Willkommen auf Tagtt!
Friday, 29. March 2024
Tagebücher » Doc12 » News, Bilder, Videos - Online
Tagebuch Doc12
2010-09-10 08:33
Der weinende Clown - 50

„Das tut mir Leid.“
„Mir auch. Und nicht nur das. Der Schmerz sitzt tief. Kurt und ich hatten zwar in der letzten Zeit öfter Meinungsverschiedenheiten, doch waren wir lange Zeit wie – nun ja, ich sage mal, wie Brüder. Wir hatten den gleichen Humor. Meine Güte, was haben wir oft geblödelt und gelacht! Er hatte meist gute Ideen auf Lager, wir konnten uns die Bälle zuspielen, ein Wort gab das andere – es war fantastisch – es war so leicht, so spielerisch – und kaum eines meiner Humorbücher ist mein alleiniger Erfolg gewesen, das muss ich zugeben. Ich hätte noch liebend gerne das eine oder andere Buch zusammen mit ihm gemacht und ich wollte ihm noch vieles sagen ...“ Bruno brach ab und wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Auge, dann meinte er leise und mit belegter Stimme: „Ich glaube, Kurt war mir mehr Freund als so manch anderer – vielleicht habe ich das zu seinen Lebzeiten nie so richtig erkannt – und egal, auch wenn er mich manchmal sehr rüde angeschnauzt hat oder mir den einen oder anderen Fehler vorwarf: Heute weiß ich, dass er es im Grunde seines Herzens gut mit mir gemeint hat. Ich kann es immer noch nicht so recht fassen, doch eines kann ich ehrlich sagen: Es war schön, ihn zum Freund gehabt zu haben.“

Sarah lief eine Weile schweigend neben ihm her. Sie konnte seine Trauer förmlich fühlen. Dann meinte sie: „Ich glaube, wenn man das von einem Menschen sagen kann, dann ist es ein sehr großes Kompliment.“ Vorsichtig fragte sie: „Aber wie ging es dann mit diesem anderen Freund weiter?“
Zögernd erzählte er weiter: „Es sollte ursprünglich ein Humorbuch werden, doch dieser Freund hatte eine ganz andere Art von Humor. Dazu kam, dass er die Sache schließlich an sich riss, zu schreiben  anfing und das Ganze ziemlich pseudowissenschaftlich aufzog. Er fand das Manuskript unheimlich lustig – doch leider war er vermutlich weltweit der Einzige. Ich wusste schließlich nicht mehr so richtig, welche Rolle ich bei der Sache eigentlich spielte und sechs Wochen später meinte er, das Manuskript sei jetzt fertig und ich solle noch etwa zehn Seiten dazu schreiben – aber doch bitteschön nicht meine üblichen Plattitüden. Aufgrund dieser arroganten Aussage habe ich die Sache boykottiert. Ich denke, es ist schon schwierig genug, allein ein Buch zu schreiben, aber zu zweit ist es fast unmöglich, es sei denn, man ist mental auf der absolut gleichen Wellenlänge. Zudem macht mir niemand weis, dass er ein Buch in sechs Wochen schreibt – er hat es schlichtweg schnell mal so zusammengenagelt.“

„Das kann ich verstehen“, bemerkte Sarah. „Wie lange kennst du ihn schon?“
„Mein ganzes Leben. Wir kannten uns schon als Kinder. Und sicherlich hat er mir auch schon ein paar Mal geholfen, worüber ich auch sehr dankbar war. Aber leider ...“
„Was leider?“
„Er hat sich mir gegenüber daraufhin sehr verändert. Und als er dann durch eine Erbschaft zu noch mehr Geld kam als er schon hatte, war er nicht mehr der Mensch, den ich einmal kannte. Er wurde –“ Bruno zögerte.
„Was wurde er?“
„Verzeih mir den Ausdruck – er wurde zu dem, was man landläufig als überhebliches Arschloch bezeichnet und hat geglaubt, er müsse andere Leute belehren. Dazu kam seine fast schon verschrobene Sparsamkeit, nenn es Geiz, wenn du willst. Geizige Menschen und Egoisten sind mir zuwider“, meinte Bruno mit einem leichten Anflug von Traurigkeit.
„Anscheinend belastet dich das, hab ich Recht?“
„Es hat mich belastet, zwischenzeitlich nicht mehr. Falls er glücklich ist,  was ich nicht so recht glaube, soll er glücklich sein. Ich beneide ihn absolut nicht.“

„Tja, das ist schade“, bemerkte Sarah. „Hast du noch Kontakt zu ihm?“
„Nein, ich habe mich innerlich schon vor geraumer Zeit zurückgezogen. Genau an dem Tag, als er mich anrief und fragte, wie es mir ginge. Ich antwortete ihm darauf hin ganz ehrlich, dass es mir sehr schlecht ginge, da ich gerade in einer persönlichen und finanziellen Krise stecken würde. Seine Ratschläge lauteten: Arschbacken zusammenkneifen und durch und letztendlich meinte er: Hättest du etwas Vernünftiges gelernt, dann ginge es dir auch besser. Was er allerdings dabei nicht bedacht hat, ist die Tatsache, dass ich in vielen Dingen viel mehr Ahnung habe als er, zumindest, was die pragmatische Seite des Lebens betrifft. Und jeder kann etwas anderes, das ist nun mal so. Aber selbst dann, wenn er mich für dümmer hält als er selbst es ist, dann gilt immer noch der Grundsatz, dass man sogar vom Dümmsten etwas lernen kann. Vermutlich hat er von mir auch etwas gelernt. Und das beruhigt mich doch wieder ein klein wenig. Damit kann ich gut leben.“ Bruno grinste.

„Das ist ja knallhart. So eine Aussage hat mit Freundschaft nichts zu tun, das ist arrogant und gehässig“, sagte Sarah und schüttelte den Kopf.
„Eher oberflächlich und gedankenlos. Viele Menschen sind einfach seelisch verkrüppelt. Und ich glaube, je mehr der Mensch besitzt, desto mehr Probleme hat er mit sich selbst und sieht kaum mehr die der anderen. Doch wie auch immer: Von dem Moment an wusste ich Bescheid und begriff, dass er sich verändert hatte. Bedauerlich. Eigentlich sehr traurig. Aber lassen wir’s – Schnee von gestern.“

„Na ja, tröste dich. So etwas Ähnliches habe ich auch im Bekanntenkreis erlebt. Und es ist seltsam: Als die Schwierigkeiten mit meinem Exmann begannen und ich damals arbeitslos wurde, hatte ich kaum mehr Freunde. Bis auf zwei waren alle plötzlich verschwunden.“
„So sind die Menschen nun mal. Ganz normal, meine Liebe – es ist eine alte Erfahrung: Ratten haben die Eigenschaft, sinkende Schiffe sehr schnell zu verlassen“, entgegnete Bruno, nahm ihre Hand und drücke sie leicht. Sie erwiderte den Druck seiner Hand und blieb stehen, sah ihm tief in die Augen, wollte etwas sagen, doch es gelang ihr nicht. Behutsam nahm er sie in den Arm und küsste sie lang und innig.

Kommentare


unbekannt
11:57 10.09.2010
...

Kommentar löschen
Soll der Kommentar wirklich gelöscht werden?
Löschen | Abbrechen

Kommentieren


Nur für registrierte User.

Doc12 Offline

Mitglied seit: 21.07.2010
53 Jahre, DE mehr...
Wirklich beenden?
Ja | Nein

2010-09-10 08:33