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Tagebuch Doc12
2010-09-18 08:34
Der weinende Clown - 58

Karsten lag in seinem Krankenbett und schaute sehr interessiert in ein Bilderbuch. Als er Sarah und Bruno durch die Tür kommen sah, strahlte er über das ganze Gesicht, warf sofort das Buch zur Seite und streckte die Arme nach seiner Mutter aus.
„Mama!“
Sarah umarmte ihn. „Wie geht es dir, mein Schatz?“
„Schon wieder ganz gut. Die Krankenschwester hat gesagt, ich könnte vielleicht schon übermorgen nach Hause!“ Er schmiegte sich an sie und ein paar kleine Tränen rannen ihm über die Wangen.
„Hat sie das gesagt?“
„Ja.“
„Hallo Karsten, alles im grünen Bereich?“, begrüßte Bruno den Jungen. Der Junge wischte sich etwas verschämt die Tränen ab. „Alles klar. Toll, dass du auch da bist.“
„Ist doch logo, Kumpel“, grinste Bruno.
„Sag mal Bruno, kannst du mir das Lesen beibringen?“, fragte Karsten unvermittelt.
„Das hat noch Zeit, bis du in die Schule kommst – nächstes Jahr. Dann lernst du lesen“, sagte Sarah und lächelte ihren Sohn an.
„Ich möchte es aber jetzt schon können. Lesen ist toll.“
„Ich bringe es dir bei, sobald du wieder zu Hause bist“, versprach Bruno.
Sarah sah ihn etwas verwundert an und meinte dann: „Aber damit wäre er überfordert, denke ich.“
„Das denke ich keinesfalls. Ich konnte auch schon ein klein wenig lesen, bevor ich in die Schule kam – und in der zweiten Klasse bereits stenographieren.“
„Ach? Gib nicht so an! Das musst du mir genauer erzählen.“ Sie sah ihn skeptisch an.

„Sieh mich nicht so ungläubig an – es ist die Wahrheit. Wenn ein Mensch an etwas Interesse hat und es lernen will, dann lernt er es auch – ohne Lehrer und Anleitung. Autodidaktisch. Man muss nicht alles im Leben ständig vorgekaut bekommen oder immer irgendwelche Kurse besuchen. Das Wissen liegt auf der Strasse und ist für jeden frei verfügbar. Das, was man gern, freiwillig und ohne Anleitung lernt, lernt man vielleicht nicht so schnell, aber dafür umso intensiver, glaube ich.
Nur in Deutschland muss immer alles offiziell sein, man braucht für alles ein Papier und für jeden Dreck mindestens drei Durchschläge. Man sieht es bereits am Klopapier.“
„Du bist ein Revoluzzer, Bruno Steiger.“
„Ich weiß – und möchte dennoch für tausend Pfund Kartoffelsalat kein anderer sein“, sagte Bruno lachend.
Sarah schmunzelte, dann wandte sie sich wieder ihrem Sohn zu. „Ich rede jetzt mal schnell mit der Frau Doktor, bin gleich wieder da, Bruno bleibt einstweilen bei dir, okay?“
“Geht okay“, sagte der Kleine.

Sie verließ den Raum. Für einen kurzen Moment herrschte Stille. Dann  fragte Karsten: „Du Bruno ...“
„Ja , Karsten?“
„Ich möchte dich was fragen.“
„Dann frag mich, Kumpel.“
„Du darfst Mama aber nicht sagen, dass ich dich das gefragt habe.“
„Nein, ich sage ihr nichts. Versprochen. Reine Männersache, okay?“
Der Junge nickte. Bruno setzte sich zu ihm. „Um was geht’s?“
Karsten sah ihm gerade in die Augen. „Hast du die Mama lieb?“
Bruno stutzte einen Moment und rieb sich verlegen die Stirn. Mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet. Dann antwortete er zögernd: „Weißt du, ich kenne deine Mama noch nicht so lange – eigentlich erst seit ein paar Tagen. Ich weiß es noch nicht so richtig. Aber ich glaube – ja.“
Karsten nickte und schwieg.
„Warum fragst du das?“
„Nur so.“
„Aha. Nur so.“

Eine kurze Pause entstand. „Alle Kinder, die ich kenne, haben einen Papa – nur ich nicht“, sagte er traurig.
„Natürlich hast du einen Papa, Karsten. Er lebt nur nicht bei euch, weil deine Mama und er sich nicht mehr lieb haben. Und manchmal ist es besser, man lebt dann nicht zusammen, weil es nicht gut ist. Verstehst du das?“
„Ich möchte aber einen Papa, der bei uns wohnt, der mit mir spielt, mit mir Eis essen geht und mir tolle Geschichten erzählt.“
Bruno strich ihm sanft über die Wange. „Du musst einfach etwas Geduld haben, mein Freund. Und eines Tages, du wirst sehen ...“

Die Tür ging auf und Sarah kam freudestrahlend ins Zimmer. „Übermorgen darfst du wieder nach Hause, mein Schatz! Nur noch zweimal schlafen. Ist das nicht toll?“
„Au ja!“, rief der Junge fröhlich. Seine Traurigkeit, die ihm Sekunden vorher noch im Gesicht geschrieben stand, war wie weggeblasen.
„So – aber jetzt muss ich Bruno nach Hause fahren. Ich komme nachmittags noch mal zu dir, ist das okay? Ich bringe dir auch was mit, junger Mann.“ Sarah umarmte ihren Sohn.
„Geht klar.“
Als beide an der Tür standen, winkte Karsten Bruno noch einmal zu sich. „Du sagst nichts, Ehrenwort?“, flüsterte der Junge.
„Versprochen ist versprochen – großes Indianerehrenwort, Kumpel. Tschau – wir sehen uns bald.“

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unbekannt
09:49 18.09.2010


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2010-09-18 08:34