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Tagebuch Doc12
2010-11-28 09:31
Der weinende Clown - 127
Es war ein regnerischer, nasskalter Novembertag gewesen. Draußen pfiff der Wind ums Haus und er war froh, es nicht verlassen zu müssen. Den ganzen Tag war er im Büro vor dem Computer gesessen und hatte geschrieben. Jetzt lag er auf der Couch und starrte in den Fernsehapparat, völlig fasziniert von einer Sendung über Island, als das Telefon klingelte. Ärgerlich sah er auf die Uhr – es war bereits kurz vor Mitternacht, doch dann nahm er unwillig den Hörer ab und meldete sich. Am anderen Ende der Leitung war Sarah.

„Schatz – es ist etwas Furchtbares passiert.“ Sie weinte.
„Was hast du denn?“, fragte er erschrocken.
„Meine Mutter – “
„Was ist mit ihr?“
„Sie ist tot“, antwortete sie leise schluchzend.
Für einen Augenblick wusste er nicht, was er sagen sollte. Er war geschockt. Doch schnell hatte er sich wieder gefasst. „Wann ist sie gestorben? Wie ist das passiert??“
„Vor etwa zwei Stunden. Ein Nachbar hat sie vor der Haustürliegend gefunden, sofort den Notarzt verständigt – doch sie war bereits tot. Es muss ziemlich schnell gegangen sein. Herzversagen, meint der Arzt.“
„Aber wieso war sie denn so spät noch unterwegs?“ Bruno schüttelte verständnislos den Kopf.
„Sie hat mich heute Vormittag angerufen und mir erzählt, dass sie bei einer alten Schulfreundin eingeladen wäre, die sie schon über lange Jahre nicht mehr gesehen hätte. Vermutlich kam sie von ihr und war auf dem Nachhauseweg.“ Sie begann wieder, leise zu weinen.
„Weiß es Karsten schon?“
„Nein – er schläft ja längst.“
„Ich bin in einer viertel Stunde bei dir.“
„Danke.“
Er legte auf, zog eilig Schuhe und Jackett an, warf sich den Mantel über die Schulter und zog die Wohnungstür hinter sich zu.

Während der Fahrt schossen ihm verschiedene Gedanken durch den Kopf. Er hatte zwar nie eine enge Beziehung zu Sarahs Mutter gepflegt und der Kontakt zu ihr war bestenfalls sporadisch gewesen, doch er mochte die alte Dame, auch wenn sie oft etwas geschwätzig und manchmal sehr mürrisch war. Selten hatte sie über körperliche Gebrechen geklagt oder über Krankheiten gesprochen und schon allein deshalb empfand er ihren Tod als überraschend. Nichts hatte darauf hingewiesen. Wie würde Karsten die Nachricht wohl aufnehmen? Für den Jungen war
seine Großmutter stets eine äußerst wichtige Bezugsperson gewesen und er liebte sie über alles, was nicht verwunderlich war, denn sie hatte ihm sehr viel durchgehen
lassen und ihn auch verzogen, was Sarah nicht so recht passte. Aber schließlich hatte sie es akzeptiert, weil sie war froh war, den Jungen in guter Obhut zu wissen, während sie beruflich unterwegs sein musste.

Sarah empfing ihn mit verweinten Augen, er nahm sie in den Arm, um sie zu trösten. Schweigend standen sie so ein paar Minuten, dann meinte er leise: „Du hast doch mich – und du hast Karsten. Du bist nicht allein.“
Sie wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen und nickte.
„Schön, dass du gleich gekommen bist“, sagte sie.
„Das ist doch selbstverständlich.“
„Nein. Ist es nicht. Nichts im Leben ist selbstverständlich. Nicht einmal das Leben selbst.“
„Weißt du, es ist eben nun mal so: Ab und zu verliert man im Leben wertvolle, liebe Menschen, seien es nun Eltern oder Freunde, den Ehepartner oder auch nur seinen Hund. Es ist bitter, erschüttert einen tief und dennoch, mein Schatz: Die Zeit heilt alle Wunden – und so abgedroschen dieses Sprichwort auch immer klingen mag, so ist es dennoch wahr.“ Bruno strich ihr liebevoll über das Haar.
Sie nickte stumm. Dann meinte sie: „Ich hatte immer eine sehr enge Beziehung zu meiner Mutter, auch wenn sie mir ab und zu ziemlich auf die Nerven ging. Aber sie war immer für mich da – und für Karsten auch. Sie hat mir sehr viel geholfen und manchmal hätte ich die schweren Zeiten ohne sie wohl kaum überstanden.“
„Mütter haben das nun mal so an sich, dass sie sich um ihre Kinder kümmern und sorgen. Für deine Mutter bist und bleibst du immer das Kind – egal wie alt du bist – zumindest, wenn es eine richtige Mutter ist.“
„Trotzdem – mir graut vor den Formalitäten, die nun auf mich zukommen.“
„Die regeln wir gemeinsam, mach dir darüber keine Gedanken.“
„Und dazu kommt, dass ich es Karsten morgen früh beibringen muss und noch nicht weiß, wie. Er wird schockiert sein.“
„Auch das machen wir gemeinsam – und er wird es akzeptieren müssen, auch wenn er noch nie mit dem Tod konfrontiert wurde und sehr an seiner Omi hing. Kinder sehen die Dinge und das Leben oft wesentlich natürlicher als wir Erwachsenen, glaub mir. Sie tragen noch mehr von der ursprünglichen universellen Weisheit in sich.“
„Bleibst du heute Nacht hier?“, wollte sie wissen.
„Du kannst vielleicht Fragen stellen – natürlich bleibe ich hier.“

Sarah war bereits sehr früh aufgestanden und hatte das Frühstück zubereitet. Obwohl sie todmüde zu Bett gegangen war, hatte sie kaum geschlafen. Entsprechend sah sie auch aus. Bruno war nur kurz nach ihr aufgestanden. Jetzt stand er im Bad vor dem Spiegel, rasierte sich und dachte über Verschiedenes nach. Auch ihm war nicht sonderlich wohl bei dem Gedanken an Karsten. Wie würde der Junge
wohl reagieren?
Sarah hatte ihren Sohn zwischenzeitlich geweckt. Nun saß er mit verschlafenen Augen am Frühstückstisch und war sehr ernst und schweigsam. Sarah strich ihm über den Kopf.
„Mama – Omi ist tot“, sagte der Junge unvermittelt.
Bruno und Sarah sahen sich völlig fassungslos an. Nachdem sich Sarah wieder etwas gefangen hatte, fragte sie: „Woher weißt du das?“
„Ich habe es heute Nacht geträumt. Sie hat sich von mir verabschiedet und gesagt, sie müsse jetzt gehen. Ich soll darüber nicht traurig sein. Wir sehen uns wieder, hat sie gesagt.“
Bruno schüttelte erstaunt und erschüttert zugleich den Kopf. Sarahs Augen waren feucht geworden, sie nahm ihren Sohn tröstend in den Arm und beide ließen ihren Tränen freien Lauf.

Er stand da und wirkte hilflos. Was hätte er auch tun oder sagen sollen? Doch für ihn war klar, dass er diese Sache hinterfragen würde ...

Kommentare


unbekannt
06:13 29.11.2010
Der geneigte Leser weiß, was ihn erwartet...

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09:31 28.11.2010
Der letzte Satz macht mir Angst ...
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2010-11-28 09:31