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Tagebuch Doc12
2010-08-15 08:30
Der weinende Clown - 24

„Und woher, glauben Sie, kommt das?“
„Vielleicht durch unsere schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse, vielleicht durch unser Konsumdenken, das uns im Lauf der Jahre eingebläut wurde, vielleicht auch durch unsere allgemeine Unzufriedenheit – ich weiß es nicht, ich vermute es nur. Eines weiß ich jedoch sicher: Der Humor ist und war zu jeder Zeit immer ein Spiegel der Gesellschaft. Und momentan hat dieser Spiegel große, blinde Flecken.“

Beide saßen für einen Moment schweigend da, dann meinte Sarah: „Vielleicht sollten Sie etwas ganz anderes schreiben – Kinderbücher eventuell. Ich sehe es an meinem Sohn: Er hat einen unheimlichen Bedarf an Geschichten und Märchen – ich komme kaum mit dem Erfinden nach ...“
„Kinderbücher? Nein. Da ist der Markt viel zu überlaufen. Heute schreibt fast schon jede zweite Mutter, die irgendwann mal ein Kind zur Welt gebracht hat, mindestens ein Kinderbuch – pädagogisch wertvoll natürlich.“ Bruno grinste und fuhr fort: „Das sollte man nicht anfangen, es sei denn, man ist bereits als Kinderbuchautor bekannt und etabliert. Nein, nein! Ich halte es da eher mit dem Sprichwort: Schuster, bleib bei deinen Leisten!“

Sarah sah ihn etwas ungläubig an und meinte dann: „Eigenartig ist doch nur, dass jedes Jahr immer wieder massenhaft neue Bücher erscheinen – woher kommt das?“
„Weil jeder vermutlich glaubt, es sei so einfach, ein Buch zu schreiben und anschließend sei man reich und hätte ausgesorgt. Schreiben haben ja alle in der Schule gelernt, nicht wahr? Stimmt nicht, es ist blanker Unsinn. Niemand wird ein Michael Schumacher, nur weil er den Führerschein hat und ein Auto fahren kann. Abgesehen davon: Neunzig Prozent der Bücher sind Schrott, hinterlassen keinen bleibenden Wert. Wenn so ein Buch fünf Jahre auf dem Markt ist, dann ist das schon lang.
Sehen Sie, ich habe diesbezüglich meine eigenen Ansichten – und ich betone: Es sind meinen eigenen Ansichten. Zunächst einmal sollte kein Autor ein Buch mit dem gedanklichen Hintergrund schreiben, Geld damit verdienen zu wollen. Ein gutes Buch sollte dadurch entstehen, dass der Autor das brennende Bedürfnis in sich spürt, seinen Mitmenschen etwas mitzuteilen, sie zumindest aber gut zu unterhalten oder sie für ein paar Stunden dem Alltag zu entreißen. Das persönliche Ego sollte völlig im Hintergrund bleiben. Ein gutes Buch kommt sozusagen  aus dem Herzen, nicht in erster Linie aus dem Gehirn – es sei denn, es handelt sich um ein wissenschaftliches Sachbuch. Das Gehirn ist lediglich für das Handwerk zuständig.
Aber bleiben wir doch beim Beispiel Kinderbücher: Es gab etliche gute klassische Kinderbuchautoren wie beispielsweise Enid Blyton, Astrid Lindgren, Erich Kästner, um nur ein paar zu nennen. Diese Bücher wurden von den Kindern geradezu verschlungen. In neuerer Zeit könnte man da noch Joan K. Rowling mit ihrem Harry Potter einreihen. Und wissen Sie, was diese Bücher alle gemeinsam haben? Sie beschreiben im Grund menschliche Werte, die uns so ziemlich  abhanden gekommen sind: Freundschaft, Treue, Ehrlichkeit, Demut, das Einstehen für den anderen, Mut, die unschuldige, kindliche Liebe, das Zauberhafte. Die Kinder besitzen diese Eigenschaften und Werte noch, weil sie sozusagen zur Grundausstattung des Menschen gehören und tief in uns verankert sind. Einzig und allein schon aus diesem Grund sollten wir unsere Kinder lieben, wertschätzen, hegen und pflegen, nicht etwa als potenzielle Steuerzahler für die Zukunft. Schade nur, dass uns diese Werte im Lauf unseres Erwachsenendaseins häufig verloren gehen – denn wir Menschen bleiben der ursprünglichen Beschaffenheit unserer Seele nicht treu.“

Bruno holte tief Luft und fuhr fort: „Diese Bücher wurden deshalb massenweise gelesen und hatten einen riesigen Erfolg, weil sie genau all diese genannten menschlichen Qualitäten beschreiben – und dieser Erfolg ist ein verdienter Erfolg, wie ich meine. Lesen Sie sie und Sie finden es bestätigt. Ich glaube, ein Erwachsener kann aus Kinderbüchern das wieder lernen, was er längst vergessen hat – und vor einem guten Kinderbuchautor kann man nur ehrfürchtig den Hut ziehen, denn er ist es, der die wahren Schätze vermittelt.“

„Na ja, aus dieser Perspektive habe ich das noch nie betrachtet – Sie reden fast wirklich wie ein Pfarrer“, erwiderte Sarah etwas erstaunt. Dann wechselte sie das Thema und meinte: „Im Journalismus ist es ganz anders. Da handelt es sich ja um reine Berichterstattung, es geht darum, soviel Informationen wie möglich zu bringen – short and dirty.“
„Ich weiß“, antwortete Bruno, dann fügte er etwas verächtlich hinzu: „Wir sprechen hier von Literatur. Das kann man nicht vergleichen. Journalismus ist Spaltendenken, nur die Schreibe für den täglichen Konsum ...“, und meinte weiter: „... es ist doch eigenartig, dass die Menge des täglichen Geschehens immer nur so groß ist wie das Format der Zeitung. Kaum ein Leser macht sich darüber Gedanken.“

Beide sahen sich an und lachten, dann meinte Sarah: „Sie sind schon ein komischer Kauz – irgendwie ...“
„Finden Sie?“
„Ja. Sie haben etwas Besonderes an sich.“
„Mag sein. Aber davon kann ich kaum meine Miete bezahlen. Das macht mein Leben nicht einfacher ... Individualisten sind nicht mehr gefragt.“
Sarah sah auf ihre Armbanduhr. „Ich muss gehen – Karsten vom Kindergarten abholen.“
„Karsten? Ihr Sohn?“
„Ja.“
„Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag.“
„Ich Ihnen auch.“ Zögernd fügte sie hinzu: „Ich würde Sie gerne wieder treffen.“
„Ich Sie auch“, entgegnete Bruno etwas verlegen.
„Überlassen wir es dem Zufall – irgendwann wieder auf dieser Parkbank?“, fragte sie.
„Einverstanden – aber nur bei schönem Wetter“, brummte Bruno und lächelte.
Sie stand auf, drückte ihm kurz die Hand und ging. Als sie bereits ein Stück von ihm entfernt war, drehte sie sich noch einmal kurz um und winkte. Er winkte zurück, nahm die Bibel, stand auf und schlenderte langsam nach Hause.

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2010-08-15 08:30