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Tagebuch Doc12
2010-08-16 07:41
Der weinende Clown - 25

Kaum zu Hause angekommen, zog er sofort seinen Mantel aus, ging an seinen Computer und schaltete ihn ein.
„Heute wird geschrieben“, sagte er laut zu sich und fühlte wieder dieses Kribbeln in den Fingerspitzen. Er würde diesem Clown nun endlich Leben einhauchen, ihn aus der Traumwelt befreien, ihm ein Gesicht, einen Charakter geben – ihn zur Aktivität erwecken, ihn sozusagen erschaffen ... und es würde eine Geschichte werden, wie er noch nie eine geschrieben hatte –.

Doch zuerst wollte er noch einen Anruf erledigen ...
Er nahm das Handy und wählte.
„Hallo, mein Freund“, sagte Gott, „was liegt an?“
„Ich wollte mich entschuldigen.“
„Für was?“
„Ich war heute Vormittag ein Ekel“, gab Bruno kleinlaut zu.
„Stimmt.“
„Ich bin manchmal ein unmöglicher Typ.“
„Das ist mir durchaus bekannt. Aber du lernst schnell.“
„Ich hätte trotzdem noch eine Frage zu der Sache.“
„Dann frag.“
„Ich habe die Stelle im Buch Genesis gelesen. Aber so hat es sich doch nicht wirklich zugetragen, oder? Du sagtest mir einmal, die Natur würde keine Sprünge machen. Doch liest man diese Stelle in der Bibel, dann gewinnt man den Eindruck, alles wäre sofort passiert – puff – und die Erde war da ... Ich nehme nicht an, dass du die Erde in sechs Tagen erschaffen und dich dann am Sonntag ausgeruht hast, oder?“
„Unsinn. Natürlich nicht. Aber wie erklärt man den Menschen einen Urknall? Wie das Universum? Ihr habt es heute wesentlich einfacher, seid wissenschaftlich schon einen kleinen Schritt weiter und versteht die Zusammenhänge – na ja – wenn auch lückenhaft. Aber die Menschen vor langer Zeit waren noch unwissender als ihr. Doch wenn dir die Bibel so nicht gefällt wie sie ist, kannst du sie gern umschreiben. Ich werde dich nicht daran hindern. Aber ich glaube, ein paar Leute
hätten etwas dagegen und würden dich danach steinigen.“ Ein leises Lachen kam aus dem Handy, dann meinte Gott: „So vielleicht – nur als Vorschlag: Im Anfang war der Gedanke. Und der Gedanke war Gott. Und Gott dachte: Lasst uns die Welt erschaffen. Sogleich geschah eine riesige atomare Explosion, die er Universum nannte. Das Universum hatte in diesem Moment die Größe Null und ward unendlich heiß. Im gleichen Augenblick begann die Zeit. Das Universum dehnte sich aus und ward eine Sekunde später auf etwa zehn Milliarden Grad abgekühlt, enthielt Elektronen, Neutrinos und Photonen und deren Antiteilchen. Einige Stunden später fing es an, sich noch weiter auszudehnen und Gott sah, dass es gut war, sich aber erst eine Million Jahre lang abkühlen müsse und legte sich zur Ruhe.“

Bruno lachte schallend. „Du bist ja ein heißer Typ – im wahrsten Sinne des Wortes! Doch die Geschichte verkauft sich schlecht, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.“
„Siehst du – und genau deshalb musste die Sache total vereinfacht und gerafft werden – und sechs oder sieben Tage kann sich ein Mensch einfach besser vorstellen als ein paar Millionen oder Milliarden Jahre. Und sicher ist: Das Universum war zuerst, und dann erst entstand die Erde – eine meiner kostbarsten Perlen übrigens, auf die ich sehr stolz bin.“
„Aber wie war das nun mit den drei Worten: Es werde Licht?
„Das war erst viel später, Junge! Damit habe ich diesen großen Gasball entzündet, der heute eure Sonne ist. Das funktioniert ganz einfach auf Kernfusionsbasis – man lässt Wasserstoffatome lediglich zu Heliumatomen verschmelzen und stabilisiert das Ganze, damit es einige Zeit hält. Es wird dann ziemlich warm, sehr hell und ein paar Strahlen werden freigesetzt. Also nichts Besonderes.“
„Eigentlich ganz einfach“, wiederholte Bruno und grinste.
„Klar, nur Pipikram – ungefähr so, als würdest du eine Deckenleuchte installieren. Dann gibt man der Erde einen kleinen Schubs, damit sie sich dreht und schon haben alle abwechselnd etwas davon. Aber nun mal im Ernst, Bruno – du weißt, was ich dir mit dieser Lektion sagen wollte?“
„Nun ja, ich nehme an, du wolltest mir damit sagen ...“ Er stockte.
„... dass du dir mit Gedanken und Worten ein eigenes kleines Universum erschaffst, denn es steckt eine gewaltige Kraft dahinter – das wollte ich dir sagen – nicht mehr und nicht weniger, kapiert? Geh also vorsichtig mit ihnen um!“
„Zwischenzeitlich blicke ich durch.“
„Übrigens solltest du dir das Mädel warm halten, das du heute getroffen hast. Du hast sie sehr beeindruckt. Sie mag dich. Nur mal so ein Tipp von mir ...“
„Ich weiß ja gar nicht, ob ich sie jemals wieder sehen werde.“
„Du siehst sie wieder. Schon bald, mein Sohn, schon bald. Für Morgen habe ich abermals schönes Wetter eingeplant – dann solltest du Nachmittags um genau 14 Uhr 38 an der Parkbank sein. Exakt zu diesem Zeitpunkt wird sie darauf Platz nehmen und sehnsüchtig auf dich warten. Du kannst deine Uhr danach stellen. Übrigens, so nebenbei: Sie braucht dich und du brauchst sie. Mehr sage ich nicht.“
„Was du so alles weißt ...“ Bruno schüttelte den Kopf und grinste über beide Ohren.
„Ja – das ist halt so. Und jetzt schreib schön.“

„Zu dieser Clown-Geschichte hätte ich aber noch eine Frage ...“
„Die kenne ich bereits. Du wolltest mich fragen, wie und wo du die Geschichte beginnen sollst. Die Antwort lautet: Das Ende ist der Anfang.“
„Das Ende ist der Anfang ...“, wiederholte Bruno kopfschüttelnd. „Wie meinst du das? Ich verstehe es nicht.“
„Die Geschichte beginnt am Ende deines Traumes, dort, wo du den Clown zuletzt sahst. Gib ihm den Namen Donatello Castiglioni. Er ist Italiener. Den weiteren Verlauf der Geschichte gebe ich dir nebenbei beim Schreiben ein – als permanente Erleuchtung sozusagen. Du musst es nur noch hinschreiben, solltest dich dabei allerdings nicht zu sehr in den Details verlieren, sonst langweilst du möglicherweise deine Leser.“
„Gut, danke. Mein Gott, es ist übrigens schlimm mit dir ...“
„Was ist schlimm mit mir?“
„Du weißt immer alles schon im Voraus.“
„Ich finde es prima – das schützt mich vor unliebsamen Überraschungen“, erwiderte Gott und lachte.
„Du könntest mir ruhig mal etwas über den Verlauf meiner Zukunft sagen – sie würde mich interessieren.“

Für einen Moment herrschte fast eisiges Schweigen, dann antwortete Gott mit ernster Stimme: „Ich allein kenne deine Zukunft und das genügt. Nur wenigen auserwählten Menschen wird der Blick in die Zukunft gewährt – du gehörst nicht dazu, Bruno Steiger! Und jetzt schreib und sündige nicht!“ Bruno nickte stumm, fast etwas eingeschüchtert. Dann war Stille.

Kommentare


unbekannt
07:57 17.08.2010
nach einigem nachholen muss ich sagen, insgesamt etwas flach, aber mit vielversprechenden aussetzern, die mir durchaus gefallen...ich werde weiterlesen

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2010-08-16 07:41