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Tagebuch Doc12
2010-10-17 08:01
Der weinende Clown - 87

Sarah setzte sich an den Küchentisch, nahm die Tageszeitung, las den Artikel und schüttelte den Kopf. „Das ist ja fast unglaublich, die haben doch nicht mehr alle Tassen im Schrank“, sagte sie ärgerlich zu sich selbst. Sie stand auf, holte ihr Notebook, klappte es auf, schaltete es ein und begann zu schreiben:

Die prominentesten Raucher Deutschlands, Helmut Schmidt und seine  Gattin Loki, dafür bekannt, dass sie bisher qualmten, wann und wo es ihnen gefiel, rauchten auch bei einem Neujahrsempfang in einem Hamburger Theater, also in einem öffentlichen Gebäude – mit Sondererlaubnis, sozusagen mit einer speziellen Ausnahmegenehmigung. Die Theaterleitung stellte ihnen trotz des gesetzlichen Rauchverbotes sogar einen eigenen Aschenbecher zur Verfügung. Für den Altbundeskanzler war das kein Problem: Er benützte ihn wie selbstverständlich und gab auch seiner Gattin charmant Feuer. Eine große deutsche Boulevardzeitung, die dafür bekannt ist, alle möglichen unwichtigen Bilder zu veröffentlichen, damit der Bürger immer gebildeter wird, veröffentlichte auch Bilder des rauchenden Ehepaares, was zur Folge hatte, dass sich eine sogenannte „Nichtraucherinitiative“ aus Wiesbaden, eine Gesellschaft, bestehend aus anscheinend kleinkarierten Gesundheitspuristen, dazu berufen fühlte, gegen den Altkanzler Anzeige wegen Körperverletzung zu erstatten.
Nun kann man sich als normaler Mensch fragen: Wie fand diese Körperverletzung im Detail statt? Und wie begeht man eine Körperverletzung in Wiesbaden, wenn man in Hamburg raucht? Auch die Staatsanwaltschaft und deren Ermittler sind anscheinend nicht genügend ausgelastet, denn anstatt die Anzeige dorthin zu werfen, wo sie hingehört – in den Papierkorb nämlich – wird der Fall zwischenzeitlich juristisch geprüft und man rätselt noch: Stellt das Rauchen einer Zigarette nun tatsächlich eine Körperverletzung dar oder handelt es sich um eine Ordnungswidrigkeit?
Zugegeben: Eine verzwickte Frage, deren Lösung auf einem Problem basiert, das wieder einmal hausgemacht ist, weil man in Deutschland anscheinend keinen anderen Probleme hat ...
Wieder einmal ein typisch deutsches Schildbürgergebahren, das hier zutage tritt – und würde die Beschäftigung der Behörden mit solch lapidarem Unsinn nicht das Geld des Steuerzahlers kosten, dann könnte man es als Lachnummer oder Treppenwitz bezeichnen. Der Altbundeskanzler sieht das Ganze milde lächelnd, denn unter seiner Regierung hätte es vermutlich kein Rauchverbot gegeben – wahrscheinlich waren die Menschen damals noch mündiger, selbständiger und hatten noch mehr Eigenverantwortung – und hätten sich dieses Theater auch nicht bieten lassen. Deshalb musste sich Helmut Schmidt in seiner aktiven Zeit aber auch nicht mit solch schwerwiegenden Problemen, wie es heute das Raucherproblem darstellt, herumschlagen, sondern war in der Lage, sich mit den kleineren Randproblemen zu beschäftigen: Mit der Sturmflut 1962 beispielsweise, mit der Ölkrise in den 70iger Jahren oder mit der Flugzeugentführung in Mogadischu...
Beim vorliegenden Fall kann man wohl nicht mehr von einer Überreaktion sprechen – eher doch von Gesundheitsfanatismus und einer Borniertheit, die ihresgleichen suchen. Zu überlegen wäre noch: Welchen Grund hätte ein Mann im Alter von 90 Jahren, der sich im Lauf seines Lebens weit mehr um das Wohl Deutschlands verdient gemacht hat, als es eine Wiesbadener Nichtraucherinitiative je schaffen wird, eine Körperverletzung zu begehen? Es mag durchaus sein, dass vor dem Gesetz (fast) alle gleich sind, dennoch bleibt nur zu hoffen, die Staatsanwaltschaft lässt die Kirche im Dorf und verhält sich vernünftiger als die Wiesbadener Puristen. Sollte dem nicht so sein, dann kann man nur noch sagen: armes Deutschland! Genau genommen geht es hier nicht mehr allein um Rauchen oder Nichtrauchen in öffentlichen Gebäuden – hier geht es um die Diskriminierung einer hochverdienten Persönlichkeit, die beschämend ist!

Sarah hatte sich in Rage geschrieben. Sie war wütend – und obwohl selbst Nichtraucherin, fand sie die ewige Diskussion um das Rauchen langsam lächerlich. Anscheinend war den Leuten nicht klar, dass  andere Probleme wohl vorrangiger gewesen wären. Dieser Staat mischt sich zwischenzeitlich aber auch überall ein – irgendwann regulieren sie noch die Häufigkeit des ehelichen Geschlechtsverkehrs und die Anzahl der Atemzüge, dachte sie aufgebracht. Sie warf die Zeitung in die Ecke und beschloss, die versprochenen Rindsrouladen zu machen.

Kommentare


unbekannt
08:09 17.10.2010
Rindsrouladen sind lecker.

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2010-10-17 08:01