Willkommen auf Tagtt!
Thursday, 18. April 2024
Tagebücher » Doc12 » News, Bilder, Videos - Online
Tagebuch Doc12
2010-09-30 08:24
Der weinende Clown - 70

„Das hört sich schlimm an“, sagte Sarah leise.
„Zugegeben, ja. Genauer gesagt: Es ist die Hölle. Man lebt nur noch, um auf den letzten Tag zu warten. Dazwischen tut man noch irgend etwas, um nicht völlig zu verzweifeln, hinterfragt aber gleichzeitig dessen Sinn und kommt am Schluss immer wieder auf das gleiche Ergebnis: Auf die Sinnlosigkeit des eigenen Daseins. Und eines Tages stellt man zusätzlich fest: Man ist nur noch damit beschäftigt, die monatlichen Kosten abzudecken, wie Miete, Telefon, Auto und Tanken und die Stromrechnung, die Befüllung des Kühlschranks – doch wo bleibt das, was man letztlich Leben nennt? Nur dafür zu existieren, dass man die Grundbedürfnisse sichert – das kann es nicht sein, dafür lohnt es nicht, zu leben – es ist einfach viel zu wenig, denn damit hat man eigentlich noch nichts geschaffen, was den Menschen dient, die Gesellschaft weiterbringt oder einen bleibenden Nutzen hinterlässt, bis auf die Tatsache, dass man einige Großkonzerne wie Lidl, Aldi, die Ölkonzerne, die Telekom oder einen Energieanbieter gefüttert hat, deren Geldsäcke ständig praller werden.“

Nachdenklich meinte sie: „Ich glaube, das geht heute vielen Leuten so.“ Und nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: „Ich war in letzter Zeit auch ziemlich viel allein.“
„Das mag sein, doch du hattest Karsten. Ein Kind ersetzt zwar keinen Lebenspartner, aber es braucht dich, beansprucht dich mit Haut und Haaren und du hast etwas Lebendiges um dich. Ein Kind kann einem viel geben – und es zeigt dir jeden Tag die Dinge, die im Leben wirklich wichtig sind. Und ich gebe es zu: Der Vergleich hinkt zwar, doch selbst bei einem Haustier ist es so – zumindest ähnlich.“
„Warum hast du dir nie ein Haustier angeschafft?“
„Ich hatte ein Haustier. Einen Hund.“
„Oh schön. Karsten wünscht sich auch einen.“
„Du kannst ihm keinen größeren Gefallen tun als ihm einen zu schenken. Er hat einen Spielkameraden und lernt gleichzeitig, was Verantwortung bedeutet.“
„Aber nicht hier in der kleinen Wohnung.“
„Muss ja nicht gleich morgen sein. Ich hatte das große Glück, mit Hunden aufzuwachsen, schon von früher Jugend an. Es war eine echte Lebensbereicherung – obwohl ein Tier auch eine Belastung ist.“
„Und warum hast du jetzt keinen Hund mehr?“
„Mein Hund ist vor drei Jahren gestorben. Er war schon alt. Und dass ich keinen neuen wollte, hat verschiedene Gründe.“
„Welche?“
„Zum einen bin ich schon zu alt. Ein Hund kann durchaus vierzehn Jahre oder älter werden.
„Unsinn! Du bist nicht zu alt!“, widersprach sie energisch.
Er zuckte mit dem Schultern. Ohne auf ihre Bemerkung einzugehen, redete er weiter: „Dann kommt dazu, dass mein Hund ein ganz spezieller Hund war. Ich hatte zu ihm eine sehr starke seelische Bindung, so eigenartig sich das vielleicht anhören mag. Er konnte förmlich meine Gedanken lesen, wir waren in ständiger stummer Kommunikation – ich kann das einem Außenstehenden nicht  verständlich machen, er wäre vermutlich überfordert, weißt du. Ich sag’s mal so: Dieser Hund hatte fast menschliche Züge – er hatte eine Seele, und die war größer als die von so manchem Menschen, den ich kannte. Ich glaube nicht, dass ich so einen wie ihn jemals wieder bekomme – es war ganz einfach ein einmaliger Glücksfall.
Es ist wie bei den Menschen eben auch: Keiner ist gleich. Man beerdigt keinen Freund oder Lebenspartner, sagt dann: So, das war’s und schaut sich nach einem neuen um. Egal, ob Tod, Trennung oder Scheidung – all das erfordert Trauerarbeit, die bewältigt werden will – und es spielt keine Rolle, unter welchen Umständen es geschehen ist. Ein Tier, das jeden Tag um dich ist, bleibt kein Tier, es wird zum Familienmitglied. Ist nun mal so. Außerdem braucht ein Hund zwar einen Herrn, gleichzeitig aber auch eine Familie, da er ein Rudeltier ist. Und das kann ich ihm nicht mehr bieten.“
„Was mich verwundert: Du bist ein sehr liebenswerter Mensch und dennoch hast du all die Jahre allein gelebt? Das widerspricht sich irgendwie.“
„Danke für die Blumen, mein Schatz.“ Er gab ihr einen Kuss auf die Nasenspitze.
Du musst doch auch Frauen gekannt haben.“
Bruno nickte und grinste schelmisch. „Ja, ein paar waren es schon. Übrigens, wie viel Uhr ist es? Wir sollten Karsten nicht vergessen.“

„Wir haben noch eine gute Stunde Zeit. Lenk jetzt nicht vom Thema ab.“ Sie grinste.
„Welches Thema hatten wir denn?“
„Deine Frauen.“
„Tatsächlich?“
„Tatsächlich.“
„Und weshalb interessiert dich das?“
„Mich interessiert alles, was dich betrifft, mein Schatz.“
„Typisch Frau.“
„Quatsch.“

„Gegenfrage: Wie viel Männer kanntest du denn?“
„Du bist der dritte.“
„Dann warst du aber ziemlich sparsam,“ feixte er.
„Den ersten hatte ich mit siebzehn. Die sogenannte erste große Liebe. Mit ihm war ich vier Jahre zusammen. Wir wollten heiraten.“
„Man heiratet doch nicht den ersten Mann!“
„Hab’s ja nicht getan. Wäre auch ziemlich schwierig gewesen. Er ist tödlich verunglückt – Autounfall. Er stieß mit einem Lkw zusammen, lag zwei Wochen im Koma und ist dann gestorben. Ich war untröstlich, auch in mir ist etwas gestorben, doch die Ärzte gaben mir damals zu verstehen, dass es so besser wäre – er wäre höchstwahrscheinlich für den Rest seines Lebens im Rollstuhl gesessen.“
„Das tut mir Leid.“
„War ein ziemlicher Schock für mich, damals. Ein Drama. Ich habe lange Jahre sehr darunter gelitten. Mit dreiunddreißig lernte ich dann meinen Exmann kennen. Er war sehr lieb, charmant, hatte alle Eigenschaften, die ich an einem Mann schätzte. Doch langsam begann er zu trinken, zunächst unmerklich, er versuchte anfänglich, es vor mir zu verbergen und mir ist es lange Zeit nicht aufgefallen, vielleicht wollte ich es auch nicht sehen – ich habe ihn geliebt und hatte eine rosarote Brille auf der Nase.“
„Frauen sind manchmal wirklich dumm und blind wie Hühner, wenn sie lieben“, entfuhr es ihm.
„Männer auch.“
„Also wirklich, mein Schatz – das höre ich jetzt zum ersten Mal“, meinte er schmunzelnd.
„Ist so.“
„Du hast ja Recht. Und ich glaube, man liebt einen Menschen nicht nur wegen seiner Vorzüge, sondern oft auch um seiner kleinen Fehler willen. Sie machen ihn menschlich, geben ihm den speziellen Charakter – sonst wär’s doch langweilig, meinst du nicht auch?“
„Na ja, aber weißt du, Alkohol ist ein Problem, das man auf Dauer einfach nicht übersehen kann, weil es gewaltige Auswirkungen auf das unmittelbare Umfeld hat – ich habe es selbst erlebt und möchte es nicht mehr erleben – nie mehr.“

„Irgend jemand hat einmal gesagt, Alkohol sei das beste Lösungsmittel: Er löst Ehen, Arbeitsverhältnisse, Freundschaften und noch so einiges andere.“ Er grinste und meinte weiter: „Hört sich zwar lustig an, ist aber nicht lustig.“
„Nein“, entgegnete sie leise, „Es ist absolut nicht lustig. Man kann es entweder akzeptieren und muss dann damit leben, oder man geht den leichteren Weg und trennt sich. Ich habe mich für den letzteren entschieden – schon wegen Karsten.“
„Das war sicherlich auch der klügere Weg, denke ich.“
„Ich bin heute völlig überzeugt davon.“
„Liebst du ihn noch?“
„Wen? Meinen Exmann? Nein! Die Liebe war irgendwann zu Ende. Er hat alles systematisch kaputt gemacht. Hört sich jetzt blöd an, was ich sage, aber ich vergleiche die Liebe immer mit einer Salami.“
„Mit einer Salami?“ Er lachte. „Das habe ich auch noch nie gehört.“
„Am Anfang hast du noch die ganze Wurst. Und dann wird Scheibchen um Scheibchen abgeschnitten, zum Schluss bleibt die leere Haut und die Scheibchen kann man nie mehr zusammenfügen. Es ist so, als wollte man ein Glas Wasser in ein volles Fass schütten und anschließend genau das gleiche Wasser, das im Glas war, wieder ausschöpfen – es geht nicht.“
„An dir ist eine Philosophin verloren gegangen, glaube ich.“
Sie sah auf die Uhr. „Und ich glaube, wir müssen ...“

Kommentare


unbekannt
10:47 30.09.2010
Mhm..

Kommentar löschen
Soll der Kommentar wirklich gelöscht werden?
Löschen | Abbrechen


unbekannt
10:47 30.09.2010
Mhm..

Kommentar löschen
Soll der Kommentar wirklich gelöscht werden?
Löschen | Abbrechen

Kommentieren


Nur für registrierte User.

Doc12 Offline

Mitglied seit: 21.07.2010
53 Jahre, DE mehr...
Wirklich beenden?
Ja | Nein

2010-09-30 08:24