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Tagebuch Doc12
2010-11-20 09:52
Der weinende Clown - 119
Als Bruno aufsah, war er allein.

Der Herbst hatte schon längst seine Vorboten ins Land geschickt. Am westlichen Nachthimmel war bereits deutlich das Pegasusquadrat zu erkennen, die Tage waren wieder merklich kürzer geworden, die Nächte kühler, von den Bäumen fielen die ersten gelben Blätter, die Natur bereitete sich auf den Winterschlaf vor.
Es war viel geschehen.

Brunos Telefonate „nach oben“ waren seltener geworden. Nicht etwa, dass er sie vergessen hätte – aber es gab momentan keinen richtigen Anlass, „ihn“ zu kontaktieren, schon deshalb nicht, weil er viel mit Sarah reden konnte, die nicht nur manchen guten Rat in der Schublade hatte, sondern auch eine hervorragende Zuhörerin war. Ihre Beziehung hatte sich etabliert, mit der Zeit waren sie ganz automatisch zusammengewachsen und auch Karsten sah in Bruno mehr und mehr eine freundschaftliche Vaterfigur und forderte ihn diesbezüglich enorm. Zwischenzeitlich
konnte der Junge ganz gut lesen – und tat es auch, was zur Folge hatte, dass er Bruno mit allen möglichen und unmöglichen Fragen löcherte. Sarah versuchte zwar ab und zu, ihren Sohn etwas einzubremsen, doch Bruno meinte dann stets: „Lass ihn doch – wer nicht fragt, bleibt dumm.“

Sarah hatte sich inzwischen gut in ihren neuen Job eingelebt und war auch nicht mehr auf die Hilfe Brunos angewiesen. Ihr neuer Redakteursjob bereitete ihr das
größte Vergnügen und sie entwickelte eine Kreativität, die beinahe bewundernswert war.
Bruno hingegen hatte Probleme mit seinem Manuskript. Seit er wusste, dass es Donatello im realen Leben gab, war sein Interesse an dem Roman erlahmt und wenn er sich selbst gegenüber ehrlich war, dann wollte er ihn eigentlich nicht mehr fortzuführen. Im Übrigen tat er sich auch schwer damit, schon deshalb, weil er der Ansicht war, man sollte über einen lebenden Menschen, noch dazu über einen, den man kennt, nicht schreiben. Er war im Zwiespalt. Auf der anderen Seite musste er sich eingestehen, dass er ein schlechtes Gewissen hatte, wenn er nun nicht weiter schrieb. Unfertige Manuskripte waren ihm ein Gräuel, er war es immer gewohnt gewesen, seine Schreibarbeiten „durchzuziehen“ und zu beenden. Schließlich nahm er sich vor, diesen Roman zu Ende zu bringen, komme, was da wolle – doch er verschob es von einem Tag auf den anderen. Wenn Sarah ihn darauf ansprach, nickte er nur schweigend und versuchte, dem Thema möglichst aus dem Weg zu gehen.

Kurz nachdem Donatello aus der Reha-Klinik entlassen worden war, hatte er sich telefonisch bei Bruno gemeldet, weil er sich unbedingt mit ihm treffen wollte. Sie vereinbarten ein erstes Treffen in einem Cafe in der Innenstadt. Natürlich war Donatellos brennendste Frage, woher Bruno all diese Dinge aus seinem Leben wüsste. Bruno erklärte es ihm, so gut er konnte, verschwieg dabei aber auch nicht, dass er die Informationen direkt „von oben“ erhalten habe, jedoch nicht genau und auch nicht jede Kleinigkeit – worauf Donatello zunächst ungläubig den Kopf geschüttelt hatte, es aber aufgrund der vielen Details, die ihm erzählt wurden, letztendlich glauben musste, obwohl es ihm offensichtlich schwer fiel. Als letzten Beweis entschloss sich Bruno schließlich, ihm das halb fertige Manuskript zu geben, damit er es lesen könne und nahm ihm das Versprechen ab, es nie jemanden zu erzählen, die Leute würden ihn, Bruno, ansonsten zum Spinner erklären.

Als Donatello nach ein paar Tagen das Manuskript zurückgegeben hatte, war er erschüttert, nicht nur, weil die Szenen aus seinem Leben genauso abgelaufen waren wie beschrieben, sondern insbesondere auch deshalb, weil die Gespräche mit dem Lichtwesen im Roman fast identisch mit Donatellos tatsächlichen Erlebnissen wiedergegeben waren – und das war für ihn der letzte Beweis gewesen.
Von da ab trafen sie sich regelmäßig, schnell stellte sich eine sonderbar innige Vertrautheit zwischen den beiden ein und schließlich beschloss Donatello, sesshaft zu werden, dem Zirkus nun endlich ade zu sagen, so wie es ihm die Ärzte angeraten hatten und mietete sich eine kleine Wohnung nicht weit von Brunos Behausung entfernt.
Oft saßen sie nächtelang zusammen, diskutierten über Gott und die Welt und redeten sich die Köpfe heiß, was Sarah zunächst ein Dorn im Auge gewesen war. Häufig beklagte sie sich darüber, dass Bruno kaum noch Zeit für sie hätte, was für ihn wiederum ein Problem darstellte, denn er konnte ihr nicht erklären, weshalb alles so lief und schließlich war er froh, als sie sich langsam mit Donatello anfreundete, wobei Karsten den Ausschlag gegeben hatte – als Clown konnte Donatello sehr gut mit ihm umgehen, hatte jederzeit einen Spaß auf Lager und beherrschte dazu eine ganze Reihe von Zauberkunststücken, was dem Jungen natürlich gewaltig imponierte.

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unbekannt
06:03 22.11.2010


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