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Tagebuch Doc12
2010-09-29 08:47
Der weinende Clown - 69

Er stand auf, um den Rotwein zu holen. Als er wieder zurück war, hatte sie zwischenzeitlich zwei Gläser auf den Couchtisch gestellt. Im Hintergrund sang Freddy Mercury „Love of my life”
„Queen finde ich auch gut“, bemerkte er.
Sie ging nicht auf seine Äußerung ein, sondern drückte ihm wortlos einen Korkenzieher in Hand. Etwas umständlich entkorkte er die Flasche. Sie grinste. „Viel Übung hast du wohl nicht.“
„Nein. Ich trinke selten Alkohol – eigentlich so gut war gar nicht.“
„Ab und zu ist es doch ganz nett.“
„Wein ist für mich gefährlich.“
„Warum das denn?
„Beim ersten Glas merke ich noch nichts, nach dem zweiten bin ich fürchterlich albern und nach dem dritten werde ich hemmungslos“, meinte er und grinste süffisant.
„Dann sollten wir sofort mit dem dritten Glas beginnen“, entgegnete sie, lächelte und sah in spitzbübisch an.

Er füllte die Gläser, dann ließ er sich auf das Sofa fallen. Sie setzte sich neben ihn, zog ihre schönen schlanken Beine auf die Couch und legte den Kopf an seine Schulter. Er nahm sie in den Arm und küsste sie. Sie erwiderte seinen Kuss – er war nicht weniger heiß als der seine. „Du! Was machst du nur mit mir?“, flüsterte sie. „Du elektrisierst mich.“
„Ich bin ein verzaubertes Elektrizitätswerk“, kam trocken seine Erwiderung.
„Dann sollten wir zusehen, dass der Strom nicht ausgeht“, antwortete sie schlagfertig, lachte und nahm ihr Glas vom Tisch.
Er tat es ihr nach, sie stießen an. „Auf uns“, sagte sie leise.
„Auf uns.“

Sie tranken, stellten die Gläser ab und küssten sich leidenschaftlich. Ihre Hand legte sich sanft auf seine Brust und begann langsam, sein Hemd aufzuknöpfen. Er spürte, wie ihm ein Schauer den Rücken hinunter rieselte ...

Als sie später erschöpft und eng umschlungen im Bett lagen, meinte er. „Wir sind ja irr!“
„Seit dem ersten Mal bin ich süchtig nach dir und völlig ausgehungert.“ Sie lächelte in verliebt an.
„Ich sorge dafür, dass du zukünftig nicht mehr hungern musst,“ flüsterte er ihr leise ins Ohr und küsste sie.
„Das hoffe ich doch sehr, mein Schatz!“ Sie schlang ihre Arme und seinen Hals.

Die Zeit mit Sarah war wie im Flug vergangen.

 

Am Mittwoch Morgen, sofort nach dem Frühstück, ging sie ans Telefon, wählte die Nummer der Klinik, führte ein kurzes Gespräch und sagte dann mit strahlendem Gesicht: „Ich kann Karsten gegen elf Uhr abholen. Kommst du mit?“
„Klar komme ich mit. Ist doch Ehrensache.“
„Du – ich freue mich wahnsinnig auf ihn. Es ist schon ein eigenartiges Gefühl, wenn der Junge nicht da ist. Wenn du nicht hier gewesen wärst, hätte ich ihn vermutlich noch mehr vermisst.“
„Das hört sich ja fast so an, als wäre ich eine Art Lückenfüller gewesen“, brummte er in gespieltem Ernst.
Sie sah ihn ruhig an, ging dann auf ihn zu und umarmte sie ihn. „Sag so etwas Dummes bitte nie wieder – auch nicht im Spaß!“
„Ist doch okay – war wirklich nur Spaß.“ Er küsste sie.
„Ich bin glücklich, dass ich dich habe.“
„Und ich bin glücklich, dass ich dich habe – du hast mir die Leere und die Sinnlosigkeit aus meinem Leben genommen.“
„Wirklich? Oder sagst du das nur so?“
„Nein, ich meine das wirklich so. Oder glaubst du, es ist so toll, immer allein zu sein? Gut, ich habe mich daran gewöhnt und immer, wenn es mir langweilig war, habe ich geschrieben. Doch Schreiben ist eine ziemlich einsame Angelegenheit. Ist man allein, dann kann es passieren, dass man über Dinge nachdenkt, über die man eigentlich nicht nachdenken sollte, weil sie sinnlos sind, längst vergangen oder unproduktiv, man nimmt nicht mehr am aktiven Leben teil, kapselt sich ab, wird zum Menschenfeind, zum Eigenbrödler – und am Schluss ist keiner mehr in der Lage, einen zu verstehen. Das Alleinsein hat paradoxerweise aber auch einen Vorteil: Da man mehr Zeit zum Nachdenken hat, denkt man vielleicht etwas tiefgründiger und schürft nicht nur an der Oberfläche der Dinge.“

„Kann sein, ja. Was ist mit deinen Eltern? Die hast du doch noch.“
„Schon, ja. Doch sie sind alt geworden. Sie leben in ihrer eigenen kleinen Welt und aus der bringt man sie nicht mehr raus, nicht mehr in diesem Leben, denke ich. Ihre Probleme sind nicht die meinen und meine nicht die ihren. Sie würden sie erst gar nicht verstehen.“

„Was deine Schreiberei betrifft: Man kann sich doch viel von der Seele schreiben, glaube ich“, griff sie das Thema wieder auf.
„Das kann man ganz sicher sogar. Nur: Es ersetzt keinen geliebten Menschen, keine Familie, keine Kollegen, keine Freunde. Ich denke aber, gerade als Schriftsteller ist man auf Input von außen angewiesen, denn ohne Input kein Output. Ich habe mir oft überlegt, wie ich es anfangen soll, wieder mehr Kontakt zu den Menschen zu bekommen – doch ich musste feststellen, dass gerade dann, wenn es einem schlecht geht, sich die andern eher abwenden. Anscheinend strahlt man unbewusst etwas aus, das abstoßend wirkt. Sie wollen nicht damit konfrontiert werden, haben sicherlich auch ihre eigenen Probleme – wie auch immer, man wird gemieden wie die Pest, so, als wäre das eigene Elend ansteckend, gerät in Vergessenheit oder bekommt gesagt: Du machst das schon, du hast es doch immer wieder geschafft oder ähnliche Phrasen. Was sie dabei nicht bedenken: Man wird älter, langsam zwar, doch unaufhaltsam, die Kraft schwindet, der Elan vergeht, man begräbt viele Träume, die Ziele werden kleiner oder verschwinden völlig – und eines Tages wacht man auf und fragt sich, warum man aufgewacht ist – es wäre eigentlich gar nicht mehr nötig gewesen.“

Kommentare


unbekannt
13:15 29.09.2010
Die spannendsten Stellen spart er aus

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2010-09-29 08:47