn nichts daran gehindert hätte, aus dem Fenster zu springen, wenn er nicht querschnittsgelehmt wäre.

Keiner weiß davon.
Meine Familie bereut nichts. Es sei richtig gewesen, ihm die Augen zu öffnen.

Noch im selben Jahr, etwa 2 monate nach unsererm Urlaub ist er gestorben.
Bei unserem Abschied war er sehr traurig und meine Mutter meinte, dass er womöglich etwas spürt und für immer Abschied nimmt.

Er fehlt mir und es tut mir so unglaublich Leid, dass ich nicht noch viel mehrere Stunden neben ihm gesessen hab.

Jahre sind vergangen und trotzdem kann ich immer noch nicht mit seinem Tod abschließen.
Er war ein Mensch, der mir aus der Familie in der Türkei am nahesten stand. Und so wird es auch bleiben.
Mit ihm habe ich gelacht und geweint.

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