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Thursday, 25. April 2024
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Tagebuch Erich_Binner
 1918-01-27 hh:mm
Kaiser's Geburtstag ...

Als ich am Sonntagmorgen erwache, ist der Tag noch nicht da; das unsichere Dämmerlicht, das das Zimmer erfüllt, flüstert: 'Er ist nicht mehr fern'. Und ich träume noch ein wenig, dann aber heraus. Früher denn sonst bin ich fertig. Kaisers Geburtstag ist heute.

Zuerst geht’s zur Großmutter, die alte Dame hat trotz aller Knappheit ein kleines Frühstück für mich. Ich gehe zur Mühlenstraße hinab, sie wimmelt von Menschen. Die Soldaten kommen aus der Kirche und marschieren nach dem Platz hinter der Schleuse zum Parademarsch. Ich gehe dicht neben der Musik her damit mir ja kein Ton entgeht. Und das Herz lacht mir im Leibe: wie doch die Pfeifen und Trommeln so fröhlich klingen, wie es aus den blanken Trompeten so lustig schmettert. Da wird einem so leicht ums Herz; dass spült allen Missmut, alle Sorgen von der Brust.

Mein 'Freund' Georg gesellt sich zu mir. Wir sprechen aber nicht viel. Jetzt sind wir auf der Brücke, ich wende mich um: man kann die Mühlenstraße hinabschauen, die einen prächtigen Anblick bietet. 'Die stählerne Mauer', entfährt es meinen Lippen. Durch die Straße zieht sich die endlose Schlange unserer feldgrauen Soldaten, die Gewehrläufe blitzen im Sonnenschein. Eine gewaltige, stählerne Mauer. Auf dem Platz herrscht großes Gedränge, doch ich kann ganz gut sehen. Die Stadt hinter uns erscheint mit dem Nebel zu einem Chaos verflossen. Auf eine kurze Ansprache folgt das Hurra; die Musik nimmt Aufstellung und nun folgt das Schönste: der Parademarsch. Der braune Boden erzittert unter den stampfenden Schritten, die Luft ist erfüllt von Trompetengeschmetter und vom Knattern und donnern des Flugzeuges, das hoch oben im Sonnenschein glänzt. Bei jedem Tritt läuft ein Zittern über die Gesichter der Marschierenden die sich alle redlich Mühe geben, Richtung zu halten. Obwohl mich sonst der Militarismus kalt lässt, das war doch ein prächtiger Anblick für mich. Schneidige Offiziere auf schönen Pferden, die Mannschaften schnurgerade ausgerichtet, die Klänge der Musik der dröhnende Paukenschlag, dass war eine Lust zu sehen und zu hören.

Und ein herrliches Wetter. Die Sonne schien mir so warm ins Gesicht; das ist gar nicht wie im Januar. Unserer Großmutter half ich noch einen Brief abfassen, dann ging's nach Hause.

Am Nachmittag lese ich Strindbergnovellen, rauche ein paar Zigaretten, gegen Abend gehe ich mit meinem Freund in die Stadt. Wir plaudern und unterhalten uns ganz gut.

Abends bin ich ganz allein, ich rauche noch eine Zigarette und lese ein Buch von Otto Ernst. Dieser Mann schreibt ausgezeichnet, ein echter Dichter. Ich komme sogar ein wenig in Stimmung und schreibe diese Zeilen nieder. Die Worte klingen doch wohl lebhafter, als wenn ich im Geschäft sitze und etwas aus der Feder herauspresse. Aber schön sind sie auch gerade nicht, denn ich muss mich beeilen, das Licht geht gleich aus. Ich habe ja auch keinen guten Stil, das ist der Jammer.

 

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